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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Seine Zeit füllte er aus mit der Befriedigung seiner tollen Gelüste und der
Sättigung seiner krankhaft gesteigerten sinnlichen Begierden. Von königlicher
Würde hatte er keine Ahnung. Nur eine kindische Eitelkeit lebte in seiner Seele:
er glaubte sich berufen, als Staatsmann, als Feldherr, ja selbst als Schauspieler
eine Rolle zu spielen. Und dabei eine knechtische Furcht, die ihn unaufhörlich
folterte: er fürchtete sich vor Allen, vor feinen Ministern, vor einem entlassenen
Kammerdiener, vor den Schildwachen vor seiner Thür, des Nachts vor dem
Teufel -- er fürchtete sich auch vor dem Adlerblick Struensee's. Aber mit dieser
lächerlichen Angst, der natürlichen Frucht der hartherzigen Tyrannei, die seine
Jngend in Fesseln geschlagen, paarte sich, und das war der bedenklichste Charakter¬
fehler, eine geheime Tücke, eine grausame Freude, Anderen Schmerzen zu verursachen
und sie leiden zu sehen. Ohne Glauben, ohne Liebe, ja auch ohne den Wunsch,
geliebt zu werden, führte er ein ödes, trostloses Dasein. Wohl hatte man ver¬
sucht, ihn auf bessere Wege zu bringen, aber umsonst- Selbst das Mittel ver¬
fing nicht, von dem man sich noch am meisten versprechen zu können glaubte,
seine Verheirathung. Auf das Drängen seiner Minister vermählte sich Christian
noch im Jahre seiner Thronbesteigung mit der ihm bereits früher aus Gründen
der Politik bestimmten Braut, der englischen Prinzessin Karoline Mathilde, der
Schwester des damaligen Königs Georg III. Und wenn irgend jemand, so schien
diese fünfzehnjährige Königin wie geschaffen dazu, einen nachhaltigen Eindruck
auf sein Herz auszuüben und ihn zu sich emporzuziehen. Karoline Mathilde war
ein liebreizendes Geschöpf voll Frische, Anmuth und Naivetät, voll Lebendigkeit
des Geistes und Wärme des Herzens, von einem merkwürdig früh gefesteten
Charakter, gütig und liebenswürdig. Allein selbst eine noch größere Liebens¬
würdigkeit, heißt es in einem Gesandtschaftsberichte, würde nicht ausreichen, das
Schicksal der Königin zu ändern, da der König der Ansicht ist, es gehöre nicht
zum guten Ton, seine Frau zu lieben. Christian bezeigte ihr wohl einen gewissen
Respekt; aber gänzlich unfähig, eine tiefere Neigung zu hegen, zog er sich bald
kühl und gleichgiltig von ihr zurück, um aufs neue seine Lust an den größten
Tollheiten und Ausschweifungen zu büßen. Mit seinen Kumpanen und lüder-
licher Frauenzimmern, wie jener berüchtigten "Stiefeletten-Katharine", Nachts be¬
trunken durch die Straßen zu ziehen, mit Nachtwandlern sich herumzuprügeln, in
verrufene Häuser einzubrechen und alles kurz und klein zu schlagen, oder in
seinen Gemächern mit seinen Günstlingen sich zu rauhen und die Rolle eines
Delinquenten auf dem Rade zu spielen -- das waren Dinge, die ihn allenfalls
noch reizen konnten. Es ist begreiflich, wie unter solchen Umständen anch jene
Reise in's Ausland, die man als letztes Mittel zu seiner Besserung in Vorschlag
gebracht, ohne die beabsichtigte Wirkung bleiben mußte. Nachdem Christian
Unsummen verschwendet und den letzten Rest von Lebenskraft bei wüsten Orgien


Seine Zeit füllte er aus mit der Befriedigung seiner tollen Gelüste und der
Sättigung seiner krankhaft gesteigerten sinnlichen Begierden. Von königlicher
Würde hatte er keine Ahnung. Nur eine kindische Eitelkeit lebte in seiner Seele:
er glaubte sich berufen, als Staatsmann, als Feldherr, ja selbst als Schauspieler
eine Rolle zu spielen. Und dabei eine knechtische Furcht, die ihn unaufhörlich
folterte: er fürchtete sich vor Allen, vor feinen Ministern, vor einem entlassenen
Kammerdiener, vor den Schildwachen vor seiner Thür, des Nachts vor dem
Teufel — er fürchtete sich auch vor dem Adlerblick Struensee's. Aber mit dieser
lächerlichen Angst, der natürlichen Frucht der hartherzigen Tyrannei, die seine
Jngend in Fesseln geschlagen, paarte sich, und das war der bedenklichste Charakter¬
fehler, eine geheime Tücke, eine grausame Freude, Anderen Schmerzen zu verursachen
und sie leiden zu sehen. Ohne Glauben, ohne Liebe, ja auch ohne den Wunsch,
geliebt zu werden, führte er ein ödes, trostloses Dasein. Wohl hatte man ver¬
sucht, ihn auf bessere Wege zu bringen, aber umsonst- Selbst das Mittel ver¬
fing nicht, von dem man sich noch am meisten versprechen zu können glaubte,
seine Verheirathung. Auf das Drängen seiner Minister vermählte sich Christian
noch im Jahre seiner Thronbesteigung mit der ihm bereits früher aus Gründen
der Politik bestimmten Braut, der englischen Prinzessin Karoline Mathilde, der
Schwester des damaligen Königs Georg III. Und wenn irgend jemand, so schien
diese fünfzehnjährige Königin wie geschaffen dazu, einen nachhaltigen Eindruck
auf sein Herz auszuüben und ihn zu sich emporzuziehen. Karoline Mathilde war
ein liebreizendes Geschöpf voll Frische, Anmuth und Naivetät, voll Lebendigkeit
des Geistes und Wärme des Herzens, von einem merkwürdig früh gefesteten
Charakter, gütig und liebenswürdig. Allein selbst eine noch größere Liebens¬
würdigkeit, heißt es in einem Gesandtschaftsberichte, würde nicht ausreichen, das
Schicksal der Königin zu ändern, da der König der Ansicht ist, es gehöre nicht
zum guten Ton, seine Frau zu lieben. Christian bezeigte ihr wohl einen gewissen
Respekt; aber gänzlich unfähig, eine tiefere Neigung zu hegen, zog er sich bald
kühl und gleichgiltig von ihr zurück, um aufs neue seine Lust an den größten
Tollheiten und Ausschweifungen zu büßen. Mit seinen Kumpanen und lüder-
licher Frauenzimmern, wie jener berüchtigten „Stiefeletten-Katharine", Nachts be¬
trunken durch die Straßen zu ziehen, mit Nachtwandlern sich herumzuprügeln, in
verrufene Häuser einzubrechen und alles kurz und klein zu schlagen, oder in
seinen Gemächern mit seinen Günstlingen sich zu rauhen und die Rolle eines
Delinquenten auf dem Rade zu spielen — das waren Dinge, die ihn allenfalls
noch reizen konnten. Es ist begreiflich, wie unter solchen Umständen anch jene
Reise in's Ausland, die man als letztes Mittel zu seiner Besserung in Vorschlag
gebracht, ohne die beabsichtigte Wirkung bleiben mußte. Nachdem Christian
Unsummen verschwendet und den letzten Rest von Lebenskraft bei wüsten Orgien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/65>, abgerufen am 27.11.2024.