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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Hof durchbrausen. Aber parallel damit läuft auch eine Reihe von Zeugnissen
verständiger Würdigung und wohlwollender Fürsorge, welche Fürsten und
Stande der verschiedensten Zeiten dieser Pflanzschule idealer Bestrebungen ange-
deihen ließen, bis denn in der Gegenwart, wie man dem Berichterstatter abmerkt,
alle billigen Anforderungen der Lehrer wie der Schüler nach Möglichkeit be¬
friedigt worden sind. Eine solche Bescheerung haben sie sicherlich nicht mehr
zu erwarten, wie sie am ersten Weihnachtsfeiertage 1693 dem Kantor von
Se. Afra zu Theil wurde, dessen Wohnstube "unter währendem Gottesdienste...
mit großem Krachen einfiel".

Höchst eigenthümlich sind die Einrichtungen, die eine frühere Zeit für die
äußeren Bedürfnisse der Afrcmer getroffen hatte. So sorgte für die Reinigung
der Schlafkammern von etwaigen ungebetenen Gästen das "Wanzenfest".
Dasselbe fand bis zum Jahre 1795 alle drei Jahre, von da an aber der grö¬
ßeren Sicherheit halber alljährlich unter eifriger Mitwirkung der Schüler statt.
Die Kämpfe, die dabei durchgefochten wurden, haben auch ihren Sänger ge¬
funden in einem, der einst selbst ein Held derselben war: ein alter Afrcmer
hat sie unter dem Titel ^urMtorirun in lateinische Hexameter gebracht. Aber
auch für die persönliche Reinlichkeit der Zöglinge war von Alters her Für¬
sorge getroffen. Nicht nur, daß den Afranern des 16. Jahrhunderts eine
Badestube und ein Bader zur Verfügung standen, sondern es war ihnen auch
"ein sonderlich Weib verordnet, um ihnen zu den Häupten zu sehen und ihnen
die, so oft es von Nöthen, zu reinigen".

Zur Bekleidung erhalten nach der Stiftungsurkunde Lehrer und Schüler
jährlich je zehn Ellen Tuch, letztere auch etliche paar Schuhe. Trotzdem machte
sich gerade auf diesem Gebiete die verschiedene finanzielle Lage der Einzelnen
sehr stark geltend. Während mehrere Reskripte schon des 16. Jahrhunderts
Ursache haben, sich gegen das Ueberhandnehmen einer burschikos-militärischen
Tracht zu wenden, finden sich andrerseits auch wieder arme Teufel unter den
Schülern, die auf ihrer Kammer bleiben müssen, wenn ihre einzigen Hosen dem
Schneider in die Kur gegeben worden sind.

Interessant ist es, die Geschichte des Schultisches zu verfolgen. Die beiden
Hauptmahlzeiten fielen nach der Schulordnung des Herzog Moritz auf VälO Uhr
Vormittags und 4 Uhr Nachmittags, und diese sollten nicht etwa das Frühstück
und ein auf vornehme Stunde verlegtes Mittagsmahl repräsentiren, sondern
das Mittags- und Abendessen. Erst 1710 tritt an Stelle dieser außerordentlich
frühzeitigen Speisetermine die Zeit von 11 und 6 Uhr, 1835 die von 12 und
7 Uhr, und seit 1850 wird um 1 Uhr zu Mittag gegessen. Es scheint
also mit dem Fortschritte der modernen Zivilisation eine immer größere Ver¬
schiebung der Tagesordnung nach den späteren Tagesstunden in der Richtung


Grenzboten IV. 1379. 25

Hof durchbrausen. Aber parallel damit läuft auch eine Reihe von Zeugnissen
verständiger Würdigung und wohlwollender Fürsorge, welche Fürsten und
Stande der verschiedensten Zeiten dieser Pflanzschule idealer Bestrebungen ange-
deihen ließen, bis denn in der Gegenwart, wie man dem Berichterstatter abmerkt,
alle billigen Anforderungen der Lehrer wie der Schüler nach Möglichkeit be¬
friedigt worden sind. Eine solche Bescheerung haben sie sicherlich nicht mehr
zu erwarten, wie sie am ersten Weihnachtsfeiertage 1693 dem Kantor von
Se. Afra zu Theil wurde, dessen Wohnstube „unter währendem Gottesdienste...
mit großem Krachen einfiel".

Höchst eigenthümlich sind die Einrichtungen, die eine frühere Zeit für die
äußeren Bedürfnisse der Afrcmer getroffen hatte. So sorgte für die Reinigung
der Schlafkammern von etwaigen ungebetenen Gästen das „Wanzenfest".
Dasselbe fand bis zum Jahre 1795 alle drei Jahre, von da an aber der grö¬
ßeren Sicherheit halber alljährlich unter eifriger Mitwirkung der Schüler statt.
Die Kämpfe, die dabei durchgefochten wurden, haben auch ihren Sänger ge¬
funden in einem, der einst selbst ein Held derselben war: ein alter Afrcmer
hat sie unter dem Titel ^urMtorirun in lateinische Hexameter gebracht. Aber
auch für die persönliche Reinlichkeit der Zöglinge war von Alters her Für¬
sorge getroffen. Nicht nur, daß den Afranern des 16. Jahrhunderts eine
Badestube und ein Bader zur Verfügung standen, sondern es war ihnen auch
„ein sonderlich Weib verordnet, um ihnen zu den Häupten zu sehen und ihnen
die, so oft es von Nöthen, zu reinigen".

