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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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mitten unter den unersättlichen Tuhr verschaffte, nämlich das Vertrauen zu
Arami, das sollte ihn in noch viel größere Verlegenheit, ja in direkte Lebens¬
gefahr stürzen. Er folgte ihm mit Zurücklassung seiner Kameele nach Barba'i',
und dort erst erreichte er den Gipfelpunkt seiner Leiden und Drangsale. Der
Dardal selbst, alt und krank, ließ sich nicht sehen, dafür aber desto häufiger
die übrigen Tuhr, die theils aus Habgier, theils aus Mißtrauen den Reisenden
in arge Bedrängniß brachten. Sie konnten es nicht fassen, wie ein Fremder
aus einem so fernen Lande in ihre bergige Heimat ohne jeden andern Zweck
als den der Erforschung des Landes kommen könnte, und andrerseits glaubten
sie seiner Versicherung nicht, daß er außer dem, was sie sähen, nichts besäße.
Seine einheimischen Führer und Begleiter, Kolokomi und Bü Zei'd, zeigten sich
theils nachlässig, theils unverschämt, und Arami, sein Beschützer und Ernährer,
suchte von ihm das letzte Hab und Gut zu erpressen. Schließlich ließen die
Tibesti-Leute ihren feindlichen Gefühlen um so freieren Lauf, je mehr sie erkennen
mußten, daß der bei ihnen weilende Fremdling wirklich arm sei, und diese
feindselige Stimmung theilte sich von den Männern auch den Frauen und
Kindern mit, die, wenn es der Fremde wagte, sein Zelt zu verlassen und
sich im Thale umzusehen, sich nicht scheuten, ihn mit Steinwürfen zu empfangen
und ins Zelt zurückzutreiben. In solcher Lage mußte Nachtigal, in sein Zelt
gebannt, den Qualen der Hitze, des Durstes und nicht selten des Hungers
ausgesetzt, jeder Möglichkeit beraubt, das ganz unbekannte Land etwas näher
zu erforschen, vom 8. August bis zum 3. September aushalten. Arami, der
die Armuth seines Gastfreundes nur zu gut kannte, gab ihm nebst seinen Leuten
gerade soviel Datteln, daß sie nicht ganz verhungerten, und deutete ihm gele¬
gentlich dabei an, daß er ihm allein das Leben verdanke. So viel ihn auch
Nachtigal drängte, ihm die Flucht aus dieser fürchterlichen Lage zu ermöglichen,
wollte er sich doch nicht dazu verstehen, weil er sich nicht mächtig genug fühlte,
dem Unmuth seiner Landsleute Stand zu halten, und immer noch an der Hoff¬
nung festhielt, daß durch eine persönliche Zusammenkunft mit dem Dardai eine
friedliche Lösung der Dinge herbeigeführt werden könnte. Die erstere brachte
er zwar zu Stande, nicht aber die letztere, und nun erst entschloß er sich,,dem
Fremdling bei der Flucht behilflich zu sein. Glücklicherweise gelang diese, frei¬
lich so, daß Nachtigal kaum mehr als das nackte Leben rettete, denn Arami
nahm sogar die letzten Decken und das Kochgeschirr als Belohnung für seine
Dienste in Anspruch, ohne daß sich Nachtigal in der Lage sah, ihm diese so
nothwendigen Gerüthschaften versagen zu können.

So war denn der Reisende mit seinen Leuten wenigstens der Habsucht
der Tibesti-Leute entronnen, blieb aber allen Unbilden des unwirthlichen Landes
preisgegeben, da er ohne hinreichende Nahrungsmittel, ohne Wasservorräthe,


mitten unter den unersättlichen Tuhr verschaffte, nämlich das Vertrauen zu
Arami, das sollte ihn in noch viel größere Verlegenheit, ja in direkte Lebens¬
gefahr stürzen. Er folgte ihm mit Zurücklassung seiner Kameele nach Barba'i',
und dort erst erreichte er den Gipfelpunkt seiner Leiden und Drangsale. Der
Dardal selbst, alt und krank, ließ sich nicht sehen, dafür aber desto häufiger
die übrigen Tuhr, die theils aus Habgier, theils aus Mißtrauen den Reisenden
in arge Bedrängniß brachten. Sie konnten es nicht fassen, wie ein Fremder
aus einem so fernen Lande in ihre bergige Heimat ohne jeden andern Zweck
als den der Erforschung des Landes kommen könnte, und andrerseits glaubten
sie seiner Versicherung nicht, daß er außer dem, was sie sähen, nichts besäße.
Seine einheimischen Führer und Begleiter, Kolokomi und Bü Zei'd, zeigten sich
theils nachlässig, theils unverschämt, und Arami, sein Beschützer und Ernährer,
suchte von ihm das letzte Hab und Gut zu erpressen. Schließlich ließen die
Tibesti-Leute ihren feindlichen Gefühlen um so freieren Lauf, je mehr sie erkennen
mußten, daß der bei ihnen weilende Fremdling wirklich arm sei, und diese
feindselige Stimmung theilte sich von den Männern auch den Frauen und
Kindern mit, die, wenn es der Fremde wagte, sein Zelt zu verlassen und
sich im Thale umzusehen, sich nicht scheuten, ihn mit Steinwürfen zu empfangen
und ins Zelt zurückzutreiben. In solcher Lage mußte Nachtigal, in sein Zelt
gebannt, den Qualen der Hitze, des Durstes und nicht selten des Hungers
ausgesetzt, jeder Möglichkeit beraubt, das ganz unbekannte Land etwas näher
zu erforschen, vom 8. August bis zum 3. September aushalten. Arami, der
die Armuth seines Gastfreundes nur zu gut kannte, gab ihm nebst seinen Leuten
gerade soviel Datteln, daß sie nicht ganz verhungerten, und deutete ihm gele¬
gentlich dabei an, daß er ihm allein das Leben verdanke. So viel ihn auch
Nachtigal drängte, ihm die Flucht aus dieser fürchterlichen Lage zu ermöglichen,
wollte er sich doch nicht dazu verstehen, weil er sich nicht mächtig genug fühlte,
dem Unmuth seiner Landsleute Stand zu halten, und immer noch an der Hoff¬
nung festhielt, daß durch eine persönliche Zusammenkunft mit dem Dardai eine
friedliche Lösung der Dinge herbeigeführt werden könnte. Die erstere brachte
er zwar zu Stande, nicht aber die letztere, und nun erst entschloß er sich,,dem
Fremdling bei der Flucht behilflich zu sein. Glücklicherweise gelang diese, frei¬
lich so, daß Nachtigal kaum mehr als das nackte Leben rettete, denn Arami
nahm sogar die letzten Decken und das Kochgeschirr als Belohnung für seine
Dienste in Anspruch, ohne daß sich Nachtigal in der Lage sah, ihm diese so
nothwendigen Gerüthschaften versagen zu können.

So war denn der Reisende mit seinen Leuten wenigstens der Habsucht
der Tibesti-Leute entronnen, blieb aber allen Unbilden des unwirthlichen Landes
preisgegeben, da er ohne hinreichende Nahrungsmittel, ohne Wasservorräthe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/533>, abgerufen am 27.11.2024.