Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

nächst auf dem Gymnasium, dann auf der Universität, später an den verschie¬
denen Behörden, überall treffen sie dieselben bekannten Menschen und Verhält¬
nisse wieder, deren Einwirkung sie sich nicht zu entziehen vermögen. Die
Verhältnisse des Kleinstaates, in denen sie leben, und die ihren Einfluß natur¬
gemäß auf sie ausüben müssen, hängen ihnen für immer an; es fehlt ihnen
die den Beamten des größeren Staates gebotene Gelegenheit, sich den Blick zu
erweitern, sich abzuschleifen, und damit eben jener freie Blick selbst." Diesen
Ausführungen, mit denen der Redner den Nagel auf den Kopf traf, fügte er
dann noch weiter hinzu, daß bei der Erleichterung des Uebertritts aus dem
Dienste eines Staates in den eines andern und bei den größeren Aussichten,
die der große Staat biete, naturgemäß biete, ein Abfluß der Kräfte aus unseren
kleinen in den großen Nachbarstaat zu erwarten sei; auch würden dies vor¬
aussichtlich die tüchtigeren sein, wie schon in den letzten Jahren eine verhält¬
nißmäßig größere Zahl jüngerer Juristen aus dem Justizdienste des Landes
ausgeschieden sei, während ein Zuzug von ausländischen Juristen nicht statt¬
gefunden habe.

Dem gegenüber wurde von der Minorität neben andern Punkten insbe¬
sondere geltend gemacht, daß bei einem Anschlusse an Preußen nicht die nöthige
Garantie dafür gegeben sei, daß dem Herzogthum sein Rechtszustand genügend
erhalten bleibe, daß im Gefolg davon die volle Aufgebung der ganzen Justiz¬
hoheit des Landes kommen und dies weiter zur völligen Aufgebung der Selb¬
ständigkeit führen werde. Nach langen Kämpfen entschied sich die Mehrheit
der Landschaft für das Minoritätsvotum der Kommission, also für den An¬
schluß an die thüringischen Staaten. Der Beweggrund war ohne Zweifel ein
politischer; man wollte ein so mächtiges Stück Staatshoheit, wie die Justiz¬
hoheit ist, nicht ohne weiteres preisgeben, ohne dazu gezwungen zu sein. Der
Minister vertrat ebenfalls die mit dem Minoritätsvotum der Kommission iden¬
tische Regierungsvorlage, aber es geschah nicht mit der Wärme mit der er sonst
für eine Vorlage einzutreten Pflegte, und seine Fürsprache war nicht derart,
daß man von einer Annahme des Majoritätsvotums der Kommission seinen
Rücktritt oder die Auflösung der Landschaft hätte befürchten müssen. Nichts¬
destoweniger ist keinen Augenblick zu bezweifeln, daß Gerstenberg, wenn er auch
einem Anschlusse an Preußen nicht entgegen gewesen wäre, doch den Anschluß
an die übrigen thüringischen Staaten gegenwärtig für das richtigere hielt, und
diese Auffassung erscheint um so richtiger, als der Vertrag mit den thüringi¬
schen Staaten nicht auf ewig geschlossen ist. Wenn aber Gerstenberg, der aus
einer mehr als zehnjährigen Erfahrung kannte, wie schwierig es sich mit einer
Menge gleichberechtigter, über ihren Einfluß und ihre Souverünetät eifersüchtig
wachender Kontrahenten arbeiten lasse, und der schon in einer anderen Frage


nächst auf dem Gymnasium, dann auf der Universität, später an den verschie¬
denen Behörden, überall treffen sie dieselben bekannten Menschen und Verhält¬
nisse wieder, deren Einwirkung sie sich nicht zu entziehen vermögen. Die
Verhältnisse des Kleinstaates, in denen sie leben, und die ihren Einfluß natur¬
gemäß auf sie ausüben müssen, hängen ihnen für immer an; es fehlt ihnen
die den Beamten des größeren Staates gebotene Gelegenheit, sich den Blick zu
erweitern, sich abzuschleifen, und damit eben jener freie Blick selbst." Diesen
Ausführungen, mit denen der Redner den Nagel auf den Kopf traf, fügte er
dann noch weiter hinzu, daß bei der Erleichterung des Uebertritts aus dem
Dienste eines Staates in den eines andern und bei den größeren Aussichten,
die der große Staat biete, naturgemäß biete, ein Abfluß der Kräfte aus unseren
kleinen in den großen Nachbarstaat zu erwarten sei; auch würden dies vor¬
aussichtlich die tüchtigeren sein, wie schon in den letzten Jahren eine verhält¬
nißmäßig größere Zahl jüngerer Juristen aus dem Justizdienste des Landes
ausgeschieden sei, während ein Zuzug von ausländischen Juristen nicht statt¬
gefunden habe.