Zur Bekleidung erhalten nach der Stiftungsurkunde Lehrer und Schüler
jährlich je zehn Ellen Tuch, letztere auch etliche paar Schuhe. Trotzdem machte
sich gerade auf diesem Gebiete die verschiedene finanzielle Lage der Einzelnen
sehr stark geltend. Während mehrere Reskripte schon des 16. Jahrhunderts
Ursache haben, sich gegen das Ueberhandnehmen einer burschikos-militärischen
Tracht zu wenden, finden sich andrerseits auch wieder arme Teufel unter den
Schülern, die auf ihrer Kammer bleiben müssen, wenn ihre einzigen Hosen dem
Schneider in die Kur gegeben worden sind.

Interessant ist es, die Geschichte des Schultisches zu verfolgen. Die beiden
Hauptmahlzeiten fielen nach der Schulordnung des Herzog Moritz auf VälO Uhr
Vormittags und 4 Uhr Nachmittags, und diese sollten nicht etwa das Frühstück
und ein auf vornehme Stunde verlegtes Mittagsmahl repräsentiren, sondern
das Mittags- und Abendessen. Erst 1710 tritt an Stelle dieser außerordentlich
frühzeitigen Speisetermine die Zeit von 11 und 6 Uhr, 1835 die von 12 und
7 Uhr, und seit 1850 wird um 1 Uhr zu Mittag gegessen. Es scheint
also mit dem Fortschritte der modernen Zivilisation eine immer größere Ver¬
schiebung der Tagesordnung nach den späteren Tagesstunden in der Richtung


Grenzboten IV. 1379. 25
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[0193] Hof durchbrausen. Aber parallel damit läuft auch eine Reihe von Zeugnissen verständiger Würdigung und wohlwollender Fürsorge, welche Fürsten und Stande der verschiedensten Zeiten dieser Pflanzschule idealer Bestrebungen ange- deihen ließen, bis denn in der Gegenwart, wie man dem Berichterstatter abmerkt, alle billigen Anforderungen der Lehrer wie der Schüler nach Möglichkeit be¬ friedigt worden sind. Eine solche Bescheerung haben sie sicherlich nicht mehr zu erwarten, wie sie am ersten Weihnachtsfeiertage 1693 dem Kantor von Se. Afra zu Theil wurde, dessen Wohnstube „unter währendem Gottesdienste... mit großem Krachen einfiel". Höchst eigenthümlich sind die Einrichtungen, die eine frühere Zeit für die äußeren Bedürfnisse der Afrcmer getroffen hatte. So sorgte für die Reinigung der Schlafkammern von etwaigen ungebetenen Gästen das „Wanzenfest". Dasselbe fand bis zum Jahre 1795 alle drei Jahre, von da an aber der grö¬ ßeren Sicherheit halber alljährlich unter eifriger Mitwirkung der Schüler statt. Die Kämpfe, die dabei durchgefochten wurden, haben auch ihren Sänger ge¬ funden in einem, der einst selbst ein Held derselben war: ein alter Afrcmer hat sie unter dem Titel ^urMtorirun in lateinische Hexameter gebracht. Aber auch für die persönliche Reinlichkeit der Zöglinge war von Alters her Für¬ sorge getroffen. Nicht nur, daß den Afranern des 16. Jahrhunderts eine Badestube und ein Bader zur Verfügung standen, sondern es war ihnen auch „ein sonderlich Weib verordnet, um ihnen zu den Häupten zu sehen und ihnen die, so oft es von Nöthen, zu reinigen". Zur Bekleidung erhalten nach der Stiftungsurkunde Lehrer und Schüler jährlich je zehn Ellen Tuch, letztere auch etliche paar Schuhe. Trotzdem machte sich gerade auf diesem Gebiete die verschiedene finanzielle Lage der Einzelnen sehr stark geltend. Während mehrere Reskripte schon des 16. Jahrhunderts Ursache haben, sich gegen das Ueberhandnehmen einer burschikos-militärischen Tracht zu wenden, finden sich andrerseits auch wieder arme Teufel unter den Schülern, die auf ihrer Kammer bleiben müssen, wenn ihre einzigen Hosen dem Schneider in die Kur gegeben worden sind. Interessant ist es, die Geschichte des Schultisches zu verfolgen. Die beiden Hauptmahlzeiten fielen nach der Schulordnung des Herzog Moritz auf VälO Uhr Vormittags und 4 Uhr Nachmittags, und diese sollten nicht etwa das Frühstück und ein auf vornehme Stunde verlegtes Mittagsmahl repräsentiren, sondern das Mittags- und Abendessen. Erst 1710 tritt an Stelle dieser außerordentlich frühzeitigen Speisetermine die Zeit von 11 und 6 Uhr, 1835 die von 12 und 7 Uhr, und seit 1850 wird um 1 Uhr zu Mittag gegessen. Es scheint also mit dem Fortschritte der modernen Zivilisation eine immer größere Ver¬ schiebung der Tagesordnung nach den späteren Tagesstunden in der Richtung Grenzboten IV. 1379. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/193>, abgerufen am 23.07.2024.