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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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nehmende Menge ruchloser Missethaten hier und da in Deutschland zu einer
vereinzelten Exekution, was war die Folge? Der ganze Vorgang blieb im
Geiste aller derer, welche dabei richtend, handelnd, anschauend mitzuwirken
hatten, von vornherein derartig mit dem Charakter des Außerordentlichen be¬
haftet, daß er eigentlich aus dein Rahmen der ordentlichen Rechtspflege heraus¬
fiel. Ueberall zu viel nervöse Sensation, zu wenig mannhafte Haltung eines in
sich gefestigten Rechtsgefühls, fast nirgends die schlichte, nüchterne, geschäftliche
BeHandlungsweise, die jeder Rechtsakt erfordert." -- Das muß anders werden.
"Vorläufig kann es sich nur darum Handeln, die Strafe wieder zur Wahrheit
zu machen, den vollen Ernst der Strafandrohung den Gemüthern des Volkes
scharf einzuprägen. Die einfache, unmittelbare, endgültige Vernichtung der
äußersten verbrecherischen Auswüchse der Gesellschaft bleibt zunächst.die ganze
Räson der Todesstrafe. Erst wenn Beil und Fallbeil diese ihre Arbeit einige
Zeit wieder sans xtuass verrichtet haben werden, wird man bei uns wieder
dahin gelangen, mit gesundem Nerv, festem Gleichmuth und offenem Sinn die
ganze Frage von Neuem in die Hand zu nehmen und die zulässigen Formen und
Grenzen dieser ullius. ratio irdischer Gerechtigkeit vernünftig zu bestimmen. Denn
dann erst wird wenigstens der unverrückbare Ausgangspunkt jeder vernünftigen
Erörterung feststehen: daß die Todesstrafe wie die alte böse Mode des Todes
überhaupt für den irdischen Haushalt nun einmal ebenso unentbehrlich wie ge¬
recht und wohlthätig ist."

Schwieriger steht es mit der Frage des bürgerlichen Todes, der Aus¬
stoßung aus der natürlichen Rechtsgemeinschaft, der Deportation. Doch ist hier
nur nach dem Wie der Ausführung zu suchen. Denn wenn man die Todes¬
strafe nur für blutigen Mord und schwere Felonie gegen den Staat verhängen
kann, wenn daneben eine Menge bösartigster Verbrechensformen vorkommen,
die nach bisher giltiger Rechtsanschauung nur mit lebenslänglichem Zuchthause
gesühnt werden können, wenn die Zahl dieser zu ewiger Sklaverei Verdammten
fortwährend wächst und die Erfahrung lehrt, daß jede länger als fünfzehn
Jahre dauernde Freiheitsentziehung die physische wie die geistige Existenz des
Sträflings unrettbar zerstört, so ist nicht zu leugnen, daß der Ersatz wenigstens
aller vieljährigen Freiheitsstrafen durch Deportation mit aller Energie anzu¬
streben ist.

Die sich in den Tiefen der Volksseele immer vernehmlicher durcharbeitend-
Neaktion gegen die mattherzige Humanität der letzten Jahrzehnte spricht sich
auch in dem Verlangen nach einer andern Strafart aus, die man schon seit
geraumer Zeit als glücklich überwundene Barbarei zu betrachten liebte. Wieder¬
herstellung der Prügelstrafe, mehr körperliche Züchtigung und weniger Freiheits¬
entziehung, so lautet diese Forderung. Natürlich ergreift darob banges Ent-


nehmende Menge ruchloser Missethaten hier und da in Deutschland zu einer
vereinzelten Exekution, was war die Folge? Der ganze Vorgang blieb im
Geiste aller derer, welche dabei richtend, handelnd, anschauend mitzuwirken
hatten, von vornherein derartig mit dem Charakter des Außerordentlichen be¬
haftet, daß er eigentlich aus dein Rahmen der ordentlichen Rechtspflege heraus¬
fiel. Ueberall zu viel nervöse Sensation, zu wenig mannhafte Haltung eines in
sich gefestigten Rechtsgefühls, fast nirgends die schlichte, nüchterne, geschäftliche
BeHandlungsweise, die jeder Rechtsakt erfordert." — Das muß anders werden.
„Vorläufig kann es sich nur darum Handeln, die Strafe wieder zur Wahrheit
zu machen, den vollen Ernst der Strafandrohung den Gemüthern des Volkes
scharf einzuprägen. Die einfache, unmittelbare, endgültige Vernichtung der
äußersten verbrecherischen Auswüchse der Gesellschaft bleibt zunächst.die ganze
Räson der Todesstrafe. Erst wenn Beil und Fallbeil diese ihre Arbeit einige
Zeit wieder sans xtuass verrichtet haben werden, wird man bei uns wieder
dahin gelangen, mit gesundem Nerv, festem Gleichmuth und offenem Sinn die
ganze Frage von Neuem in die Hand zu nehmen und die zulässigen Formen und
Grenzen dieser ullius. ratio irdischer Gerechtigkeit vernünftig zu bestimmen. Denn
dann erst wird wenigstens der unverrückbare Ausgangspunkt jeder vernünftigen
Erörterung feststehen: daß die Todesstrafe wie die alte böse Mode des Todes
überhaupt für den irdischen Haushalt nun einmal ebenso unentbehrlich wie ge¬
recht und wohlthätig ist."

