Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

besteht, so spricht dies deutlich dafür, daß die Interessen beider Länder und
die Politik, die von denselben diktirt wird, auf menschlich absehbare Dauer hin
genau parallel mit einander gehen, ja vielfache Punkte aufweisen, an denen sie
sich berühren.

Wird in Folge dessen Graf Andrassy aus Gastein die Gewißheit mit
heimgenommen haben, daß sein Vermächtniß, soweit Deutschland in Frage
kommt, in guten Händen ist, so wird Fürst Bismarck aller Wahrscheinlichkeit
nach aus Wien mit der verstärkten Ueberzeugung zurückkehren, daß der Rück¬
tritt seines politischen Freundes keine Veränderung in dem herzlichen Einver¬
nehmen zwischen Deutschland und seinem südöstlichen Nachbar zur Folge haben
wird. Man hatte im letzten Jahre dort Ursache, ihm gute Dienste zu danken,
und man wird wissen, daß man Zeiten entgegengeht, wo man solche gute
Dienste wieder bedürfen und, wenn eine gewisse allzu begehrliche Partei nicht
die Oberhand gewinnt, darauf rechnen kann, den Vermittler bereit zu finden.

Fassen wir unsre Betrachtungen zusammen, so ergibt sich Folgendes. 1876
wäre der Rücktritt des Grafen Andrassy in Deutschland noch mit entschiedenem
Argwohn aufgenommen worden. Jetzt begegnet er tiefempfundenen Bedauern,
aber kaum noch Zweifeln an den Beweggründen, mit denen er vom Grafen
selbst erklärt worden ist. Andrassy hat verstanden, durch Energie auf der einen,
durch kluge Mäßigung auf der anderen Seite seinem Staate während des
russisch-türkischen Krieges eine Stellung zu verschaffen, welche ein Zusammen¬
gehen mit Deutschland ermöglichte. Damit schuf er eine Bürgschaft des Frie¬
dens und bethätigte eine Interessengemeinschaft beider Nachbarreiche, die hoffent¬
lich auch in Zukunft in Wien begriffen werden und die Aktion der dortigen
Politik bestimmen wird. Wäre dies -- wie kaum zu befürchten -- nicht der
Fall, so wird Graf Andrassy in seinem engeren Heimatslande stets eine höchst
einflußreiche Stellung einnehmen, die ihn in den Stand setzen wird, die Mei¬
nung Ungarns zu Gunsten der deutschen Beziehungen, deren Förderung er
sich als Minister angelegen sein ließ, in die zum Schwanken gebrachte Wage
H zu werfen.




politische Briefe.
18. Die preußische Wahlbewegung.

Schon wieder eine Wahlbewegung, nachdem wir solche 1878 und 1877 für
den Reichstag, 1876 für das preußische Abgeordnetenhaus genösse"! Alle Jahre


besteht, so spricht dies deutlich dafür, daß die Interessen beider Länder und
die Politik, die von denselben diktirt wird, auf menschlich absehbare Dauer hin
genau parallel mit einander gehen, ja vielfache Punkte aufweisen, an denen sie
sich berühren.

Wird in Folge dessen Graf Andrassy aus Gastein die Gewißheit mit
heimgenommen haben, daß sein Vermächtniß, soweit Deutschland in Frage
kommt, in guten Händen ist, so wird Fürst Bismarck aller Wahrscheinlichkeit
nach aus Wien mit der verstärkten Ueberzeugung zurückkehren, daß der Rück¬
tritt seines politischen Freundes keine Veränderung in dem herzlichen Einver¬
nehmen zwischen Deutschland und seinem südöstlichen Nachbar zur Folge haben
wird. Man hatte im letzten Jahre dort Ursache, ihm gute Dienste zu danken,
und man wird wissen, daß man Zeiten entgegengeht, wo man solche gute
Dienste wieder bedürfen und, wenn eine gewisse allzu begehrliche Partei nicht
die Oberhand gewinnt, darauf rechnen kann, den Vermittler bereit zu finden.

