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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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schaft beider aus freiem Entschluß auf Grund einer weitreichenden Interessen¬
gemeinschaft.

Daß der Kaiser Franz Joseph sich von der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit
dieses Gedankens ebenfalls schon seit geraumer Zeit überzeugt hat, wird da¬
durch bewiesen, daß er den Hauptträger desselben unter den Politikern Oester¬
reich-Ungarns zu seinem obersten Rathe in auswärtigen Angelegenheiten er¬
nannte und acht Jahre in dieser Stellung beließ, und dafür, daß in jener
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines guten Einvernehmens und eines
festen Zusammenhaltens der beiden einst im deutschen Bunde widernatürlich
zusammengeketteten, dann getrennten und doch dnrch ihre Interessen, wenn nicht
in allen, so doch in sehr vielen Stücken aufeinander angewiesenen Mächte mit
dem Rücktritte Andrassy's kein Wechsel stattgefunden hat, sprechen eine Anzahl
von Anzeichen ganz unwiderlegbar. Die Thatsache, daß Andrassy seine Ent¬
lassung erbeten, gelangte erst nach der Zusammenkunft der Kaiser Wilhelm und
Franz Joseph in die Öffentlichkeit. Der Graf hatte im Jahre 1871 nach
einer ähnlichen Begegnung der beiden Monarchen, die in Salzburg stattfand,
sein Amt angetreten, und es liegt nahe, zu vermuthen, daß man wie in diesem
so auch in jenem Falle österreichischerseits das Bevorstehende zur Sprache ge¬
bracht und befriedigend erklärt haben wird, sodaß ein Mißverständniß ausge¬
schlossen und jede Besorgniß von vornherein beseitigt wurde. Die offiziöse
Presse hat denn auch nichts der Art verlauten lassen, sondern im Gegentheil
die feste Zuversicht auf ungeschwächten Fortbestand der guten Beziehungen
Oesterreich-Ungarns zum deutschen Reiche ausgesprochen. Ein weiterer Beweis
war die Zusammenkunft, die Andrassy mit dem Fürsten Bismarck in Gastein
hatte, und als ein fernerer ist zu betrachten, daß letzterer diesen Besuch des
Grafen durch einen Gegenbesuch in Wien zu erwiedern gedenkt. Das System,
welches der scheidende Minister Deutschland gegenüber befolgt hat, wird seine
Amtsführung überdauern, er tritt, wie sein Besuch in Gastein offenbar anzu¬
deuten bestimmt war, mit dem Bewußtsein ab, kurz vor seinem Scheiden die
von ihm sorgfältig gepflegten Freundschaftsbande zwischen den beiden Reichen
von neuem befestigt zu habe" und sie so seinem Nachfolger ungelockert als
Vermächtniß zu hinterlassen. Selten haben zwischen zwei Staatsmännern großer
Nachbarreiche so persönlich vertrauensvolle Beziehungen bestanden wie zwischen
Bismarck und Andrassy. Souveräne können unabhängig von ihrer Politik
Freunde sein und bleiben, so schwer das in unsern Tagen auch sein mag.
Leitende Minister sind in der Gestaltung ihrer persönlichen Beziehungen zu
einander immer von den Interessen ihres Staates und der Wahrnehmung der¬
selben bestimmt. Wenn unser Reichskanzler und der österreichisch-ungarische
Ministerpräsident persönlich in ein Verhältniß treten konnten, wie es thatsächlich


schaft beider aus freiem Entschluß auf Grund einer weitreichenden Interessen¬
gemeinschaft.

Daß der Kaiser Franz Joseph sich von der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit
dieses Gedankens ebenfalls schon seit geraumer Zeit überzeugt hat, wird da¬
durch bewiesen, daß er den Hauptträger desselben unter den Politikern Oester¬
reich-Ungarns zu seinem obersten Rathe in auswärtigen Angelegenheiten er¬
nannte und acht Jahre in dieser Stellung beließ, und dafür, daß in jener
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines guten Einvernehmens und eines
festen Zusammenhaltens der beiden einst im deutschen Bunde widernatürlich
zusammengeketteten, dann getrennten und doch dnrch ihre Interessen, wenn nicht
in allen, so doch in sehr vielen Stücken aufeinander angewiesenen Mächte mit
dem Rücktritte Andrassy's kein Wechsel stattgefunden hat, sprechen eine Anzahl
von Anzeichen ganz unwiderlegbar. Die Thatsache, daß Andrassy seine Ent¬
lassung erbeten, gelangte erst nach der Zusammenkunft der Kaiser Wilhelm und
Franz Joseph in die Öffentlichkeit. Der Graf hatte im Jahre 1871 nach
einer ähnlichen Begegnung der beiden Monarchen, die in Salzburg stattfand,
sein Amt angetreten, und es liegt nahe, zu vermuthen, daß man wie in diesem
so auch in jenem Falle österreichischerseits das Bevorstehende zur Sprache ge¬
bracht und befriedigend erklärt haben wird, sodaß ein Mißverständniß ausge¬
schlossen und jede Besorgniß von vornherein beseitigt wurde. Die offiziöse
Presse hat denn auch nichts der Art verlauten lassen, sondern im Gegentheil
die feste Zuversicht auf ungeschwächten Fortbestand der guten Beziehungen
Oesterreich-Ungarns zum deutschen Reiche ausgesprochen. Ein weiterer Beweis
war die Zusammenkunft, die Andrassy mit dem Fürsten Bismarck in Gastein
hatte, und als ein fernerer ist zu betrachten, daß letzterer diesen Besuch des
Grafen durch einen Gegenbesuch in Wien zu erwiedern gedenkt. Das System,
welches der scheidende Minister Deutschland gegenüber befolgt hat, wird seine
Amtsführung überdauern, er tritt, wie sein Besuch in Gastein offenbar anzu¬
deuten bestimmt war, mit dem Bewußtsein ab, kurz vor seinem Scheiden die
von ihm sorgfältig gepflegten Freundschaftsbande zwischen den beiden Reichen
von neuem befestigt zu habe« und sie so seinem Nachfolger ungelockert als
Vermächtniß zu hinterlassen. Selten haben zwischen zwei Staatsmännern großer
Nachbarreiche so persönlich vertrauensvolle Beziehungen bestanden wie zwischen
Bismarck und Andrassy. Souveräne können unabhängig von ihrer Politik
Freunde sein und bleiben, so schwer das in unsern Tagen auch sein mag.
Leitende Minister sind in der Gestaltung ihrer persönlichen Beziehungen zu
einander immer von den Interessen ihres Staates und der Wahrnehmung der¬
selben bestimmt. Wenn unser Reichskanzler und der österreichisch-ungarische
Ministerpräsident persönlich in ein Verhältniß treten konnten, wie es thatsächlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/512>, abgerufen am 27.07.2024.