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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Dienstboten", zur "Entsalzung von Seewasser", zur "Extrcchirung von Silber
aus Blei", zur "Verwandelung von Quecksilber in hämmerbares und schönes
Metall", zur "Einführung von Eselshengsten aus Spanien", zum "Handel mit
Menschenhaaren", zur "Konstruktion eines Rades für unaufhörliche Bewegung"
zogen Massen eifriger Unterzeichner an. Ein Gründer kündigte eine Com¬
pagnie an für ein "Unternehmen, das seinerzeit bekannt gemacht werden sollte",
jeder Subskribent hatte vorläufig zwei Guineen einzuzahlen, später sollte er
eine Aktie von hundert und Aufschluß über den Gegenstand des Projekts be¬
kommen. Der Unternehmer empfing am ersten Morgen nach seiner Ankündi¬
gung der Sache 2000 Guineen, mit denen er sogleich verschwand.

Natürlich steigerte diese Leidenschaft für Spekulation auch den schon vor¬
handenen Geschmack am Spiel im Privatleben. Der Mittelpunkt war hier
für die höheren Klassen in London Whites Chokoladehaus. Swift erzählt, daß
Lord Oxford niemals daran vorüberging, ohne ihm, der "Pest des englischen
Adels", einen Fluch zuzuschleuderu. Außer ihm aber gab es noch eine Menge
ähnlicher Etablissements, die um Charing Croß, Leicester Fields und Golden
Square aufgetaucht waren. Der Herzog vou Devonshire verlor im Bassetspiel
ein Landgut. Der feine Geist Chesterfields lag ganz in den Banden dieses
Lasters. Zu Bath, dem damaligen Stelldichein der vornehmen Welt Englands,
herrschte dasselbe unumschränkt, ja die Aerzte empfahlen es ihren Patienten
als eine Art Zerstreuung. Mrs. Bellamy berichtet, daß in den Ankleide¬
zimmern der Theater oft Tausende von Guineen in einer Nacht verloren und
gewonnen wurden. Nicht minder stark als unter den Herren war die Leiden¬
schaft bei den Damen, bei deren Morgentoilette regelmäßig auch der Professor
des Whist aufwartete. Miß Pelham, die Tochter des Premierministers Georgs
des Zweiten, war eine der berüchtigtsten Spielerinnen ihrer Zeit, und Lady
Cowper spricht in ihrem Tagebuche von Spielabenden bei Hofe, wo der nie¬
drigste Einsatz 200 Guineen - also 4000 Mark - betrug. Kein Wunder
daher, daß der in England reisende Sohn Brühls, des Anssaugers von Sachsen,
in wenigen Wochen 80000 Thaler im Spiele verlor.

Wir schließen mit einigen Auszügen aus dem, was Lecky über den Kunst¬
geschmack und gewisse Vergnügungen der höheren Klassen des damaligen Eng¬
lands mittheilt. Man interessirte sich vielfach für Bilder, namentlich für die
von ausländischen Malern. Man protegirte die Musik, doch gelang es Händel
nur mit Schwierigkeit, zur Anerkennung durchzudringen. Das Theater nahm
einen bedeutenden Aufschwung. In der Anlegung von Gurten kehrte man von
der Nachahmung französischer Künstelei mehr und mehr zur Natur zurück.
Im allgemeinen aber war die englische Kunst in dieser Periode steril, und
selbst in der vornehmen Welt interessirten sich Viele weit mehr für Stierhetzen


Dienstboten", zur „Entsalzung von Seewasser", zur „Extrcchirung von Silber
aus Blei", zur „Verwandelung von Quecksilber in hämmerbares und schönes
Metall", zur „Einführung von Eselshengsten aus Spanien", zum „Handel mit
Menschenhaaren", zur „Konstruktion eines Rades für unaufhörliche Bewegung"
zogen Massen eifriger Unterzeichner an. Ein Gründer kündigte eine Com¬
pagnie an für ein „Unternehmen, das seinerzeit bekannt gemacht werden sollte",
jeder Subskribent hatte vorläufig zwei Guineen einzuzahlen, später sollte er
eine Aktie von hundert und Aufschluß über den Gegenstand des Projekts be¬
kommen. Der Unternehmer empfing am ersten Morgen nach seiner Ankündi¬
gung der Sache 2000 Guineen, mit denen er sogleich verschwand.

Natürlich steigerte diese Leidenschaft für Spekulation auch den schon vor¬
handenen Geschmack am Spiel im Privatleben. Der Mittelpunkt war hier
für die höheren Klassen in London Whites Chokoladehaus. Swift erzählt, daß
Lord Oxford niemals daran vorüberging, ohne ihm, der „Pest des englischen
Adels", einen Fluch zuzuschleuderu. Außer ihm aber gab es noch eine Menge
ähnlicher Etablissements, die um Charing Croß, Leicester Fields und Golden
Square aufgetaucht waren. Der Herzog vou Devonshire verlor im Bassetspiel
ein Landgut. Der feine Geist Chesterfields lag ganz in den Banden dieses
Lasters. Zu Bath, dem damaligen Stelldichein der vornehmen Welt Englands,
herrschte dasselbe unumschränkt, ja die Aerzte empfahlen es ihren Patienten
als eine Art Zerstreuung. Mrs. Bellamy berichtet, daß in den Ankleide¬
zimmern der Theater oft Tausende von Guineen in einer Nacht verloren und
gewonnen wurden. Nicht minder stark als unter den Herren war die Leiden¬
schaft bei den Damen, bei deren Morgentoilette regelmäßig auch der Professor
des Whist aufwartete. Miß Pelham, die Tochter des Premierministers Georgs
des Zweiten, war eine der berüchtigtsten Spielerinnen ihrer Zeit, und Lady
Cowper spricht in ihrem Tagebuche von Spielabenden bei Hofe, wo der nie¬
drigste Einsatz 200 Guineen - also 4000 Mark - betrug. Kein Wunder
daher, daß der in England reisende Sohn Brühls, des Anssaugers von Sachsen,
in wenigen Wochen 80000 Thaler im Spiele verlor.

Wir schließen mit einigen Auszügen aus dem, was Lecky über den Kunst¬
geschmack und gewisse Vergnügungen der höheren Klassen des damaligen Eng¬
lands mittheilt. Man interessirte sich vielfach für Bilder, namentlich für die
von ausländischen Malern. Man protegirte die Musik, doch gelang es Händel
nur mit Schwierigkeit, zur Anerkennung durchzudringen. Das Theater nahm
einen bedeutenden Aufschwung. In der Anlegung von Gurten kehrte man von
der Nachahmung französischer Künstelei mehr und mehr zur Natur zurück.
Im allgemeinen aber war die englische Kunst in dieser Periode steril, und
selbst in der vornehmen Welt interessirten sich Viele weit mehr für Stierhetzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/159>, abgerufen am 29.07.2024.