Fassen wir unsre Betrachtungen zusammen, so ergibt sich Folgendes. 1876
wäre der Rücktritt des Grafen Andrassy in Deutschland noch mit entschiedenem
Argwohn aufgenommen worden. Jetzt begegnet er tiefempfundenen Bedauern,
aber kaum noch Zweifeln an den Beweggründen, mit denen er vom Grafen
selbst erklärt worden ist. Andrassy hat verstanden, durch Energie auf der einen,
durch kluge Mäßigung auf der anderen Seite seinem Staate während des
russisch-türkischen Krieges eine Stellung zu verschaffen, welche ein Zusammen¬
gehen mit Deutschland ermöglichte. Damit schuf er eine Bürgschaft des Frie¬
dens und bethätigte eine Interessengemeinschaft beider Nachbarreiche, die hoffent¬
lich auch in Zukunft in Wien begriffen werden und die Aktion der dortigen
Politik bestimmen wird. Wäre dies — wie kaum zu befürchten — nicht der
Fall, so wird Graf Andrassy in seinem engeren Heimatslande stets eine höchst
einflußreiche Stellung einnehmen, die ihn in den Stand setzen wird, die Mei¬
nung Ungarns zu Gunsten der deutschen Beziehungen, deren Förderung er
sich als Minister angelegen sein ließ, in die zum Schwanken gebrachte Wage
H zu werfen.




politische Briefe.
18. Die preußische Wahlbewegung.