Dem gegenüber wurde von der Minorität neben andern Punkten insbe¬
sondere geltend gemacht, daß bei einem Anschlusse an Preußen nicht die nöthige
Garantie dafür gegeben sei, daß dem Herzogthum sein Rechtszustand genügend
erhalten bleibe, daß im Gefolg davon die volle Aufgebung der ganzen Justiz¬
hoheit des Landes kommen und dies weiter zur völligen Aufgebung der Selb¬
ständigkeit führen werde. Nach langen Kämpfen entschied sich die Mehrheit
der Landschaft für das Minoritätsvotum der Kommission, also für den An¬
schluß an die thüringischen Staaten. Der Beweggrund war ohne Zweifel ein
politischer; man wollte ein so mächtiges Stück Staatshoheit, wie die Justiz¬
hoheit ist, nicht ohne weiteres preisgeben, ohne dazu gezwungen zu sein. Der
Minister vertrat ebenfalls die mit dem Minoritätsvotum der Kommission iden¬
tische Regierungsvorlage, aber es geschah nicht mit der Wärme mit der er sonst
für eine Vorlage einzutreten Pflegte, und seine Fürsprache war nicht derart,
daß man von einer Annahme des Majoritätsvotums der Kommission seinen
Rücktritt oder die Auflösung der Landschaft hätte befürchten müssen. Nichts¬
destoweniger ist keinen Augenblick zu bezweifeln, daß Gerstenberg, wenn er auch
einem Anschlusse an Preußen nicht entgegen gewesen wäre, doch den Anschluß
an die übrigen thüringischen Staaten gegenwärtig für das richtigere hielt, und
diese Auffassung erscheint um so richtiger, als der Vertrag mit den thüringi¬
schen Staaten nicht auf ewig geschlossen ist. Wenn aber Gerstenberg, der aus
einer mehr als zehnjährigen Erfahrung kannte, wie schwierig es sich mit einer
Menge gleichberechtigter, über ihren Einfluß und ihre Souverünetät eifersüchtig
wachender Kontrahenten arbeiten lasse, und der schon in einer anderen Frage


