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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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man die Schuldgefangenen mit Dieben und Räubern zusammensetzte, und daß
der Kerkermeister die ärgste Tyrannei ausübte. In den meisten großen Ge¬
fängnissen richtete das Kerkerfieber, verursacht durch Schmutz, Ueberfüllung,
Mangel an Lüftung, schlechte Abzugsröhren und ungenügende Nahrung, schreck¬
liche Verwüstungen an und verbreitete sich von diesen Zentren aus über die
ganze Bevölkerung. 1750 wüthete diese Krankheit im Newgate-Gefängniß so
stark, daß bei den Old-Bailey-Assisen der Lord Mayor, zwei Richter, ein Alder-
man und eine Anzahl von anderen Personen in der Stadt daran starben.
Durch Oglethorpes Anstrengungen wurden diese Zustände nur theilweise ge¬
mildert, und das ganze vorige Jahrhundert hindurch blieb die Einrichtung und
Verwaltung der englischen Gefängnisse eine Schmach und Schande. Im Jahre
1759 berechnete Dr. Johnson die Zahl der darin eingekerkerten Schuldner auf
20000 und behauptete, daß jährlich einer von vieren durch die Behandlung,
die sie erfuhren, umkomme.

Im höchsten Grade inhuman war die Behandlung, welche die Seeleute
der Marine und die Soldaten des Heeres erfuhren. Die in "Roderick Randon"
enthaltene anschauliche Schilderung der Leiden, welche Matrosen auf Kriegs¬
schiffen zu erdulden hatten, fußt auf eignen Erfahrungen des Verfassers
(Smollet), der 1741 als Wundarzt eines Linienschiffs während der Expedition
gegen Cartagena diente, und wer sie liest, wird begreifen, daß es nicht möglich
war, die damalige britische Flotte anders als durch "Pressen", d. h. gewalt¬
samen Einfang von Leuten für den Dienst auf ihr, zu bemannen. Die Lage
der Armee aber war wenig besser. Aus einer Denkschrift von 1707 geht her¬
vor, daß die Garnison von Portsmouth in nicht ganz anderthalb Jahren durch
Tod und Fahnenflucht sich auf die Hälfte reduzirt hatte, und zwar war die
große Sterblichkeit durch schlechte Kasernen, Ueberfüllung und Maugel an Hei¬
zung herbeigeführt. Die Strafen waren allenthalben barbarisch, freilich auch
die, mit denen das Gesetz Vergehen und Verbrechen des Zivilstandes bedrohte.

Der Strafkodex dieser Zeit war nicht nur furchtbar blutig, er wurde auch
in einer Weise ausgeführt, die das Volk brutalisireu mußte. Das englische
Gesetz wußte nichts von willkürlicher Einsperrung und nichts von eigentlicher
Tortur, es kannte die Strafe des Räderns nicht, und keine englische Hinrichtung
war so schrecklich wie die, welche zu Anfange des vorigen Jahrhunderts in den
Cevennen stattfanden, oder wie die damaligen Autodafes in Spanien. Aber
das ist auch alles, was sich sagen läßt. Exekutionen waren in England eine
Volksunterhaltung und blieben dies bis vor wenigen Jahren. Eine gräßliche
Reihe von abgeschlagenen Rebellenköpfen moderte nach der Rebellion von 1745
auf der Mauerkrönung von Temple Bar. Fast in jedem Stadtviertel Londons
stand ein Galgen, aus dem Gehenkte in Ketten faulem. Als Blackstone schrieb,


man die Schuldgefangenen mit Dieben und Räubern zusammensetzte, und daß
der Kerkermeister die ärgste Tyrannei ausübte. In den meisten großen Ge¬
fängnissen richtete das Kerkerfieber, verursacht durch Schmutz, Ueberfüllung,
Mangel an Lüftung, schlechte Abzugsröhren und ungenügende Nahrung, schreck¬
liche Verwüstungen an und verbreitete sich von diesen Zentren aus über die
ganze Bevölkerung. 1750 wüthete diese Krankheit im Newgate-Gefängniß so
stark, daß bei den Old-Bailey-Assisen der Lord Mayor, zwei Richter, ein Alder-
man und eine Anzahl von anderen Personen in der Stadt daran starben.
Durch Oglethorpes Anstrengungen wurden diese Zustände nur theilweise ge¬
mildert, und das ganze vorige Jahrhundert hindurch blieb die Einrichtung und
Verwaltung der englischen Gefängnisse eine Schmach und Schande. Im Jahre
1759 berechnete Dr. Johnson die Zahl der darin eingekerkerten Schuldner auf
20000 und behauptete, daß jährlich einer von vieren durch die Behandlung,
die sie erfuhren, umkomme.

Im höchsten Grade inhuman war die Behandlung, welche die Seeleute
der Marine und die Soldaten des Heeres erfuhren. Die in „Roderick Randon"
enthaltene anschauliche Schilderung der Leiden, welche Matrosen auf Kriegs¬
schiffen zu erdulden hatten, fußt auf eignen Erfahrungen des Verfassers
(Smollet), der 1741 als Wundarzt eines Linienschiffs während der Expedition
gegen Cartagena diente, und wer sie liest, wird begreifen, daß es nicht möglich
war, die damalige britische Flotte anders als durch „Pressen", d. h. gewalt¬
samen Einfang von Leuten für den Dienst auf ihr, zu bemannen. Die Lage
der Armee aber war wenig besser. Aus einer Denkschrift von 1707 geht her¬
vor, daß die Garnison von Portsmouth in nicht ganz anderthalb Jahren durch
Tod und Fahnenflucht sich auf die Hälfte reduzirt hatte, und zwar war die
große Sterblichkeit durch schlechte Kasernen, Ueberfüllung und Maugel an Hei¬
zung herbeigeführt. Die Strafen waren allenthalben barbarisch, freilich auch
die, mit denen das Gesetz Vergehen und Verbrechen des Zivilstandes bedrohte.

Der Strafkodex dieser Zeit war nicht nur furchtbar blutig, er wurde auch
in einer Weise ausgeführt, die das Volk brutalisireu mußte. Das englische
Gesetz wußte nichts von willkürlicher Einsperrung und nichts von eigentlicher
Tortur, es kannte die Strafe des Räderns nicht, und keine englische Hinrichtung
war so schrecklich wie die, welche zu Anfange des vorigen Jahrhunderts in den
Cevennen stattfanden, oder wie die damaligen Autodafes in Spanien. Aber
das ist auch alles, was sich sagen läßt. Exekutionen waren in England eine
Volksunterhaltung und blieben dies bis vor wenigen Jahren. Eine gräßliche
Reihe von abgeschlagenen Rebellenköpfen moderte nach der Rebellion von 1745
auf der Mauerkrönung von Temple Bar. Fast in jedem Stadtviertel Londons
stand ein Galgen, aus dem Gehenkte in Ketten faulem. Als Blackstone schrieb,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/156>, abgerufen am 28.07.2024.