Schwieriger steht es mit der Frage des bürgerlichen Todes, der Aus¬
stoßung aus der natürlichen Rechtsgemeinschaft, der Deportation. Doch ist hier
nur nach dem Wie der Ausführung zu suchen. Denn wenn man die Todes¬
strafe nur für blutigen Mord und schwere Felonie gegen den Staat verhängen
kann, wenn daneben eine Menge bösartigster Verbrechensformen vorkommen,
die nach bisher giltiger Rechtsanschauung nur mit lebenslänglichem Zuchthause
gesühnt werden können, wenn die Zahl dieser zu ewiger Sklaverei Verdammten
fortwährend wächst und die Erfahrung lehrt, daß jede länger als fünfzehn
Jahre dauernde Freiheitsentziehung die physische wie die geistige Existenz des
Sträflings unrettbar zerstört, so ist nicht zu leugnen, daß der Ersatz wenigstens
aller vieljährigen Freiheitsstrafen durch Deportation mit aller Energie anzu¬
streben ist.

Die sich in den Tiefen der Volksseele immer vernehmlicher durcharbeitend-
Neaktion gegen die mattherzige Humanität der letzten Jahrzehnte spricht sich
auch in dem Verlangen nach einer andern Strafart aus, die man schon seit
geraumer Zeit als glücklich überwundene Barbarei zu betrachten liebte. Wieder¬
herstellung der Prügelstrafe, mehr körperliche Züchtigung und weniger Freiheits¬
entziehung, so lautet diese Forderung. Natürlich ergreift darob banges Ent-


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[0248] nehmende Menge ruchloser Missethaten hier und da in Deutschland zu einer vereinzelten Exekution, was war die Folge? Der ganze Vorgang blieb im Geiste aller derer, welche dabei richtend, handelnd, anschauend mitzuwirken hatten, von vornherein derartig mit dem Charakter des Außerordentlichen be¬ haftet, daß er eigentlich aus dein Rahmen der ordentlichen Rechtspflege heraus¬ fiel. Ueberall zu viel nervöse Sensation, zu wenig mannhafte Haltung eines in sich gefestigten Rechtsgefühls, fast nirgends die schlichte, nüchterne, geschäftliche BeHandlungsweise, die jeder Rechtsakt erfordert." — Das muß anders werden. „Vorläufig kann es sich nur darum Handeln, die Strafe wieder zur Wahrheit zu machen, den vollen Ernst der Strafandrohung den Gemüthern des Volkes scharf einzuprägen. Die einfache, unmittelbare, endgültige Vernichtung der äußersten verbrecherischen Auswüchse der Gesellschaft bleibt zunächst.die ganze Räson der Todesstrafe. Erst wenn Beil und Fallbeil diese ihre Arbeit einige Zeit wieder sans xtuass verrichtet haben werden, wird man bei uns wieder dahin gelangen, mit gesundem Nerv, festem Gleichmuth und offenem Sinn die ganze Frage von Neuem in die Hand zu nehmen und die zulässigen Formen und Grenzen dieser ullius. ratio irdischer Gerechtigkeit vernünftig zu bestimmen. Denn dann erst wird wenigstens der unverrückbare Ausgangspunkt jeder vernünftigen Erörterung feststehen: daß die Todesstrafe wie die alte böse Mode des Todes überhaupt für den irdischen Haushalt nun einmal ebenso unentbehrlich wie ge¬ recht und wohlthätig ist." Schwieriger steht es mit der Frage des bürgerlichen Todes, der Aus¬ stoßung aus der natürlichen Rechtsgemeinschaft, der Deportation. Doch ist hier nur nach dem Wie der Ausführung zu suchen. Denn wenn man die Todes¬ strafe nur für blutigen Mord und schwere Felonie gegen den Staat verhängen kann, wenn daneben eine Menge bösartigster Verbrechensformen vorkommen, die nach bisher giltiger Rechtsanschauung nur mit lebenslänglichem Zuchthause gesühnt werden können, wenn die Zahl dieser zu ewiger Sklaverei Verdammten fortwährend wächst und die Erfahrung lehrt, daß jede länger als fünfzehn Jahre dauernde Freiheitsentziehung die physische wie die geistige Existenz des Sträflings unrettbar zerstört, so ist nicht zu leugnen, daß der Ersatz wenigstens aller vieljährigen Freiheitsstrafen durch Deportation mit aller Energie anzu¬ streben ist. Die sich in den Tiefen der Volksseele immer vernehmlicher durcharbeitend- Neaktion gegen die mattherzige Humanität der letzten Jahrzehnte spricht sich auch in dem Verlangen nach einer andern Strafart aus, die man schon seit geraumer Zeit als glücklich überwundene Barbarei zu betrachten liebte. Wieder¬ herstellung der Prügelstrafe, mehr körperliche Züchtigung und weniger Freiheits¬ entziehung, so lautet diese Forderung. Natürlich ergreift darob banges Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/248>, abgerufen am 23.07.2024.