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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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wir erst am Ann-Darja stempeln. Und drittens -- ja drittens hatte ich noch
Gründe genug, um den rothbärtigen uralischen Kosaken, der seine blatternarbige
Fratze durch das auseinandergeschlagene Zelttuch steckte, uicht allzufreundlich
anzusehen.

Jetzt mich ankleiden? dachte ich, die Stulpenstiefeln anziehen, von denen
jeder -- so kam mirs wenigstens in diesem Augenblick vor -- einen halben
Zentner wiegt, die Waffe umschnallen? -- "Hat denn der General wirklich
nach mir verlangt, hast du dich nicht geirrt?" wandte ich mich laut an den
Kosaken, und in meiner Seele dämmerte ein schwacher Hoffnungsstrahl auf.

"Ganz und gar nicht, ausdrücklich nach Ihnen haben sie verlangt, und
so haben sie auch gesagt: Geh, haben sie gesagt, Danilo, und rufe den Kap--".
"Gut, gut, ich komme sofort," gab ich niedergeschlagen dem Kosaken zur Aut¬
wort. "Und Sie, meine Herren, werden ein wenig auf mich warten", wandte
ich mich zu meinen glücklicheren Kameraden. "Wir wollen ein wenig warten",
gähnte Lieutenant Usogrysow und reckte sich aus. "Aber bleiben Sie nicht
lange", sagte unser Doktor, indem er sich gepreßten Kaviar aus der Büchse
auf seinen Kommiszwieback strich. Dabei nahm er den ungeheuern silbernen
Absynthbecher von der grauen Tuchschabracke, die uns als Tischtuch dienen
mußte, und schickte sich an zu "gießen". "Wir wollen inzwischen ohne Sie
ein bischen anfangen, ich setze einen Viertelrubel, nicht mehr", tröstete mich
Spjelochwatow und mischte geräuschvoll die Karten.

Fröhlich ist's Soldatenleben,
Treu des Zaren Dienst ergeben

scholl es im Chorgesang von den Pferdepflvcken herüber.

"Ja ja, der Dienst!" seufzte ich ergebungsvoll, kleidete mich vollends
ordonnanzmäßig an und schritt zu meinem Zelte hinaus. "Also warten Sie,
meine Herren", rief ich noch einmal zurück, indem ich in den schwülen, schwan¬
kenden Nebel hinausblickte und das hellrothe Banner unsres Generals mit
seinen sieben großen Sternen zu erspähen suchte.

Die beiden Ränder des steinigen Thales entlang breitete sich unser Bivouak
aus. Die weißen Gruppen der beweglichen Soldatenzelte glänzten in regel¬
mäßigen Vierecken aus dem dunkelzimmetfarbigen Boden, der wie gebrannt
aussah. Lange Reihen von Gewehrpyramiden umsäumten diese Vierecke auf
ihrer Vorderseite. Vor den Gewehren wankten im Halbschlaf die vom Kopf
bis zum Fuß weißgekleideten Linienschildwachen auf und ab. Unter den Zelten,
die nicht höher waren als anderthalb Ellen, blickten von allen Seiten be¬
schuhte und unbeschuhte Füße hervor, und das Schnarchen der Schläfer drang
laut heraus. An langen Pflöcken standen die Artilleriepferde und ließen ihre
krummnasigen Köpse hängen, ohne auf die vor ihnen aufgeschütteten gekrönt-


wir erst am Ann-Darja stempeln. Und drittens — ja drittens hatte ich noch
Gründe genug, um den rothbärtigen uralischen Kosaken, der seine blatternarbige
Fratze durch das auseinandergeschlagene Zelttuch steckte, uicht allzufreundlich
anzusehen.

Jetzt mich ankleiden? dachte ich, die Stulpenstiefeln anziehen, von denen
jeder — so kam mirs wenigstens in diesem Augenblick vor — einen halben
Zentner wiegt, die Waffe umschnallen? — „Hat denn der General wirklich
nach mir verlangt, hast du dich nicht geirrt?" wandte ich mich laut an den
Kosaken, und in meiner Seele dämmerte ein schwacher Hoffnungsstrahl auf.

„Ganz und gar nicht, ausdrücklich nach Ihnen haben sie verlangt, und
so haben sie auch gesagt: Geh, haben sie gesagt, Danilo, und rufe den Kap—".
„Gut, gut, ich komme sofort," gab ich niedergeschlagen dem Kosaken zur Aut¬
wort. „Und Sie, meine Herren, werden ein wenig auf mich warten", wandte
ich mich zu meinen glücklicheren Kameraden. „Wir wollen ein wenig warten",
gähnte Lieutenant Usogrysow und reckte sich aus. „Aber bleiben Sie nicht
lange", sagte unser Doktor, indem er sich gepreßten Kaviar aus der Büchse
auf seinen Kommiszwieback strich. Dabei nahm er den ungeheuern silbernen
Absynthbecher von der grauen Tuchschabracke, die uns als Tischtuch dienen
mußte, und schickte sich an zu „gießen". „Wir wollen inzwischen ohne Sie
ein bischen anfangen, ich setze einen Viertelrubel, nicht mehr", tröstete mich
Spjelochwatow und mischte geräuschvoll die Karten.

Fröhlich ist's Soldatenleben,
Treu des Zaren Dienst ergeben

scholl es im Chorgesang von den Pferdepflvcken herüber.

„Ja ja, der Dienst!" seufzte ich ergebungsvoll, kleidete mich vollends
ordonnanzmäßig an und schritt zu meinem Zelte hinaus. „Also warten Sie,
meine Herren", rief ich noch einmal zurück, indem ich in den schwülen, schwan¬
kenden Nebel hinausblickte und das hellrothe Banner unsres Generals mit
seinen sieben großen Sternen zu erspähen suchte.

Die beiden Ränder des steinigen Thales entlang breitete sich unser Bivouak
aus. Die weißen Gruppen der beweglichen Soldatenzelte glänzten in regel¬
mäßigen Vierecken aus dem dunkelzimmetfarbigen Boden, der wie gebrannt
aussah. Lange Reihen von Gewehrpyramiden umsäumten diese Vierecke auf
ihrer Vorderseite. Vor den Gewehren wankten im Halbschlaf die vom Kopf
bis zum Fuß weißgekleideten Linienschildwachen auf und ab. Unter den Zelten,
die nicht höher waren als anderthalb Ellen, blickten von allen Seiten be¬
schuhte und unbeschuhte Füße hervor, und das Schnarchen der Schläfer drang
laut heraus. An langen Pflöcken standen die Artilleriepferde und ließen ihre
krummnasigen Köpse hängen, ohne auf die vor ihnen aufgeschütteten gekrönt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/20>, abgerufen am 23.07.2024.