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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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sammen. Zur Natur hat er ein persönliches Verhältniß, Menschen faßt er
gern wie Naturphänomene auf. Den Wind personifizirt er, Jung Volker dem
Räuber sieht er zu, wie man einer lustig lodernden Flamme zusieht. Freilich,
Jung Volker ist der Sohn des Windes. Aber was bei dieser halb mythischen
Gestalt mit Händen zu greifen ist, gilt bis zu einem gewissen Grade doch auch
sonst. Ich erinnere, um nur ein Beispiel zu nennen, an die Gestalt Mozarts
in der letzten Novelle des Dichters. Die wohlmeinenden Bemühungen, Mozarts
Natur einzudämmen, entlocken uns fast ein Lächeln. So naturnothwendig er¬
scheint, was er thut. Durchaus sind es mehr Naturen als Charaktere, mehr
Schicksale als Thaten, die den Dichter beschäftigen. Er moralisirt nicht, unifor-
mirt nicht. Gerade an der bunten Mannigfaltigkeit des Lebens weidet er sich,
unbefangen in seiner Freude, harmlos, liebenswürdig in seinem Humor. Er
war geneigt, jede Individualität gelten zu lassen, er schien fähig, jede zu
verstehen.

Aber nur der Tendenz nach war diese Fähigkeit des Verständnisses all¬
umfassend, sie hatte ihre Grenze in dem Dichter. Seiner Beschaulichkeit fehlt
das Gegengewicht, der Zug zu zielbewußtem, energischem Handeln, das Pathos.
Und darum das Organ für willensstarke, leidenschaftliche Charaktere und noch
mehr für das Element, in dem sie leben, für den Kampf in allen seinen Ge¬
stalten, oder kurzgesagt, für das Drama. Ihn wiesen die Innigkeit seiner
Empfindung auf die Lyrik, seine Freude an der breiten Entfaltung des Lebens
auf die epische Poesie. Aber auch in der erzählenden Dichtung setzt ihm seine
beschauliche Natur bestimmte Schranken. Seine Kraft versagt, wo es um das
Gerüst einer kräftiggestalteten, vielverzweigten Handlung zu thun ist. "Lied,
Märchen, Idylle", so bezeichnete Strauß schon 1847 die Felder des Dichters.
Wie berechtigt es war, neben dem Liede und der Idylle dem Märchen eine
Stelle zu geben, hat das "Hutzelmännlein" (1853) gezeigt.

Wie die Gattungen seiner Poesie, so wird auch ihr Stoff durch seine
individuelle Natur bestimmt. Er kennt nicht, was die Menschen trennt:
Interessen, Tendenzen. Seiner idyllischen Grundstimmung entspricht es, daß
er sich so gern im Kreise der Natur und der nächsten Umgebung hält, im
Menschlichen die einfachsten Verhältnisse liebt und über das Privatleben über¬
haupt nicht hinausgeht. Das einzige Interesse, das außer den allgemein mensch¬
lichen eine Rolle spielt, ist das für die Kunst. Rollen ist Maler, Larkens
(sein Freund) Schauspieler, Mozart --Mozart. Auch die untergeordneten Künste
und Künstler dürfen wir nicht vergessen. Mörike hat eine naive Freude an
Schattenspiel, Maskeraden, Aufführungen und Aufzügen, an Glanz, Farben
und jedem schönen Schein, eine lebhafte Empfänglichkeit für den stillen Reiz
einer schönen Gruppe, wie für den sehnsuchterweckenden Zauber schöner, scheinbar


sammen. Zur Natur hat er ein persönliches Verhältniß, Menschen faßt er
gern wie Naturphänomene auf. Den Wind personifizirt er, Jung Volker dem
Räuber sieht er zu, wie man einer lustig lodernden Flamme zusieht. Freilich,
Jung Volker ist der Sohn des Windes. Aber was bei dieser halb mythischen
Gestalt mit Händen zu greifen ist, gilt bis zu einem gewissen Grade doch auch
sonst. Ich erinnere, um nur ein Beispiel zu nennen, an die Gestalt Mozarts
in der letzten Novelle des Dichters. Die wohlmeinenden Bemühungen, Mozarts
Natur einzudämmen, entlocken uns fast ein Lächeln. So naturnothwendig er¬
scheint, was er thut. Durchaus sind es mehr Naturen als Charaktere, mehr
Schicksale als Thaten, die den Dichter beschäftigen. Er moralisirt nicht, unifor-
mirt nicht. Gerade an der bunten Mannigfaltigkeit des Lebens weidet er sich,
unbefangen in seiner Freude, harmlos, liebenswürdig in seinem Humor. Er
war geneigt, jede Individualität gelten zu lassen, er schien fähig, jede zu
verstehen.

Aber nur der Tendenz nach war diese Fähigkeit des Verständnisses all¬
umfassend, sie hatte ihre Grenze in dem Dichter. Seiner Beschaulichkeit fehlt
das Gegengewicht, der Zug zu zielbewußtem, energischem Handeln, das Pathos.
Und darum das Organ für willensstarke, leidenschaftliche Charaktere und noch
mehr für das Element, in dem sie leben, für den Kampf in allen seinen Ge¬
stalten, oder kurzgesagt, für das Drama. Ihn wiesen die Innigkeit seiner
Empfindung auf die Lyrik, seine Freude an der breiten Entfaltung des Lebens
auf die epische Poesie. Aber auch in der erzählenden Dichtung setzt ihm seine
beschauliche Natur bestimmte Schranken. Seine Kraft versagt, wo es um das
Gerüst einer kräftiggestalteten, vielverzweigten Handlung zu thun ist. „Lied,
Märchen, Idylle", so bezeichnete Strauß schon 1847 die Felder des Dichters.
Wie berechtigt es war, neben dem Liede und der Idylle dem Märchen eine
Stelle zu geben, hat das „Hutzelmännlein" (1853) gezeigt.

Wie die Gattungen seiner Poesie, so wird auch ihr Stoff durch seine
individuelle Natur bestimmt. Er kennt nicht, was die Menschen trennt:
Interessen, Tendenzen. Seiner idyllischen Grundstimmung entspricht es, daß
er sich so gern im Kreise der Natur und der nächsten Umgebung hält, im
Menschlichen die einfachsten Verhältnisse liebt und über das Privatleben über¬
haupt nicht hinausgeht. Das einzige Interesse, das außer den allgemein mensch¬
lichen eine Rolle spielt, ist das für die Kunst. Rollen ist Maler, Larkens
(sein Freund) Schauspieler, Mozart —Mozart. Auch die untergeordneten Künste
und Künstler dürfen wir nicht vergessen. Mörike hat eine naive Freude an
Schattenspiel, Maskeraden, Aufführungen und Aufzügen, an Glanz, Farben
und jedem schönen Schein, eine lebhafte Empfänglichkeit für den stillen Reiz
einer schönen Gruppe, wie für den sehnsuchterweckenden Zauber schöner, scheinbar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/181>, abgerufen am 27.08.2024.