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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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nachzugehen, und wenden uns zurück zu Springers Schrift, die eine klare
und einfache, auf festester Basis ruhende Auslegung an ihre Stelle setzt, eine
Auslegung, die nicht nur bisher unsichere Figuren sicher deutet, sondern auch
für die bisher sicher gedeuteten erst die richtige Auffassung innerhalb des
Ganzen an die Hand gibt.

Was zunächst das figürliche Beiwerk betrifft, so gilt es vor allem von
dem Gedanken sich loszumachen, als ob z. B. die Bilder in den Nischenabschlüssen
einen tiefen symbolischen Sinn hätten; sie haben in ihrer bunten Mannigfaltig¬
keit sicherlich nur dekorative Bedeutung. Anders verhält sich's, wie wir sehen
werden, mit den phantastischen Köpfen, die zu den Füßen der acht Hauptge¬
stalten liegen. Wie steht es aber vor allem mit diesen Hauptgestalten selbst,
welche die Portalwände der Kirche schmücken? Bilden sie nicht eine recht ge¬
mischte Gesellschaft? Wo liegt die gemeinsame Idee, die sie mit einander ver¬
knüpft? In welcher Beziehung stehen sie zu einander und zur Kirche selbst?
Hier setzt Springer zuerst den Hebel an und gelangt zu einem überraschend
klaren und einleuchtenden Resultate.

Keine Personifikation war dem Mittelalter so geläufig wie die der "Kirche"
als der Braut Christi. Unzähligemale wird die "Kirche" in den Predigten des
Honorius als sxonss, (Braut) angeführt, oft genug auch in den Hymnen und
Sequenzen als solche gefeiert. Dies Bild beherrscht geradezu die kirchliche
Phantasie des Mittelalters, und wie es in immer neuen Wendungen wieder¬
holt wird, so dient es auch zur Verknüpfung der mannigfachsten biblischen
Gestalten und Begriffe. Endlos sind die Typen und Praefigurationen, in
welchen die Kirche geschaut wird; nicht nur Salomo's Tempel erscheint als ihr
Vorbild, auch mit Eva, mit Maria wird sie verglichen. An keinem Tage aber
strahlte das Bild der Braut Christi Heller und glänzender als am Kirchweih¬
tage, dem Tage der äsäleatlo soolssi-W; an diesem Tage wird das Gedächt¬
niß der Hochzeit Christi mit der Kirche gefeiert, und als Hochzeitsgesang ertönte
der Hymnus cis c1sains.tiens svelosias. In den Predigten und Sequenzen aber
wird das Bild der Hochzeit selbst mit reichen Farben ausgemalt; insbesondere
werden die zum Feste geladenen Hochzeitszeugen, die ihre Gaben bringen, alle
mit Namen angeführt. Die Zahl und Auswahl der Hochzeitszeugen wechselt
natürlich in den einzelnen Sequenzen. Bald erscheinen Abel, Noah, Melchisedek,
Abraham, Jsaak und Jakob, Moses, Josua, David, auch das Gesetz und die
Propheten als Personifikationen, ein andermal Eva, Rebecca, Rahel, sämmtlich
als Vorbilder der Kirche im alten Testament, Aaron, David und Bathseba,
Salomo und die Königin von Saba, ein drittes Mal Adam und Eva, Noah,
Moses, Jakob, David, Salomo, Johannes. Und hier stehen wir denn vor einer
der Quellen, aus denen der Künstler schöpfte, der die Goldne Pforte schuf. Kein


nachzugehen, und wenden uns zurück zu Springers Schrift, die eine klare
und einfache, auf festester Basis ruhende Auslegung an ihre Stelle setzt, eine
Auslegung, die nicht nur bisher unsichere Figuren sicher deutet, sondern auch
für die bisher sicher gedeuteten erst die richtige Auffassung innerhalb des
Ganzen an die Hand gibt.

Was zunächst das figürliche Beiwerk betrifft, so gilt es vor allem von
dem Gedanken sich loszumachen, als ob z. B. die Bilder in den Nischenabschlüssen
einen tiefen symbolischen Sinn hätten; sie haben in ihrer bunten Mannigfaltig¬
keit sicherlich nur dekorative Bedeutung. Anders verhält sich's, wie wir sehen
werden, mit den phantastischen Köpfen, die zu den Füßen der acht Hauptge¬
stalten liegen. Wie steht es aber vor allem mit diesen Hauptgestalten selbst,
welche die Portalwände der Kirche schmücken? Bilden sie nicht eine recht ge¬
mischte Gesellschaft? Wo liegt die gemeinsame Idee, die sie mit einander ver¬
knüpft? In welcher Beziehung stehen sie zu einander und zur Kirche selbst?
Hier setzt Springer zuerst den Hebel an und gelangt zu einem überraschend
klaren und einleuchtenden Resultate.