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142982"/>
          <p xml:id="ID_1442" prev="#ID_1441"> nächst auf dem Gymnasium, dann auf der Universität, später an den verschie¬<lb/>
denen Behörden, überall treffen sie dieselben bekannten Menschen und Verhält¬<lb/>
nisse wieder, deren Einwirkung sie sich nicht zu entziehen vermögen. Die<lb/>
Verhältnisse des Kleinstaates, in denen sie leben, und die ihren Einfluß natur¬<lb/>
gemäß auf sie ausüben müssen, hängen ihnen für immer an; es fehlt ihnen<lb/>
die den Beamten des größeren Staates gebotene Gelegenheit, sich den Blick zu<lb/>
erweitern, sich abzuschleifen, und damit eben jener freie Blick selbst." Diesen<lb/>
Ausführungen, mit denen der Redner den Nagel auf den Kopf traf, fügte er<lb/>
dann noch weiter hinzu, daß bei der Erleichterung des Uebertritts aus dem<lb/>
Dienste eines Staates in den eines andern und bei den größeren Aussichten,<lb/>
die der große Staat biete, naturgemäß biete, ein Abfluß der Kräfte aus unseren<lb/>
kleinen in den großen Nachbarstaat zu erwarten sei; auch würden dies vor¬<lb/>
aussichtlich die tüchtigeren sein, wie schon in den letzten Jahren eine verhält¬<lb/>
nißmäßig größere Zahl jüngerer Juristen aus dem Justizdienste des Landes<lb/>
ausgeschieden sei, während ein Zuzug von ausländischen Juristen nicht statt¬<lb/>
gefunden habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1443" next="#ID_1444"> Dem gegenüber wurde von der Minorität neben andern Punkten insbe¬<lb/>
sondere geltend gemacht, daß bei einem Anschlusse an Preußen nicht die nöthige<lb/>
Garantie dafür gegeben sei, daß dem Herzogthum sein Rechtszustand genügend<lb/>
erhalten bleibe, daß im Gefolg davon die volle Aufgebung der ganzen Justiz¬<lb/>
hoheit des Landes kommen und dies weiter zur völligen Aufgebung der Selb¬<lb/>
ständigkeit führen werde. Nach langen Kämpfen entschied sich die Mehrheit<lb/>
der Landschaft für das Minoritätsvotum der Kommission, also für den An¬<lb/>
schluß an die thüringischen Staaten. Der Beweggrund war ohne Zweifel ein<lb/>
politischer; man wollte ein so mächtiges Stück Staatshoheit, wie die Justiz¬<lb/>
hoheit ist, nicht ohne weiteres preisgeben, ohne dazu gezwungen zu sein. Der<lb/>
Minister vertrat ebenfalls die mit dem Minoritätsvotum der Kommission iden¬<lb/>
tische Regierungsvorlage, aber es geschah nicht mit der Wärme mit der er sonst<lb/>
für eine Vorlage einzutreten Pflegte, und seine Fürsprache war nicht derart,<lb/>
daß man von einer Annahme des Majoritätsvotums der Kommission seinen<lb/>
Rücktritt oder die Auflösung der Landschaft hätte befürchten müssen. Nichts¬<lb/>
destoweniger ist keinen Augenblick zu bezweifeln, daß Gerstenberg, wenn er auch<lb/>
einem Anschlusse an Preußen nicht entgegen gewesen wäre, doch den Anschluß<lb/>
an die übrigen thüringischen Staaten gegenwärtig für das richtigere hielt, und<lb/>
diese Auffassung erscheint um so richtiger, als der Vertrag mit den thüringi¬<lb/>
schen Staaten nicht auf ewig geschlossen ist. Wenn aber Gerstenberg, der aus<lb/>
einer mehr als zehnjährigen Erfahrung kannte, wie schwierig es sich mit einer<lb/>
Menge gleichberechtigter, über ihren Einfluß und ihre Souverünetät eifersüchtig<lb/>
wachender Kontrahenten arbeiten lasse, und der schon in einer anderen Frage</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0485] nächst auf dem Gymnasium, dann auf der Universität, später an den verschie¬ denen Behörden, überall treffen sie dieselben bekannten Menschen und Verhält¬ nisse wieder, deren Einwirkung sie sich nicht zu entziehen vermögen. Die Verhältnisse des Kleinstaates, in denen sie leben, und die ihren Einfluß natur¬ gemäß auf sie ausüben müssen, hängen ihnen für immer an; es fehlt ihnen die den Beamten des größeren Staates gebotene Gelegenheit, sich den Blick zu erweitern, sich abzuschleifen, und damit eben jener freie Blick selbst." Diesen Ausführungen, mit denen der Redner den Nagel auf den Kopf traf, fügte er dann noch weiter hinzu, daß bei der Erleichterung des Uebertritts aus dem Dienste eines Staates in den eines andern und bei den größeren Aussichten, die der große Staat biete, naturgemäß biete, ein Abfluß der Kräfte aus unseren kleinen in den großen Nachbarstaat zu erwarten sei; auch würden dies vor¬ aussichtlich die tüchtigeren sein, wie schon in den letzten Jahren eine verhält¬ nißmäßig größere Zahl jüngerer Juristen aus dem Justizdienste des Landes ausgeschieden sei, während ein Zuzug von ausländischen Juristen nicht statt¬ gefunden habe. Dem gegenüber wurde von der Minorität neben andern Punkten insbe¬ sondere geltend gemacht, daß bei einem Anschlusse an Preußen nicht die nöthige Garantie dafür gegeben sei, daß dem Herzogthum sein Rechtszustand genügend erhalten bleibe, daß im Gefolg davon die volle Aufgebung der ganzen Justiz¬ hoheit des Landes kommen und dies weiter zur völligen Aufgebung der Selb¬ ständigkeit führen werde. Nach langen Kämpfen entschied sich die Mehrheit der Landschaft für das Minoritätsvotum der Kommission, also für den An¬ schluß an die thüringischen Staaten. Der Beweggrund war ohne Zweifel ein politischer; man wollte ein so mächtiges Stück Staatshoheit, wie die Justiz¬ hoheit ist, nicht ohne weiteres preisgeben, ohne dazu gezwungen zu sein. Der Minister vertrat ebenfalls die mit dem Minoritätsvotum der Kommission iden¬ tische Regierungsvorlage, aber es geschah nicht mit der Wärme mit der er sonst für eine Vorlage einzutreten Pflegte, und seine Fürsprache war nicht derart, daß man von einer Annahme des Majoritätsvotums der Kommission seinen Rücktritt oder die Auflösung der Landschaft hätte befürchten müssen. Nichts¬ destoweniger ist keinen Augenblick zu bezweifeln, daß Gerstenberg, wenn er auch einem Anschlusse an Preußen nicht entgegen gewesen wäre, doch den Anschluß an die übrigen thüringischen Staaten gegenwärtig für das richtigere hielt, und diese Auffassung erscheint um so richtiger, als der Vertrag mit den thüringi¬ schen Staaten nicht auf ewig geschlossen ist. Wenn aber Gerstenberg, der aus einer mehr als zehnjährigen Erfahrung kannte, wie schwierig es sich mit einer Menge gleichberechtigter, über ihren Einfluß und ihre Souverünetät eifersüchtig wachender Kontrahenten arbeiten lasse, und der schon in einer anderen Frage

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/485
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/485>, abgerufen am 01.09.2024.