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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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habe. Hier nur soviel, daß er ungemein ausgedehnt und außerordentlich schön,
am schönsten im Herbst ist. Das heißt nach meinem Geschmacke, den ich
niemand aufdringen will. Denn obwohl ich unter den Phasen, welche ge¬
mischter Laubwald im Laufe des Jahres durchlebt, der Farbenpracht und der
tiefen Stille des Uebergangs vom Sommer zum Winter den Vorzug gebe,
kann ich mir vorstellen, daß auch das Grün, womit der Juni die Wipfel und
Gebüsche bekleidet, der dann dankbar empfundene Schatten und der Gesang der
Vogelwelt, die in diesen Tagen an den Säumen der Lichtungen Liebeslieder
und das Lob der Morgensonne erschallen läßt, hohe Reize haben, und daß
selbst der Winter ein anmuthiges Bild aus solchem Walde zu schaffen vermag,
wenn seine Winde die Bäume entblättert haben und nun ein Nebelfrost ihr
Gezweig mit seiner silbernen Filigranarbeit schmückt.

Wir kehren zunächst in den Hof vor der Vorderfront zurück, um das
Innere der Wohnung des Kanzlers und seiner Familie zu durchwandern, das
ebensowenig wie das Aeußere einen anspruchsvollen Charakter hat oder Ge¬
fallen an Luxus verräth, aber durchweg gefällig und behaglich ist. Man tritt
hier in das Haus eines wohlhabenden Landedelmannes, nicht in das Schloß
einer Durchlaucht. Die Fußböden zwar sind fast durchgängig mit Parket ver¬
sehen, die Decken aber allenthalben einfach weiß getüncht. Prachtstücke von
Portieren und Teppichen, kostbare Uhren, Schnitzwerk von Bedeutung kommen
gar nicht, vergoldete und mit Seidenstoff überzogene Stühle, Tischplatten und
Konsolen von Marmor nur im Salon und im Zimmer der Fürstin vor. Oel-
gemälde sind selten. Dafür aber gibt es an mehreren Stellen gemüthliche
Nischen und freundliche Ausblicke durch die Feuster. Fast alle Gemächer sind
reichlich mit bequemen Schaukel- und Polsterstühlen, Divans und Sophas aus¬
gestattet, und alle haben Kachelofen mit Kaminfeuern, die mit dem ersten Ein¬
tritt einigermaßen kühler Witterung geheizt werden; denn der Fürst liebt, wie
alle nervösen Naturen, die Wärme und bedarf ihrer vermuthlich aus Gesund¬
heitsrücksichten. Auch ist der Herbst hier oben erheblich rauher als in Mittel¬
deutschland. In der dritten Woche des Oktober hatten wir zweimal starke
Schneestürme, so daß mir das Glück zu Theil wurde, Varzin nicht blos im
Herbstgewande, sondern mehrere Tage hindurch auch in tief winterlicher Ver¬
brämung zu sehen.

Und nun wollen wir raschen Ganges die innern Räume des alten Hauses
durchschreiten, um dann die des neuen Anbaus und namentlich das Arbeits¬
zimmer des Fürsten mehr im einzelnen zu betrachten.

Durch die gelblich braune Hausthür unter dem Zeltdache mit den Helle¬
barden treten wir in einen kleinen sechseckigen Vorsaal, in dem sich Tische und
Kleiderständer mit Mänteln, Pelzen, Ueberziehern und Fußsäcken befinden. Die


habe. Hier nur soviel, daß er ungemein ausgedehnt und außerordentlich schön,
am schönsten im Herbst ist. Das heißt nach meinem Geschmacke, den ich
niemand aufdringen will. Denn obwohl ich unter den Phasen, welche ge¬
mischter Laubwald im Laufe des Jahres durchlebt, der Farbenpracht und der
tiefen Stille des Uebergangs vom Sommer zum Winter den Vorzug gebe,
kann ich mir vorstellen, daß auch das Grün, womit der Juni die Wipfel und
Gebüsche bekleidet, der dann dankbar empfundene Schatten und der Gesang der
Vogelwelt, die in diesen Tagen an den Säumen der Lichtungen Liebeslieder
und das Lob der Morgensonne erschallen läßt, hohe Reize haben, und daß
selbst der Winter ein anmuthiges Bild aus solchem Walde zu schaffen vermag,
wenn seine Winde die Bäume entblättert haben und nun ein Nebelfrost ihr
Gezweig mit seiner silbernen Filigranarbeit schmückt.

Wir kehren zunächst in den Hof vor der Vorderfront zurück, um das
Innere der Wohnung des Kanzlers und seiner Familie zu durchwandern, das
ebensowenig wie das Aeußere einen anspruchsvollen Charakter hat oder Ge¬
fallen an Luxus verräth, aber durchweg gefällig und behaglich ist. Man tritt
hier in das Haus eines wohlhabenden Landedelmannes, nicht in das Schloß
einer Durchlaucht. Die Fußböden zwar sind fast durchgängig mit Parket ver¬
sehen, die Decken aber allenthalben einfach weiß getüncht. Prachtstücke von
Portieren und Teppichen, kostbare Uhren, Schnitzwerk von Bedeutung kommen
gar nicht, vergoldete und mit Seidenstoff überzogene Stühle, Tischplatten und
Konsolen von Marmor nur im Salon und im Zimmer der Fürstin vor. Oel-
gemälde sind selten. Dafür aber gibt es an mehreren Stellen gemüthliche
Nischen und freundliche Ausblicke durch die Feuster. Fast alle Gemächer sind
reichlich mit bequemen Schaukel- und Polsterstühlen, Divans und Sophas aus¬
gestattet, und alle haben Kachelofen mit Kaminfeuern, die mit dem ersten Ein¬
tritt einigermaßen kühler Witterung geheizt werden; denn der Fürst liebt, wie
alle nervösen Naturen, die Wärme und bedarf ihrer vermuthlich aus Gesund¬
heitsrücksichten. Auch ist der Herbst hier oben erheblich rauher als in Mittel¬
deutschland. In der dritten Woche des Oktober hatten wir zweimal starke
Schneestürme, so daß mir das Glück zu Theil wurde, Varzin nicht blos im
Herbstgewande, sondern mehrere Tage hindurch auch in tief winterlicher Ver¬
brämung zu sehen.

Und nun wollen wir raschen Ganges die innern Räume des alten Hauses
durchschreiten, um dann die des neuen Anbaus und namentlich das Arbeits¬
zimmer des Fürsten mehr im einzelnen zu betrachten.

Durch die gelblich braune Hausthür unter dem Zeltdache mit den Helle¬
barden treten wir in einen kleinen sechseckigen Vorsaal, in dem sich Tische und
Kleiderständer mit Mänteln, Pelzen, Ueberziehern und Fußsäcken befinden. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/498>, abgerufen am 01.09.2024.