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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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denn man meinte, Padua sei von Antenor gegründet worden) kennzeichnet, be¬
weist allein schon, daß die Thätigkeit Johanns hinter der seines bedeutenderen
Genossen zurückgetreten ist. In aller Heimlichkeit wurde an dem Buche ge¬
arbeitet, heimlich verließen auch Marsiglio und Johann von Jandun Paris,
um das vollendete Werk dem deutschen Könige zu überbringen, dem sie es
gewidmet.

Der DötMKvr xavis war keine Streitschrift im gewöhnlichen Sinne. Wohl
weist der Titel auf die nächste Veranlassung hin, auf die Schlichtung des
Streites, den die übermäßigen Machtansprüche des Papstes hervorgerufen haben,
aber er bezieht sich zugleich weiter auf die Sicherung des Friedens überhaupt,
als die vornehmste Aufgabe eines Gemeinwesens, und damit erweitert sich das
Werk zu einer Lehre vom Staate, von der Kirche und ihrer Verfassung und
von dem Verhältniß der beiden Gewalten zu einander.

Der Friede ist das höchste Gut der Menschheit; es gilt Marsiglio, den
Nutzen der Eintracht, den Schaden der Zwietracht zu beweisen. Mancherlei
Ursachen des bürgerlichen Unfriedens gebe es; Aristoteles habe sie genugsam
dargestellt; aber seit dieser Zeit seien neue entstanden, die weder jener noch ein
anderer Philosoph habe voraussehen können. Das Römische Reich insbesondere
kranke an den Nachwirkungen eines solchen Uebels. Von diesem wolle er den
Schleier abziehen, damit es von jedem Staate abgehalten werden könne und
Fürst und Volk des friedlichen Daseins sich erfreuen könnten. Die Ursache
aber zu fortdauernder Unruhe in Deutschland liege in den weltlichen Bestre¬
bungen des Papstes, der die Grenzen seiner Macht nicht wahren wolle. Um
nun die Grundlagen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu gewinnen,
unternimmt es Marsiglio, die Lehren seiner aus Aristoteles geschöpften Politik
zu geben.

Der Staat ist ein natürlicher Organismus, der aus der Verbindung
zwischen Mann und Weib, aus dem Familienleben hervorgegangen ist und sich
vom Einfachen zum Zusammengesetzten entwickelt hat, indem Nachbarschaften,
Flecken, Kommunen entstanden. Die Gemeinden gewannen an Ausdehnung,
die menschliche Erfahrung wuchs, vollkommnere Lebensregeln und Künste wurden
erfunden, eine Gliederung in Stände beginnt sich in der Gemeinde zu entwickeln.
So entstand der Staat, jene vollendete Gemeinschaft, welche die Grenzen des
Genügens in sich hat, entstanden um des Lebens willen und bestehend, um
glücklich zu leben. Das letztere Ziel hat zwei Richtungen: auf diese und auf
jene Welt. Indem Marsiglio dem Staate anch die Sorge für das sittliche
Wohl seiner Augehörigen aufträgt, weicht er weit von der Meinung seiner
Zeitgenossen ab, die ihm nur die Aufsicht über das leibliche Wohl einräumten.

Ausführlich werden die verschiedenen Formen des Staates behandelt. Die


denn man meinte, Padua sei von Antenor gegründet worden) kennzeichnet, be¬
weist allein schon, daß die Thätigkeit Johanns hinter der seines bedeutenderen
Genossen zurückgetreten ist. In aller Heimlichkeit wurde an dem Buche ge¬
arbeitet, heimlich verließen auch Marsiglio und Johann von Jandun Paris,
um das vollendete Werk dem deutschen Könige zu überbringen, dem sie es
gewidmet.

Der DötMKvr xavis war keine Streitschrift im gewöhnlichen Sinne. Wohl
weist der Titel auf die nächste Veranlassung hin, auf die Schlichtung des
Streites, den die übermäßigen Machtansprüche des Papstes hervorgerufen haben,
aber er bezieht sich zugleich weiter auf die Sicherung des Friedens überhaupt,
als die vornehmste Aufgabe eines Gemeinwesens, und damit erweitert sich das
Werk zu einer Lehre vom Staate, von der Kirche und ihrer Verfassung und
von dem Verhältniß der beiden Gewalten zu einander.

Der Friede ist das höchste Gut der Menschheit; es gilt Marsiglio, den
Nutzen der Eintracht, den Schaden der Zwietracht zu beweisen. Mancherlei
Ursachen des bürgerlichen Unfriedens gebe es; Aristoteles habe sie genugsam
dargestellt; aber seit dieser Zeit seien neue entstanden, die weder jener noch ein
anderer Philosoph habe voraussehen können. Das Römische Reich insbesondere
kranke an den Nachwirkungen eines solchen Uebels. Von diesem wolle er den
Schleier abziehen, damit es von jedem Staate abgehalten werden könne und
Fürst und Volk des friedlichen Daseins sich erfreuen könnten. Die Ursache
aber zu fortdauernder Unruhe in Deutschland liege in den weltlichen Bestre¬
bungen des Papstes, der die Grenzen seiner Macht nicht wahren wolle. Um
nun die Grundlagen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu gewinnen,
unternimmt es Marsiglio, die Lehren seiner aus Aristoteles geschöpften Politik
zu geben.

