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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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zuHetzen und die verrücktesten Possen zu treiben, der ohne fremde Hilfe nicht
einmal seine Ungnade jemandem fühlbar zu machen verstand -- woher hätte ihm
auf einmal die geistige Kraft kommen sollen, selbständige Regierungsakte vor¬
zunehmen und jene zahlreichen Kabinetsbesehle zu konzipiren, in welchen
damals schlankweg selbst die wichtigsten Staatsangelegenheiten erledigt wurden?
Der angebliche Monarch war das willenloseste Werkzeug in der Hand seines
strengen Majordomus, und wenn dieser scheinbar hinter dem Könige bescheiden
zurücktretend bis zum Ende die Fiktion aufrecht zu erhalten suchte, als sei er
nichts weiter als Vollstrecker der königlichen Befehle, so that er dies lediglich
in der einleuchtenden Absicht, sich für alle Fälle den Rücken zu decken und
wenigstens die Fernerstehenden über die wahren Verhältnisse zu täuschen. Allein
auch diesen mußte schließlich der Schleier von den Augen fallen, als Struensee,
fortgerissen von seinem verzehrenden Ehrgeiz und in der Meinung, seine Autorität
damit nur noch mehr zu kräftigen, den verhängnißvollen Schritt wagte und sich
zu der Machtvollkommenheit, die er uneingeschränkt übte, auch noch den ent¬
sprechenden offiziellen Titel übertragen ließ. Bis zum Sommer des Jahres
1771 begnügte er sich mit dem Titel eines Kvnferenzrathes und der Würde
eines NsÄrk ckss Köquvtizs, mit welcher sonst die Befugniß verbunden war,
dem Könige persönlich Vortrag erstatten zu dürfen. Da, am 14. Juli -- sieben
Tage nachdem die Königin einer Tochter das Leben gegeben hatte, "deren wahrer
Vater nicht zweifelhaft erscheinen konnte" -- erfolgte zu höchster Ueberraschung
des ganzen Landes plötzlich die Ernennung Struensee's zum Geheimen Kabinets-
minister, und zwar mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß demselben das Recht
zustehen solle, Kabinetsbesehle auch ohne Unterschrift des Königs, nur unter dem
Kabinetssiegel auszufertigen, und daß ein Unterschied zwischen diesen und den
vom König selbst unterzeichneten Befehlen durchaus nicht gemacht werden dürfe.
Nach allgemeiner Meinung lag hier eine flagrante Verletzung jenes "Königs¬
gesetzes" von 1665 vor, das nur den Souverän mit unumschränkter Machtfülle
bekleidete, und das erst vor kurzem bei der Auflösung des Staatsrathes als
Deckmantel hatte dienen müssen. Allein Struensee setzte sich leichtfüßig über
solche Bedenken hinweg. Sei der König absolut, meinte er, so müsse es auch
in seinem Belieben stehen, ob er selbst eine Ordre unterzeichnen oder andere
beauftragen wolle, dies in feinem Namen zu thun. Ja, er ging noch weiter.
Nicht zufrieden mit einer Allmacht, wie sie bis dahin bei einem Unterthan in
dänischen Landen unerhört gewesen, gab er auch den bürgerlichen Stand, auf
den er dem ihm verhaßten Adel gegenüber immer so stolz gewesen, auf und ließ
sich nebst seinem Freunde Brandt in den dänischen Grafenstand erheben. Sein
neues Wappen führte im Schilde ein Schiff mit drei Masten und vollen
Segeln.


Gmizwtcn M, 1879. 9

zuHetzen und die verrücktesten Possen zu treiben, der ohne fremde Hilfe nicht
einmal seine Ungnade jemandem fühlbar zu machen verstand — woher hätte ihm
auf einmal die geistige Kraft kommen sollen, selbständige Regierungsakte vor¬
zunehmen und jene zahlreichen Kabinetsbesehle zu konzipiren, in welchen
damals schlankweg selbst die wichtigsten Staatsangelegenheiten erledigt wurden?
Der angebliche Monarch war das willenloseste Werkzeug in der Hand seines
strengen Majordomus, und wenn dieser scheinbar hinter dem Könige bescheiden
zurücktretend bis zum Ende die Fiktion aufrecht zu erhalten suchte, als sei er
nichts weiter als Vollstrecker der königlichen Befehle, so that er dies lediglich
in der einleuchtenden Absicht, sich für alle Fälle den Rücken zu decken und
wenigstens die Fernerstehenden über die wahren Verhältnisse zu täuschen. Allein
auch diesen mußte schließlich der Schleier von den Augen fallen, als Struensee,
fortgerissen von seinem verzehrenden Ehrgeiz und in der Meinung, seine Autorität
damit nur noch mehr zu kräftigen, den verhängnißvollen Schritt wagte und sich
zu der Machtvollkommenheit, die er uneingeschränkt übte, auch noch den ent¬
sprechenden offiziellen Titel übertragen ließ. Bis zum Sommer des Jahres
1771 begnügte er sich mit dem Titel eines Kvnferenzrathes und der Würde
eines NsÄrk ckss Köquvtizs, mit welcher sonst die Befugniß verbunden war,
dem Könige persönlich Vortrag erstatten zu dürfen. Da, am 14. Juli — sieben
Tage nachdem die Königin einer Tochter das Leben gegeben hatte, „deren wahrer
Vater nicht zweifelhaft erscheinen konnte" — erfolgte zu höchster Ueberraschung
des ganzen Landes plötzlich die Ernennung Struensee's zum Geheimen Kabinets-
minister, und zwar mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß demselben das Recht
zustehen solle, Kabinetsbesehle auch ohne Unterschrift des Königs, nur unter dem
Kabinetssiegel auszufertigen, und daß ein Unterschied zwischen diesen und den
vom König selbst unterzeichneten Befehlen durchaus nicht gemacht werden dürfe.
Nach allgemeiner Meinung lag hier eine flagrante Verletzung jenes „Königs¬
gesetzes" von 1665 vor, das nur den Souverän mit unumschränkter Machtfülle
bekleidete, und das erst vor kurzem bei der Auflösung des Staatsrathes als
Deckmantel hatte dienen müssen. Allein Struensee setzte sich leichtfüßig über
solche Bedenken hinweg. Sei der König absolut, meinte er, so müsse es auch
in seinem Belieben stehen, ob er selbst eine Ordre unterzeichnen oder andere
beauftragen wolle, dies in feinem Namen zu thun. Ja, er ging noch weiter.
Nicht zufrieden mit einer Allmacht, wie sie bis dahin bei einem Unterthan in
dänischen Landen unerhört gewesen, gab er auch den bürgerlichen Stand, auf
den er dem ihm verhaßten Adel gegenüber immer so stolz gewesen, auf und ließ
sich nebst seinem Freunde Brandt in den dänischen Grafenstand erheben. Sein
neues Wappen führte im Schilde ein Schiff mit drei Masten und vollen
Segeln.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/71>, abgerufen am 27.11.2024.