Keine Personifikation war dem Mittelalter so geläufig wie die der „Kirche"
als der Braut Christi. Unzähligemale wird die „Kirche" in den Predigten des
Honorius als sxonss, (Braut) angeführt, oft genug auch in den Hymnen und
Sequenzen als solche gefeiert. Dies Bild beherrscht geradezu die kirchliche
Phantasie des Mittelalters, und wie es in immer neuen Wendungen wieder¬
holt wird, so dient es auch zur Verknüpfung der mannigfachsten biblischen
Gestalten und Begriffe. Endlos sind die Typen und Praefigurationen, in
welchen die Kirche geschaut wird; nicht nur Salomo's Tempel erscheint als ihr
Vorbild, auch mit Eva, mit Maria wird sie verglichen. An keinem Tage aber
strahlte das Bild der Braut Christi Heller und glänzender als am Kirchweih¬
tage, dem Tage der äsäleatlo soolssi-W; an diesem Tage wird das Gedächt¬
niß der Hochzeit Christi mit der Kirche gefeiert, und als Hochzeitsgesang ertönte
der Hymnus cis c1sains.tiens svelosias. In den Predigten und Sequenzen aber
wird das Bild der Hochzeit selbst mit reichen Farben ausgemalt; insbesondere
werden die zum Feste geladenen Hochzeitszeugen, die ihre Gaben bringen, alle
mit Namen angeführt. Die Zahl und Auswahl der Hochzeitszeugen wechselt
natürlich in den einzelnen Sequenzen. Bald erscheinen Abel, Noah, Melchisedek,
Abraham, Jsaak und Jakob, Moses, Josua, David, auch das Gesetz und die
Propheten als Personifikationen, ein andermal Eva, Rebecca, Rahel, sämmtlich
als Vorbilder der Kirche im alten Testament, Aaron, David und Bathseba,
Salomo und die Königin von Saba, ein drittes Mal Adam und Eva, Noah,
Moses, Jakob, David, Salomo, Johannes. Und hier stehen wir denn vor einer
der Quellen, aus denen der Künstler schöpfte, der die Goldne Pforte schuf. Kein


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[0234] nachzugehen, und wenden uns zurück zu Springers Schrift, die eine klare und einfache, auf festester Basis ruhende Auslegung an ihre Stelle setzt, eine Auslegung, die nicht nur bisher unsichere Figuren sicher deutet, sondern auch für die bisher sicher gedeuteten erst die richtige Auffassung innerhalb des Ganzen an die Hand gibt. Was zunächst das figürliche Beiwerk betrifft, so gilt es vor allem von dem Gedanken sich loszumachen, als ob z. B. die Bilder in den Nischenabschlüssen einen tiefen symbolischen Sinn hätten; sie haben in ihrer bunten Mannigfaltig¬ keit sicherlich nur dekorative Bedeutung. Anders verhält sich's, wie wir sehen werden, mit den phantastischen Köpfen, die zu den Füßen der acht Hauptge¬ stalten liegen. Wie steht es aber vor allem mit diesen Hauptgestalten selbst, welche die Portalwände der Kirche schmücken? Bilden sie nicht eine recht ge¬ mischte Gesellschaft? Wo liegt die gemeinsame Idee, die sie mit einander ver¬ knüpft? In welcher Beziehung stehen sie zu einander und zur Kirche selbst? Hier setzt Springer zuerst den Hebel an und gelangt zu einem überraschend klaren und einleuchtenden Resultate. Keine Personifikation war dem Mittelalter so geläufig wie die der „Kirche" als der Braut Christi. Unzähligemale wird die „Kirche" in den Predigten des Honorius als sxonss, (Braut) angeführt, oft genug auch in den Hymnen und Sequenzen als solche gefeiert. Dies Bild beherrscht geradezu die kirchliche Phantasie des Mittelalters, und wie es in immer neuen Wendungen wieder¬ holt wird, so dient es auch zur Verknüpfung der mannigfachsten biblischen Gestalten und Begriffe. Endlos sind die Typen und Praefigurationen, in welchen die Kirche geschaut wird; nicht nur Salomo's Tempel erscheint als ihr Vorbild, auch mit Eva, mit Maria wird sie verglichen. An keinem Tage aber strahlte das Bild der Braut Christi Heller und glänzender als am Kirchweih¬ tage, dem Tage der äsäleatlo soolssi-W; an diesem Tage wird das Gedächt¬ niß der Hochzeit Christi mit der Kirche gefeiert, und als Hochzeitsgesang ertönte der Hymnus cis c1sains.tiens svelosias. In den Predigten und Sequenzen aber wird das Bild der Hochzeit selbst mit reichen Farben ausgemalt; insbesondere werden die zum Feste geladenen Hochzeitszeugen, die ihre Gaben bringen, alle mit Namen angeführt. Die Zahl und Auswahl der Hochzeitszeugen wechselt natürlich in den einzelnen Sequenzen. Bald erscheinen Abel, Noah, Melchisedek, Abraham, Jsaak und Jakob, Moses, Josua, David, auch das Gesetz und die Propheten als Personifikationen, ein andermal Eva, Rebecca, Rahel, sämmtlich als Vorbilder der Kirche im alten Testament, Aaron, David und Bathseba, Salomo und die Königin von Saba, ein drittes Mal Adam und Eva, Noah, Moses, Jakob, David, Salomo, Johannes. Und hier stehen wir denn vor einer der Quellen, aus denen der Künstler schöpfte, der die Goldne Pforte schuf. Kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/234>, abgerufen am 23.07.2024.