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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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müssen. Aber rechnet nicht jede Instruktion auch auf den Takt und die ma߬
volle Beurtheilung des Examinators? So wenig eine schroffe Handhabung
des Examens zu billigen ist, die zu viel an Einzelkenntnissen oder zu einseitig
die Wiedergabe der Vorträge des Examinators fordert, eben so sehr wäre es
zu bedauern, wenn die in Aussicht gestellten sehr erheblichen Erleichterungen
den Theologen die Nothwendigkeit ernster philosophischer Studien abnehmen
und dadurch die ganze Prüfung zu einer Spielerei machen sollten.

Minderen Anstoß erregen wohl die Forderungen in Geschichte und Lite¬
raturgeschichte, weil sie sich an Disziplinen anschließen, die schon ans dem Gym¬
nasium getrieben worden sind. Die Forderung, daß der Kandidat einen sicheren
Ueberblick über die allgemeine Entwickelung der Weltgeschichte besitze und mit
der neueren, vornehmlich mit der vaterländischen Geschichte genauer bekannt
sei, stimmt ziemlich mit der Forderung des Abiturientenexamens überein, und
ein verständiger Examinator wird ja am wenigsten bei dieser Prüfung verlangen,
daß der Examinand sein Gedächtniß mit Jahreszahlen mehr, als nöthig ist,
belastet habe. Wenn dann aber in der Instruktion hinzugesetzt ist, ein beson¬
deres Augenmerk sei darauf zu richten, ob der Kandidat von den die verschie¬
denen Zeiträume beherrschenden Ideen sowohl nach der politischen Seite, wie
nach der Kulturentwickelung hin eine klare Vorstellung habe, so kann freilich
darauf hin der Examinator sozusagen das Blaue vom Himmel herunter fragen.
Der 22 jährige Jüngling, der dieser Anforderung im vollen Umfange genügen
sollte, müßte ein besonderes Genie sein. Jeder, der Erfahrung hat, weiß, wie
bescheidene Anforderungen auch der tüchtigste Geschichtslehrer einer Prima in
dieser Beziehung an seine Schüler stellen muß, und nach dreijährigem Studium
der Theologie soll dann jemand über die herrschenden politischen und Kultur¬
ideen aller Epochen der Weltgeschichte eine klare Vorstellung haben! Selbst
an diejenigen, welche Geschichte studirt haben und sich das Recht, darin in
Prima zu unterrichten, erwerben wollen, wird durch das Reglement der Ober¬
lehrerprüfung eine solche Forderung nicht gestellt. Hier würde eine andere
Fassung der Instruktion wohl am Platze sein.

Nur beistimmen kann man dagegen der Forderung in Betreff der Literatur¬
geschichte, daß die hervorragenden Schriftsteller der deutschen Nationalliteratur
vornehmlich aus den letzten beiden Jahrhunderten dem Kandidaten nicht unbe¬
kannt sein dürfen und er eine eingehendere Beschäftigung mit einigen der be¬
deutendsten klassischen Werke nachweisen muß. Die Prüfung soll dem Kandi¬
daten Gelegenheit geben, sich in dieser Beziehung über die nach freier Wahl
betriebenen Studien auszusprechen. Wird diese Forderung verständig gehand¬
habt, so beansprucht sie nichts anderes, als was man von jedem Gebildeten
verlangen und was der Gymnasialunterricht im Deutschen erstreben muß. Der


müssen. Aber rechnet nicht jede Instruktion auch auf den Takt und die ma߬
volle Beurtheilung des Examinators? So wenig eine schroffe Handhabung
des Examens zu billigen ist, die zu viel an Einzelkenntnissen oder zu einseitig
die Wiedergabe der Vorträge des Examinators fordert, eben so sehr wäre es
zu bedauern, wenn die in Aussicht gestellten sehr erheblichen Erleichterungen
den Theologen die Nothwendigkeit ernster philosophischer Studien abnehmen
und dadurch die ganze Prüfung zu einer Spielerei machen sollten.

Minderen Anstoß erregen wohl die Forderungen in Geschichte und Lite¬
raturgeschichte, weil sie sich an Disziplinen anschließen, die schon ans dem Gym¬
nasium getrieben worden sind. Die Forderung, daß der Kandidat einen sicheren
Ueberblick über die allgemeine Entwickelung der Weltgeschichte besitze und mit
der neueren, vornehmlich mit der vaterländischen Geschichte genauer bekannt
sei, stimmt ziemlich mit der Forderung des Abiturientenexamens überein, und
ein verständiger Examinator wird ja am wenigsten bei dieser Prüfung verlangen,
daß der Examinand sein Gedächtniß mit Jahreszahlen mehr, als nöthig ist,
belastet habe. Wenn dann aber in der Instruktion hinzugesetzt ist, ein beson¬
deres Augenmerk sei darauf zu richten, ob der Kandidat von den die verschie¬
denen Zeiträume beherrschenden Ideen sowohl nach der politischen Seite, wie
nach der Kulturentwickelung hin eine klare Vorstellung habe, so kann freilich
darauf hin der Examinator sozusagen das Blaue vom Himmel herunter fragen.
Der 22 jährige Jüngling, der dieser Anforderung im vollen Umfange genügen
sollte, müßte ein besonderes Genie sein. Jeder, der Erfahrung hat, weiß, wie
bescheidene Anforderungen auch der tüchtigste Geschichtslehrer einer Prima in
dieser Beziehung an seine Schüler stellen muß, und nach dreijährigem Studium
der Theologie soll dann jemand über die herrschenden politischen und Kultur¬
ideen aller Epochen der Weltgeschichte eine klare Vorstellung haben! Selbst
an diejenigen, welche Geschichte studirt haben und sich das Recht, darin in
Prima zu unterrichten, erwerben wollen, wird durch das Reglement der Ober¬
lehrerprüfung eine solche Forderung nicht gestellt. Hier würde eine andere
Fassung der Instruktion wohl am Platze sein.

