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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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angedeutete seine weitere Ergänzung und Erläuterung findet. Beiden Theilen
des Buches können wir mit ganzem Herzen zustimmen. Wenn in dem ersten
die feinfühlige Charakteristik der Personen, Verhältnisse und Zustände, das geist¬
reiche und maßvolle Urtheil, die geschickte Gruppirung des Stoffes, die anzie¬
hende, klare, von poetischem Hauche umflossene Darstellung unsere ganze Theil¬
nahme gewinnen, so liefert der zweite Theil den striktesten Beweis für den
Scharfsinn und den feinen kritischen Takt, mit dem der Verfasser kontroverse
Fragen zur Entscheidung zu bringen versteht. Das ganze Buch macht den
Eindruck, als sei es von einem künstlerisch fein empfindenden Geiste konzipirt,
in nie ermattender Thätigkeit langsam zur Reife gebracht worden. Und soviel
ist sicher: mag auch der Ertrag weiterer Forschungen der Berichtigung und
Ausführung einzelner Punkte zu gute kommen, im Großen und Ganzen wird
der interessante Charakterkopf Struensee's in derjenigen Gestalt in der Geschichte
fortleben, wie er hier von Wittich's Hand entworfen worden ist.

Wir unterlassen es, im Einzelnen die Punkte namhaft zu machen, die
durch unser Werk in eine neue Beleuchtung gerückt worden sind, um in Kürze
die Umrisse des Bildes wiederzugeben, wie es nunmehr uns vor der Seele steht.

Johann Friedrich Struensee war ein junger Mann von 31 Jahren, als
er mit dem dänischen Hofe in Berührung kam. Eine schone männliche Erschei¬
nung mit lebhaften, durchdringenden Augen, gewandt in allen körperlichen
Uebungen, sicher und natürlich im Auftreten, liebenswürdig im Umgang, voll
Sinn für Freundschaft und Liebe, ein brillanter Gesellschafter. Es war natürlich,
daß die Herzen der Frauen ihm zuflogen. Seine geistige Begabung ragte weit
über das Mittelmaß hinaus. Ein dänischer Staatsmann, der keine Ursache
hatte, ihm zu schmeicheln, nannte ihn einen der besten Köpfe, die er je gekannt
habe. Er hatte in seiner Vaterstadt Halle Medizin studirt und schon mit
zwanzig Jahren die Doktorwürde erlangt. Allein die außerordentliche Regsamkeit
und Empfänglichkeit feines Geistes in Verbindung mit dem ihm innewohnenden
Wissensdrang und Thätigkeitstrieb hatten ihn über die naturwissenschaftlichen
Disziplinen hinausgeführt. Er beschäftigte sich eingehend mit Politik, National¬
ökonomie und Pädagogik, insbesondere aber vertiefte er sich schon frühzeitig in
das verführerische Studium der damaligen französischen Aufklürungs-Literatur.
Und dieses Studium wirkte entscheidend für sein ganzes Leben. Angewidert
dnrch die pietistische Stickluft, die im Hause seines Vaters, eines Geistlichen,
und in der Schule des Waisenhauses wehte, warf er mit der Kirche zugleich
das Christenthum über Bord und wurde ein Freigeist. Aus den Schriften der
Hauptvertreter der Aufklärungsphilosophie, sowie ans seinen naturwissenschaft¬
lichen Studien entnahm er ein Shstem von Lehren und Grundsätzen, welches
die Basis seines Wollens und Handelns bilden sollte. Dieses System gipfelte


angedeutete seine weitere Ergänzung und Erläuterung findet. Beiden Theilen
des Buches können wir mit ganzem Herzen zustimmen. Wenn in dem ersten
die feinfühlige Charakteristik der Personen, Verhältnisse und Zustände, das geist¬
reiche und maßvolle Urtheil, die geschickte Gruppirung des Stoffes, die anzie¬
hende, klare, von poetischem Hauche umflossene Darstellung unsere ganze Theil¬
nahme gewinnen, so liefert der zweite Theil den striktesten Beweis für den
Scharfsinn und den feinen kritischen Takt, mit dem der Verfasser kontroverse
Fragen zur Entscheidung zu bringen versteht. Das ganze Buch macht den
Eindruck, als sei es von einem künstlerisch fein empfindenden Geiste konzipirt,
in nie ermattender Thätigkeit langsam zur Reife gebracht worden. Und soviel
ist sicher: mag auch der Ertrag weiterer Forschungen der Berichtigung und
Ausführung einzelner Punkte zu gute kommen, im Großen und Ganzen wird
der interessante Charakterkopf Struensee's in derjenigen Gestalt in der Geschichte
fortleben, wie er hier von Wittich's Hand entworfen worden ist.

Wir unterlassen es, im Einzelnen die Punkte namhaft zu machen, die
durch unser Werk in eine neue Beleuchtung gerückt worden sind, um in Kürze
die Umrisse des Bildes wiederzugeben, wie es nunmehr uns vor der Seele steht.