Schon wieder eine Wahlbewegung, nachdem wir solche 1878 und 1877 für
den Reichstag, 1876 für das preußische Abgeordnetenhaus genösse»! Alle Jahre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143010"/>
          <p xml:id="ID_1541" prev="#ID_1540"> besteht, so spricht dies deutlich dafür, daß die Interessen beider Länder und<lb/>
die Politik, die von denselben diktirt wird, auf menschlich absehbare Dauer hin<lb/>
genau parallel mit einander gehen, ja vielfache Punkte aufweisen, an denen sie<lb/>
sich berühren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1542"> Wird in Folge dessen Graf Andrassy aus Gastein die Gewißheit mit<lb/>
heimgenommen haben, daß sein Vermächtniß, soweit Deutschland in Frage<lb/>
kommt, in guten Händen ist, so wird Fürst Bismarck aller Wahrscheinlichkeit<lb/>
nach aus Wien mit der verstärkten Ueberzeugung zurückkehren, daß der Rück¬<lb/>
tritt seines politischen Freundes keine Veränderung in dem herzlichen Einver¬<lb/>
nehmen zwischen Deutschland und seinem südöstlichen Nachbar zur Folge haben<lb/>
wird. Man hatte im letzten Jahre dort Ursache, ihm gute Dienste zu danken,<lb/>
und man wird wissen, daß man Zeiten entgegengeht, wo man solche gute<lb/>
Dienste wieder bedürfen und, wenn eine gewisse allzu begehrliche Partei nicht<lb/>
die Oberhand gewinnt, darauf rechnen kann, den Vermittler bereit zu finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1543"> Fassen wir unsre Betrachtungen zusammen, so ergibt sich Folgendes. 1876<lb/>
wäre der Rücktritt des Grafen Andrassy in Deutschland noch mit entschiedenem<lb/>
Argwohn aufgenommen worden. Jetzt begegnet er tiefempfundenen Bedauern,<lb/>
aber kaum noch Zweifeln an den Beweggründen, mit denen er vom Grafen<lb/>
selbst erklärt worden ist. Andrassy hat verstanden, durch Energie auf der einen,<lb/>
durch kluge Mäßigung auf der anderen Seite seinem Staate während des<lb/>
russisch-türkischen Krieges eine Stellung zu verschaffen, welche ein Zusammen¬<lb/>
gehen mit Deutschland ermöglichte. Damit schuf er eine Bürgschaft des Frie¬<lb/>
dens und bethätigte eine Interessengemeinschaft beider Nachbarreiche, die hoffent¬<lb/>
lich auch in Zukunft in Wien begriffen werden und die Aktion der dortigen<lb/>
Politik bestimmen wird. Wäre dies &#x2014; wie kaum zu befürchten &#x2014; nicht der<lb/>
Fall, so wird Graf Andrassy in seinem engeren Heimatslande stets eine höchst<lb/>
einflußreiche Stellung einnehmen, die ihn in den Stand setzen wird, die Mei¬<lb/>
nung Ungarns zu Gunsten der deutschen Beziehungen, deren Förderung er<lb/>
sich als Minister angelegen sein ließ, in die zum Schwanken gebrachte Wage<lb/><note type="byline"> H</note> zu werfen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Briefe.<lb/>
18. Die preußische Wahlbewegung. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1544" next="#ID_1545"> Schon wieder eine Wahlbewegung, nachdem wir solche 1878 und 1877 für<lb/>
den Reichstag, 1876 für das preußische Abgeordnetenhaus genösse»! Alle Jahre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] besteht, so spricht dies deutlich dafür, daß die Interessen beider Länder und die Politik, die von denselben diktirt wird, auf menschlich absehbare Dauer hin genau parallel mit einander gehen, ja vielfache Punkte aufweisen, an denen sie sich berühren. Wird in Folge dessen Graf Andrassy aus Gastein die Gewißheit mit heimgenommen haben, daß sein Vermächtniß, soweit Deutschland in Frage kommt, in guten Händen ist, so wird Fürst Bismarck aller Wahrscheinlichkeit nach aus Wien mit der verstärkten Ueberzeugung zurückkehren, daß der Rück¬ tritt seines politischen Freundes keine Veränderung in dem herzlichen Einver¬ nehmen zwischen Deutschland und seinem südöstlichen Nachbar zur Folge haben wird. Man hatte im letzten Jahre dort Ursache, ihm gute Dienste zu danken, und man wird wissen, daß man Zeiten entgegengeht, wo man solche gute Dienste wieder bedürfen und, wenn eine gewisse allzu begehrliche Partei nicht die Oberhand gewinnt, darauf rechnen kann, den Vermittler bereit zu finden. Fassen wir unsre Betrachtungen zusammen, so ergibt sich Folgendes. 1876 wäre der Rücktritt des Grafen Andrassy in Deutschland noch mit entschiedenem Argwohn aufgenommen worden. Jetzt begegnet er tiefempfundenen Bedauern, aber kaum noch Zweifeln an den Beweggründen, mit denen er vom Grafen selbst erklärt worden ist. Andrassy hat verstanden, durch Energie auf der einen, durch kluge Mäßigung auf der anderen Seite seinem Staate während des russisch-türkischen Krieges eine Stellung zu verschaffen, welche ein Zusammen¬ gehen mit Deutschland ermöglichte. Damit schuf er eine Bürgschaft des Frie¬ dens und bethätigte eine Interessengemeinschaft beider Nachbarreiche, die hoffent¬ lich auch in Zukunft in Wien begriffen werden und die Aktion der dortigen Politik bestimmen wird. Wäre dies — wie kaum zu befürchten — nicht der Fall, so wird Graf Andrassy in seinem engeren Heimatslande stets eine höchst einflußreiche Stellung einnehmen, die ihn in den Stand setzen wird, die Mei¬ nung Ungarns zu Gunsten der deutschen Beziehungen, deren Förderung er sich als Minister angelegen sein ließ, in die zum Schwanken gebrachte Wage H zu werfen. politische Briefe. 18. Die preußische Wahlbewegung. Schon wieder eine Wahlbewegung, nachdem wir solche 1878 und 1877 für den Reichstag, 1876 für das preußische Abgeordnetenhaus genösse»! Alle Jahre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/513>, abgerufen am 27.11.2024.