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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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des Einzelnen überlassen, ob er folgen will oder nicht. Der Priester sei Lehrer
und Arzt, nicht Richter."

Weiter bestimmt Marsiglio das Verhältniß zwischen Staat und Kirche
genauer. Wie der Geistliche fortan dem weltlichen Gerichte unterworfen sein
soll, so darf er die Lasten und Pflichten der bürgerlichen Gemeinschaft, deren
Schutz er sich erfreut, nicht vernachlässigen; Steuerfreiheit ist ihm daher nicht
länger zuzugestehen. Nach Gutdünken des Staates soll die Zahl der Pfründen
bestimmt werden. Die Gemeinde ist es auch, die den Geistlichen einsetzt, den
Untauglichen entfernt. nachlässige werden von ihr zu sorgsamerer Pflicht¬
erfüllung ermahnt.

Auch die Berufung eines Concils steht nicht dem Papste, sondern der
weltlichen Macht, dem Kaiser zu. Mit des Kaisers Genehmigung beschäftigt
sich das Concil mit rein kirchlichen Angelegenheiten. Für die Durchführung
der Concilienbeschlüsse zu sorgen ist allein Sache des Staates, der ja allein eine
zwingende Gerichtsbarkeit hat.

Das ganze Gebäude der Hierarchie zerschlägt Marsiglio. Weder im gött¬
lichen Rechte noch in der Schrift findet er irgend welche Begründung für den
Primat des römischen Bischofs; wenn er denselben dennoch erhalten wissen
will, so geschieht es nur um der Einheit der Kirche willen. Aber die Autorität
des Papstes kann nur von dem allgemeinen Concile und der staatlichen Gesetz¬
gebung abgeleitet werden, und seine Aufgabe ist darauf beschränkt, mit dem
ihm vom Staate oder dem Concile zugeordneten Kollegium die Nothwendigkeit
der Zusammenberufung eines Concils der staatlichen Behörde anzuzeigen, auf
dem Concil den Vorsitz zu führen, die Beschlüsse zu redigiren, für ihre Durch^
führung zu sorgen, eventuell die exekutive Macht anzurufen.

Nachdem so die Machtansprüche des Klerus durchgreifend zurückgewiesen
sind, wird auch der priesterliche Antheil an den Freuden des Lebens geschmälert.
Die Nachfolger Christi im Hirtenamte sollen ihrem Meister auch im Stande
der Armuth und Weltverachtung folgen. Die Kirche soll fernerhin kein Eigen¬
thum besitzen, denn Christus ist arm gewesen, und das Himmelreich ist des
Armen. Den nöthigen Lebensunterhalt mögen die Geistlichen sich erbitten oder
durch Arbeit erwerben, wie es die Apostel gethan haben.

Soweit die Lehren des Marsiglio. Die Zeit schien jetzt gekommen, das
Wort zur That werden zu lassen. Im Sommer 1326 kam Marsiglio mit
seinem Freunde Johann von Jandun zu König Ludwig nach Nürnberg, um
ihm den vktsQLor x^vis zu überreichen. Wir besitzen über die Aufnahme eine
Schilderung, die bei aller rhetorischen Ausschmückung der Wahrheit doch nahe
kommen mag.

"Bei Gott," rief der Wittelsbacher, "wer hat Euch veranlaßt, aus einem


des Einzelnen überlassen, ob er folgen will oder nicht. Der Priester sei Lehrer
und Arzt, nicht Richter."

Weiter bestimmt Marsiglio das Verhältniß zwischen Staat und Kirche
genauer. Wie der Geistliche fortan dem weltlichen Gerichte unterworfen sein
soll, so darf er die Lasten und Pflichten der bürgerlichen Gemeinschaft, deren
Schutz er sich erfreut, nicht vernachlässigen; Steuerfreiheit ist ihm daher nicht
länger zuzugestehen. Nach Gutdünken des Staates soll die Zahl der Pfründen
bestimmt werden. Die Gemeinde ist es auch, die den Geistlichen einsetzt, den
Untauglichen entfernt. nachlässige werden von ihr zu sorgsamerer Pflicht¬
erfüllung ermahnt.

Auch die Berufung eines Concils steht nicht dem Papste, sondern der
weltlichen Macht, dem Kaiser zu. Mit des Kaisers Genehmigung beschäftigt
sich das Concil mit rein kirchlichen Angelegenheiten. Für die Durchführung
der Concilienbeschlüsse zu sorgen ist allein Sache des Staates, der ja allein eine
zwingende Gerichtsbarkeit hat.

Das ganze Gebäude der Hierarchie zerschlägt Marsiglio. Weder im gött¬
lichen Rechte noch in der Schrift findet er irgend welche Begründung für den
Primat des römischen Bischofs; wenn er denselben dennoch erhalten wissen
will, so geschieht es nur um der Einheit der Kirche willen. Aber die Autorität
des Papstes kann nur von dem allgemeinen Concile und der staatlichen Gesetz¬
gebung abgeleitet werden, und seine Aufgabe ist darauf beschränkt, mit dem
ihm vom Staate oder dem Concile zugeordneten Kollegium die Nothwendigkeit
der Zusammenberufung eines Concils der staatlichen Behörde anzuzeigen, auf
dem Concil den Vorsitz zu führen, die Beschlüsse zu redigiren, für ihre Durch^
führung zu sorgen, eventuell die exekutive Macht anzurufen.

Nachdem so die Machtansprüche des Klerus durchgreifend zurückgewiesen
sind, wird auch der priesterliche Antheil an den Freuden des Lebens geschmälert.
Die Nachfolger Christi im Hirtenamte sollen ihrem Meister auch im Stande
der Armuth und Weltverachtung folgen. Die Kirche soll fernerhin kein Eigen¬
thum besitzen, denn Christus ist arm gewesen, und das Himmelreich ist des
Armen. Den nöthigen Lebensunterhalt mögen die Geistlichen sich erbitten oder
durch Arbeit erwerben, wie es die Apostel gethan haben.

Soweit die Lehren des Marsiglio. Die Zeit schien jetzt gekommen, das
Wort zur That werden zu lassen. Im Sommer 1326 kam Marsiglio mit
seinem Freunde Johann von Jandun zu König Ludwig nach Nürnberg, um
ihm den vktsQLor x^vis zu überreichen. Wir besitzen über die Aufnahme eine
Schilderung, die bei aller rhetorischen Ausschmückung der Wahrheit doch nahe
kommen mag.

„Bei Gott," rief der Wittelsbacher, „wer hat Euch veranlaßt, aus einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/16>, abgerufen am 26.06.2024.