Johann Friedrich Struensee war ein junger Mann von 31 Jahren, als
er mit dem dänischen Hofe in Berührung kam. Eine schone männliche Erschei¬
nung mit lebhaften, durchdringenden Augen, gewandt in allen körperlichen
Uebungen, sicher und natürlich im Auftreten, liebenswürdig im Umgang, voll
Sinn für Freundschaft und Liebe, ein brillanter Gesellschafter. Es war natürlich,
daß die Herzen der Frauen ihm zuflogen. Seine geistige Begabung ragte weit
über das Mittelmaß hinaus. Ein dänischer Staatsmann, der keine Ursache
hatte, ihm zu schmeicheln, nannte ihn einen der besten Köpfe, die er je gekannt
habe. Er hatte in seiner Vaterstadt Halle Medizin studirt und schon mit
zwanzig Jahren die Doktorwürde erlangt. Allein die außerordentliche Regsamkeit
und Empfänglichkeit feines Geistes in Verbindung mit dem ihm innewohnenden
Wissensdrang und Thätigkeitstrieb hatten ihn über die naturwissenschaftlichen
Disziplinen hinausgeführt. Er beschäftigte sich eingehend mit Politik, National¬
ökonomie und Pädagogik, insbesondere aber vertiefte er sich schon frühzeitig in
das verführerische Studium der damaligen französischen Aufklürungs-Literatur.
Und dieses Studium wirkte entscheidend für sein ganzes Leben. Angewidert
dnrch die pietistische Stickluft, die im Hause seines Vaters, eines Geistlichen,
und in der Schule des Waisenhauses wehte, warf er mit der Kirche zugleich
das Christenthum über Bord und wurde ein Freigeist. Aus den Schriften der
Hauptvertreter der Aufklärungsphilosophie, sowie ans seinen naturwissenschaft¬
lichen Studien entnahm er ein Shstem von Lehren und Grundsätzen, welches
die Basis seines Wollens und Handelns bilden sollte. Dieses System gipfelte


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[0061] angedeutete seine weitere Ergänzung und Erläuterung findet. Beiden Theilen des Buches können wir mit ganzem Herzen zustimmen. Wenn in dem ersten die feinfühlige Charakteristik der Personen, Verhältnisse und Zustände, das geist¬ reiche und maßvolle Urtheil, die geschickte Gruppirung des Stoffes, die anzie¬ hende, klare, von poetischem Hauche umflossene Darstellung unsere ganze Theil¬ nahme gewinnen, so liefert der zweite Theil den striktesten Beweis für den Scharfsinn und den feinen kritischen Takt, mit dem der Verfasser kontroverse Fragen zur Entscheidung zu bringen versteht. Das ganze Buch macht den Eindruck, als sei es von einem künstlerisch fein empfindenden Geiste konzipirt, in nie ermattender Thätigkeit langsam zur Reife gebracht worden. Und soviel ist sicher: mag auch der Ertrag weiterer Forschungen der Berichtigung und Ausführung einzelner Punkte zu gute kommen, im Großen und Ganzen wird der interessante Charakterkopf Struensee's in derjenigen Gestalt in der Geschichte fortleben, wie er hier von Wittich's Hand entworfen worden ist. Wir unterlassen es, im Einzelnen die Punkte namhaft zu machen, die durch unser Werk in eine neue Beleuchtung gerückt worden sind, um in Kürze die Umrisse des Bildes wiederzugeben, wie es nunmehr uns vor der Seele steht. Johann Friedrich Struensee war ein junger Mann von 31 Jahren, als er mit dem dänischen Hofe in Berührung kam. Eine schone männliche Erschei¬ nung mit lebhaften, durchdringenden Augen, gewandt in allen körperlichen Uebungen, sicher und natürlich im Auftreten, liebenswürdig im Umgang, voll Sinn für Freundschaft und Liebe, ein brillanter Gesellschafter. Es war natürlich, daß die Herzen der Frauen ihm zuflogen. Seine geistige Begabung ragte weit über das Mittelmaß hinaus. Ein dänischer Staatsmann, der keine Ursache hatte, ihm zu schmeicheln, nannte ihn einen der besten Köpfe, die er je gekannt habe. Er hatte in seiner Vaterstadt Halle Medizin studirt und schon mit zwanzig Jahren die Doktorwürde erlangt. Allein die außerordentliche Regsamkeit und Empfänglichkeit feines Geistes in Verbindung mit dem ihm innewohnenden Wissensdrang und Thätigkeitstrieb hatten ihn über die naturwissenschaftlichen Disziplinen hinausgeführt. Er beschäftigte sich eingehend mit Politik, National¬ ökonomie und Pädagogik, insbesondere aber vertiefte er sich schon frühzeitig in das verführerische Studium der damaligen französischen Aufklürungs-Literatur. Und dieses Studium wirkte entscheidend für sein ganzes Leben. Angewidert dnrch die pietistische Stickluft, die im Hause seines Vaters, eines Geistlichen, und in der Schule des Waisenhauses wehte, warf er mit der Kirche zugleich das Christenthum über Bord und wurde ein Freigeist. Aus den Schriften der Hauptvertreter der Aufklärungsphilosophie, sowie ans seinen naturwissenschaft¬ lichen Studien entnahm er ein Shstem von Lehren und Grundsätzen, welches die Basis seines Wollens und Handelns bilden sollte. Dieses System gipfelte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/61>, abgerufen am 30.11.2024.