Nur beistimmen kann man dagegen der Forderung in Betreff der Literatur¬
geschichte, daß die hervorragenden Schriftsteller der deutschen Nationalliteratur
vornehmlich aus den letzten beiden Jahrhunderten dem Kandidaten nicht unbe¬
kannt sein dürfen und er eine eingehendere Beschäftigung mit einigen der be¬
deutendsten klassischen Werke nachweisen muß. Die Prüfung soll dem Kandi¬
daten Gelegenheit geben, sich in dieser Beziehung über die nach freier Wahl
betriebenen Studien auszusprechen. Wird diese Forderung verständig gehand¬
habt, so beansprucht sie nichts anderes, als was man von jedem Gebildeten
verlangen und was der Gymnasialunterricht im Deutschen erstreben muß. Der


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[0221] müssen. Aber rechnet nicht jede Instruktion auch auf den Takt und die ma߬ volle Beurtheilung des Examinators? So wenig eine schroffe Handhabung des Examens zu billigen ist, die zu viel an Einzelkenntnissen oder zu einseitig die Wiedergabe der Vorträge des Examinators fordert, eben so sehr wäre es zu bedauern, wenn die in Aussicht gestellten sehr erheblichen Erleichterungen den Theologen die Nothwendigkeit ernster philosophischer Studien abnehmen und dadurch die ganze Prüfung zu einer Spielerei machen sollten. Minderen Anstoß erregen wohl die Forderungen in Geschichte und Lite¬ raturgeschichte, weil sie sich an Disziplinen anschließen, die schon ans dem Gym¬ nasium getrieben worden sind. Die Forderung, daß der Kandidat einen sicheren Ueberblick über die allgemeine Entwickelung der Weltgeschichte besitze und mit der neueren, vornehmlich mit der vaterländischen Geschichte genauer bekannt sei, stimmt ziemlich mit der Forderung des Abiturientenexamens überein, und ein verständiger Examinator wird ja am wenigsten bei dieser Prüfung verlangen, daß der Examinand sein Gedächtniß mit Jahreszahlen mehr, als nöthig ist, belastet habe. Wenn dann aber in der Instruktion hinzugesetzt ist, ein beson¬ deres Augenmerk sei darauf zu richten, ob der Kandidat von den die verschie¬ denen Zeiträume beherrschenden Ideen sowohl nach der politischen Seite, wie nach der Kulturentwickelung hin eine klare Vorstellung habe, so kann freilich darauf hin der Examinator sozusagen das Blaue vom Himmel herunter fragen. Der 22 jährige Jüngling, der dieser Anforderung im vollen Umfange genügen sollte, müßte ein besonderes Genie sein. Jeder, der Erfahrung hat, weiß, wie bescheidene Anforderungen auch der tüchtigste Geschichtslehrer einer Prima in dieser Beziehung an seine Schüler stellen muß, und nach dreijährigem Studium der Theologie soll dann jemand über die herrschenden politischen und Kultur¬ ideen aller Epochen der Weltgeschichte eine klare Vorstellung haben! Selbst an diejenigen, welche Geschichte studirt haben und sich das Recht, darin in Prima zu unterrichten, erwerben wollen, wird durch das Reglement der Ober¬ lehrerprüfung eine solche Forderung nicht gestellt. Hier würde eine andere Fassung der Instruktion wohl am Platze sein. Nur beistimmen kann man dagegen der Forderung in Betreff der Literatur¬ geschichte, daß die hervorragenden Schriftsteller der deutschen Nationalliteratur vornehmlich aus den letzten beiden Jahrhunderten dem Kandidaten nicht unbe¬ kannt sein dürfen und er eine eingehendere Beschäftigung mit einigen der be¬ deutendsten klassischen Werke nachweisen muß. Die Prüfung soll dem Kandi¬ daten Gelegenheit geben, sich in dieser Beziehung über die nach freier Wahl betriebenen Studien auszusprechen. Wird diese Forderung verständig gehand¬ habt, so beansprucht sie nichts anderes, als was man von jedem Gebildeten verlangen und was der Gymnasialunterricht im Deutschen erstreben muß. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/221>, abgerufen am 29.06.2024.