Der Staat ist ein natürlicher Organismus, der aus der Verbindung
zwischen Mann und Weib, aus dem Familienleben hervorgegangen ist und sich
vom Einfachen zum Zusammengesetzten entwickelt hat, indem Nachbarschaften,
Flecken, Kommunen entstanden. Die Gemeinden gewannen an Ausdehnung,
die menschliche Erfahrung wuchs, vollkommnere Lebensregeln und Künste wurden
erfunden, eine Gliederung in Stände beginnt sich in der Gemeinde zu entwickeln.
So entstand der Staat, jene vollendete Gemeinschaft, welche die Grenzen des
Genügens in sich hat, entstanden um des Lebens willen und bestehend, um
glücklich zu leben. Das letztere Ziel hat zwei Richtungen: auf diese und auf
jene Welt. Indem Marsiglio dem Staate anch die Sorge für das sittliche
Wohl seiner Augehörigen aufträgt, weicht er weit von der Meinung seiner
Zeitgenossen ab, die ihm nur die Aufsicht über das leibliche Wohl einräumten.

Ausführlich werden die verschiedenen Formen des Staates behandelt. Die


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[0012] denn man meinte, Padua sei von Antenor gegründet worden) kennzeichnet, be¬ weist allein schon, daß die Thätigkeit Johanns hinter der seines bedeutenderen Genossen zurückgetreten ist. In aller Heimlichkeit wurde an dem Buche ge¬ arbeitet, heimlich verließen auch Marsiglio und Johann von Jandun Paris, um das vollendete Werk dem deutschen Könige zu überbringen, dem sie es gewidmet. Der DötMKvr xavis war keine Streitschrift im gewöhnlichen Sinne. Wohl weist der Titel auf die nächste Veranlassung hin, auf die Schlichtung des Streites, den die übermäßigen Machtansprüche des Papstes hervorgerufen haben, aber er bezieht sich zugleich weiter auf die Sicherung des Friedens überhaupt, als die vornehmste Aufgabe eines Gemeinwesens, und damit erweitert sich das Werk zu einer Lehre vom Staate, von der Kirche und ihrer Verfassung und von dem Verhältniß der beiden Gewalten zu einander. Der Friede ist das höchste Gut der Menschheit; es gilt Marsiglio, den Nutzen der Eintracht, den Schaden der Zwietracht zu beweisen. Mancherlei Ursachen des bürgerlichen Unfriedens gebe es; Aristoteles habe sie genugsam dargestellt; aber seit dieser Zeit seien neue entstanden, die weder jener noch ein anderer Philosoph habe voraussehen können. Das Römische Reich insbesondere kranke an den Nachwirkungen eines solchen Uebels. Von diesem wolle er den Schleier abziehen, damit es von jedem Staate abgehalten werden könne und Fürst und Volk des friedlichen Daseins sich erfreuen könnten. Die Ursache aber zu fortdauernder Unruhe in Deutschland liege in den weltlichen Bestre¬ bungen des Papstes, der die Grenzen seiner Macht nicht wahren wolle. Um nun die Grundlagen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zu gewinnen, unternimmt es Marsiglio, die Lehren seiner aus Aristoteles geschöpften Politik zu geben. Der Staat ist ein natürlicher Organismus, der aus der Verbindung zwischen Mann und Weib, aus dem Familienleben hervorgegangen ist und sich vom Einfachen zum Zusammengesetzten entwickelt hat, indem Nachbarschaften, Flecken, Kommunen entstanden. Die Gemeinden gewannen an Ausdehnung, die menschliche Erfahrung wuchs, vollkommnere Lebensregeln und Künste wurden erfunden, eine Gliederung in Stände beginnt sich in der Gemeinde zu entwickeln. So entstand der Staat, jene vollendete Gemeinschaft, welche die Grenzen des Genügens in sich hat, entstanden um des Lebens willen und bestehend, um glücklich zu leben. Das letztere Ziel hat zwei Richtungen: auf diese und auf jene Welt. Indem Marsiglio dem Staate anch die Sorge für das sittliche Wohl seiner Augehörigen aufträgt, weicht er weit von der Meinung seiner Zeitgenossen ab, die ihm nur die Aufsicht über das leibliche Wohl einräumten. Ausführlich werden die verschiedenen Formen des Staates behandelt. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/12>, abgerufen am 23.07.2024.