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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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rität entfernt. Dennoch können sie die einflußreichste Fraktion sein, können auf
Charakter und Gestalt der Maßregeln in weitem Maße bestimmend wirken,
können einen Ruf wieder erlangen, den sie eben nur verloren haben, nämlich
den, in der moralischen Führung der Nation die Erben des Fürsten Bismarck
zu sein. Dies Alles können die Nationalliberalen, wenn sie aufhören, den
Fürsten Bismarck zu behindern, das Vermögen zu vergrößern, das die National¬
liberalen erben wollen und anch erben sollen, wenn sie nicht anfangen, die
Erbschaft zu verschleudern, ehe sie ihnen gehört.

Es ist wahrhaftig erbärmlich zu lesen, wie die "National-Zeitung" in Berlin
sich täglich anstellt, als sei die reaktionäre Sündfluth im Anzüge, welche die
Partei sich vorbereiten müsse über ihre Häupter brausen zu lassen, einzig bemüht,
im Boden zu haften und sich nicht von den Fluthen hinwegreißen zu lassen.
Nun, wir wollen dem trefflichen Blatte sagen, daß die Partei keinen einzigen
Sturm abzuschlagen haben wird. Man mag sich immer rüsten, wenn man
einmal aufgeregt und ängstlich ist. Nur hüte man sich, blind einzuhauen und
einen, der als guter Freund kommt, wie einen stürmenden Feind zu behandeln.
Die nächsten Aufgaben der Gesetzgebung sind: die schrittweise Beseitigung der
Klassensteuer, die Übertragung der Grund- und Gebändesteuer an die Ge¬
meindeverbände, die Eröffnung indirekter Steuerquellen, um die erstere Reform
zu ermöglichen -- vornehmlich im Reiche --, in weiterer Ferne die Ausscheidung
der Einkommensteuer aus den permanenten Steuern und ihre Verwandlung in
eine außerordentliche Steuer nach Bedürfniß und mit nach dem Bedürfniß fest¬
zustellenden Quoten des Normalprozentsatzes. An die Steuerreform schließt sich
die Eisenbahnreform, deren Haupttheil die Konsolidation des Staatsbahnsystems
bildet; hieran der Abschluß der Verwaltungsreform auf den Grundlagen der
Kreisordnung von 1872. Nach Vollendung dieser Reformen öffnet sich das
weite Gebiet der Sozialgesetzgebung, wo so viel Schweres und Heilsames zu
vollbringen ist. Alle diese Probleme sind nicht mit der liberalen Maxime des
laisssr tairs zu lösen, aber es ist eine Gespenstermacherei, an deren Künste
niemand glaubt, wenn man den Leuten einreden will, Fürst Bismarck wolle
die sozialen Probleme mittelst einer Kopie der Ordnungen des absterbenden
Feudalstaates lösen, wie sie bis zu Anfange des Jahrhunderts in Deutschland
bestanden und in Mecklenburg allein sich fragmentarisch bis heute erhalten haben.

Wie aber, wenn es nicht gelingt, was allerdings kaum glaublich, ein ra¬
tionelles Zusammenwirken der nationalen und konservativen Elemente in diesem
Abgeordnetenhause zu Stande zu bringen? So wie wir die Dinge beurtheilen,
können wir uns nicht beeilen, auf das Zentrum als auf das gegebene bereit¬
stellende Hilfscorps hinzuweisen. Bedingungen vom Zentrum sich vorschreiben
lassen wird der Kanzler nie. Aber selbst ein bedingungsloser Beistand gegen


rität entfernt. Dennoch können sie die einflußreichste Fraktion sein, können auf
Charakter und Gestalt der Maßregeln in weitem Maße bestimmend wirken,
können einen Ruf wieder erlangen, den sie eben nur verloren haben, nämlich
den, in der moralischen Führung der Nation die Erben des Fürsten Bismarck
zu sein. Dies Alles können die Nationalliberalen, wenn sie aufhören, den
Fürsten Bismarck zu behindern, das Vermögen zu vergrößern, das die National¬
liberalen erben wollen und anch erben sollen, wenn sie nicht anfangen, die
Erbschaft zu verschleudern, ehe sie ihnen gehört.

Es ist wahrhaftig erbärmlich zu lesen, wie die „National-Zeitung" in Berlin
sich täglich anstellt, als sei die reaktionäre Sündfluth im Anzüge, welche die
Partei sich vorbereiten müsse über ihre Häupter brausen zu lassen, einzig bemüht,
im Boden zu haften und sich nicht von den Fluthen hinwegreißen zu lassen.
Nun, wir wollen dem trefflichen Blatte sagen, daß die Partei keinen einzigen
Sturm abzuschlagen haben wird. Man mag sich immer rüsten, wenn man
einmal aufgeregt und ängstlich ist. Nur hüte man sich, blind einzuhauen und
einen, der als guter Freund kommt, wie einen stürmenden Feind zu behandeln.
Die nächsten Aufgaben der Gesetzgebung sind: die schrittweise Beseitigung der
Klassensteuer, die Übertragung der Grund- und Gebändesteuer an die Ge¬
meindeverbände, die Eröffnung indirekter Steuerquellen, um die erstere Reform
zu ermöglichen — vornehmlich im Reiche —, in weiterer Ferne die Ausscheidung
der Einkommensteuer aus den permanenten Steuern und ihre Verwandlung in
eine außerordentliche Steuer nach Bedürfniß und mit nach dem Bedürfniß fest¬
zustellenden Quoten des Normalprozentsatzes. An die Steuerreform schließt sich
die Eisenbahnreform, deren Haupttheil die Konsolidation des Staatsbahnsystems
bildet; hieran der Abschluß der Verwaltungsreform auf den Grundlagen der
Kreisordnung von 1872. Nach Vollendung dieser Reformen öffnet sich das
weite Gebiet der Sozialgesetzgebung, wo so viel Schweres und Heilsames zu
vollbringen ist. Alle diese Probleme sind nicht mit der liberalen Maxime des
laisssr tairs zu lösen, aber es ist eine Gespenstermacherei, an deren Künste
niemand glaubt, wenn man den Leuten einreden will, Fürst Bismarck wolle
die sozialen Probleme mittelst einer Kopie der Ordnungen des absterbenden
Feudalstaates lösen, wie sie bis zu Anfange des Jahrhunderts in Deutschland
bestanden und in Mecklenburg allein sich fragmentarisch bis heute erhalten haben.

Wie aber, wenn es nicht gelingt, was allerdings kaum glaublich, ein ra¬
tionelles Zusammenwirken der nationalen und konservativen Elemente in diesem
Abgeordnetenhause zu Stande zu bringen? So wie wir die Dinge beurtheilen,
können wir uns nicht beeilen, auf das Zentrum als auf das gegebene bereit¬
stellende Hilfscorps hinzuweisen. Bedingungen vom Zentrum sich vorschreiben
lassen wird der Kanzler nie. Aber selbst ein bedingungsloser Beistand gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/132>, abgerufen am 23.07.2024.