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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Ansicht, die im "Kulturexamen" nur eine überflüssige Belästigung der Theo¬
logen sieht, nicht beistimmen.

Daß eine vierjährige Studienzeit für die Theologen nöthig werde, ist
sicherlich durch das Gesetz nicht beabsichtigt; es kann das, wenn es wirklich der
Fall ist, nur an der Handhabung des Examens oder vielleicht an der Instruk¬
tion liegen. Die letztere schreibt vor: "Der Kandidat muß von dem Begriff
der Philosophie und ihren verschiedenen Disziplinen eine deutliche Erkenntniß
haben und mit der Geschichte der Philosophie so weit bekannt sein, daß er das
Charakteristische der epochemachenden Systeme sowie ihr gegenseitiges Verhält¬
niß in ihrer Aufeinanderfolge anzugeben im Staude ist. Er muß ferner eine
nähere Bekanntschaft mit den Grundlehren der Psychologie und Logik, sowie
mit denjenigen Systemen wissenschaftlicher Pädagogik nachzuweisen vermögen,
welche in den letzten zwei Jahrhunderten einen nachhaltigen Einfluß auf Er¬
ziehung und Unterricht gehabt haben." Diese Forderungen kann mau im
Prinzip als richtig anerkennen, und doch geben sie dem Examinator die Mög¬
lichkeit, ja einen gewissen Antrieb, über das Maß dessen hinauszugehen, was
man billig nach dreijährigem Studium der Theologie fordern kann. Die Folge
ist dann, daß die Furcht vor dem Examen die Studenten in die Kollegien des
Examinators treibt, daß sie dort eifrig ein Heft nachschreiben, dieses sich "ein¬
pauken" und so den Anforderungen des gestrengen Herrn am besten zu ge¬
nügen glauben und vielleicht auch wirklich am leichtesten genügen. Aber ist
das der Zweck der Prüfung, daß ein gewisses Wissen äußerlich aufgerafft
werde, das nach der Prüfung schnell vergessen wird? Der Theologe soll sich
vor allem über die natürlichen Grundlagen, welche die Religion in der mensch¬
lichen Seele hat, durch Studium der Psychologie klar werden, er soll den
Gegensatz zwischen Vernunft- und Offenbarungsglauben im Prinzip erkennen,
er soll die Versuche, welche die Philosophie gemacht hat, die Fragen dnrch das
Denken zu beantworten und zu erweisen, deren Lösung der gläubige Mensch in
seinem religiösen Gefühl vorwegnimmt, wenigsteus in ihren hauptsächlichen Er¬
scheinungen verstehen und nachprüfen. Hat er diesen Studien mit Ernst obge¬
legen, so wird er, welcher theologischen Richtung er auch immer sich zuwenden
mag, mit Dank anerkennen, was er der Philosophie schuldet. Aber mit dem
22. Jahre, wo etwa die meisten ihr theologisches Triennium absolvirt haben,
können solche Studien erst begonnen, keineswegs zum Abschluß gebracht sein,
und gerade bei ihnen ist eignes Denken und selbständiges Forschen hundertmal
mehr werth als selbst ein mannigfaltiges äußerlich eingeprägtes Wissen.
Schwierig ist darum auch die Aufgabe des Examinators, schwieriger noch ist
es, durch eine Instruktion die Willkür des Examinirenden zu beschränken und
doch die Anforderungen zu wahren, die nothwendigerweise gestellt werden


Ansicht, die im „Kulturexamen" nur eine überflüssige Belästigung der Theo¬
logen sieht, nicht beistimmen.

Daß eine vierjährige Studienzeit für die Theologen nöthig werde, ist
sicherlich durch das Gesetz nicht beabsichtigt; es kann das, wenn es wirklich der
Fall ist, nur an der Handhabung des Examens oder vielleicht an der Instruk¬
tion liegen. Die letztere schreibt vor: „Der Kandidat muß von dem Begriff
der Philosophie und ihren verschiedenen Disziplinen eine deutliche Erkenntniß
haben und mit der Geschichte der Philosophie so weit bekannt sein, daß er das
Charakteristische der epochemachenden Systeme sowie ihr gegenseitiges Verhält¬
niß in ihrer Aufeinanderfolge anzugeben im Staude ist. Er muß ferner eine
nähere Bekanntschaft mit den Grundlehren der Psychologie und Logik, sowie
mit denjenigen Systemen wissenschaftlicher Pädagogik nachzuweisen vermögen,
welche in den letzten zwei Jahrhunderten einen nachhaltigen Einfluß auf Er¬
ziehung und Unterricht gehabt haben." Diese Forderungen kann mau im
Prinzip als richtig anerkennen, und doch geben sie dem Examinator die Mög¬
lichkeit, ja einen gewissen Antrieb, über das Maß dessen hinauszugehen, was
man billig nach dreijährigem Studium der Theologie fordern kann. Die Folge
ist dann, daß die Furcht vor dem Examen die Studenten in die Kollegien des
Examinators treibt, daß sie dort eifrig ein Heft nachschreiben, dieses sich „ein¬
pauken" und so den Anforderungen des gestrengen Herrn am besten zu ge¬
nügen glauben und vielleicht auch wirklich am leichtesten genügen. Aber ist
das der Zweck der Prüfung, daß ein gewisses Wissen äußerlich aufgerafft
werde, das nach der Prüfung schnell vergessen wird? Der Theologe soll sich
vor allem über die natürlichen Grundlagen, welche die Religion in der mensch¬
lichen Seele hat, durch Studium der Psychologie klar werden, er soll den
Gegensatz zwischen Vernunft- und Offenbarungsglauben im Prinzip erkennen,
er soll die Versuche, welche die Philosophie gemacht hat, die Fragen dnrch das
Denken zu beantworten und zu erweisen, deren Lösung der gläubige Mensch in
seinem religiösen Gefühl vorwegnimmt, wenigsteus in ihren hauptsächlichen Er¬
scheinungen verstehen und nachprüfen. Hat er diesen Studien mit Ernst obge¬
legen, so wird er, welcher theologischen Richtung er auch immer sich zuwenden
mag, mit Dank anerkennen, was er der Philosophie schuldet. Aber mit dem
22. Jahre, wo etwa die meisten ihr theologisches Triennium absolvirt haben,
können solche Studien erst begonnen, keineswegs zum Abschluß gebracht sein,
und gerade bei ihnen ist eignes Denken und selbständiges Forschen hundertmal
mehr werth als selbst ein mannigfaltiges äußerlich eingeprägtes Wissen.
Schwierig ist darum auch die Aufgabe des Examinators, schwieriger noch ist
es, durch eine Instruktion die Willkür des Examinirenden zu beschränken und
doch die Anforderungen zu wahren, die nothwendigerweise gestellt werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/220>, abgerufen am 26.06.2024.