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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Charakteristik wenigstens nach der malerischen Seite durch das lebensgroße,
in ganzer Figur gegebene Bildniß der Königin Luise in den Schatten gestellt.
Es hat zwischen grünen Gewächsen im Ehrensaale des Ausstellungsgebäudes
einen bevorzugten Platz erhalten. Mit Zuhilfenahme der Schadow'schen Büste,
welche uns die Züge der zum Schutzengel der preußischen Nation gewordenen
Königin an treusten aufbewahrt, hat der Maler eine sylphenhafte, fast über¬
irdische Erscheinung geschaffen. In ein weißes Gewand gekleidet, das durch
ein rosenfarbenes Seitenhaut um die Taille festgehalten wird, steigt die Königin
die Stufen einer Treppe herab, die aus der Veranda des Charlottenburger Schlosses
in den Park führt. Ein schwarzer, hermelinbesetzter Sammetmantel, der zu
beiden Seiten der schlanken Gestalt, von Armen und Händen gehalten, sichtbar
wird, unterbricht die leuchtende Masse des weißen, am Saume mit Gold ge¬
stickten Gewandes, welches die linke Hand der Königin leicht emporhebt, um
den vorwärtsschreitenden linken Fuß nicht in seiner Bewegung zu hemmen.
Indem das rechte Knie eine kleine Beugung macht, brechen sich die unteren
Gewandpartieen,'und ein leichter Schatten von vollkommener Durchsichtigkeit
legt sich auf die glänzende Fläche. Das schöne Haupt und das aschblonde
Haar umschließt ein goldner Reif, auf dem sich ein blitzender Stern erhebt,
der in die Nacht des Hintergrundes hineinleuchtet. Denn im Fond hat sich
ein schweres, düsteres Wettergewvlk zusammengezogen, das in seiner unheim¬
lichen Schwärze mit der leuchtenden Seraphgestalt im Vordergrunde lebhaft
kontrastirt. Was dem Künstler vielleicht nur ein Mittel zum Zweck malerischer
Wirkung war, wird dem Beschauer zu tiefsinniger Symbolik, wenn er den
"einzigen Stern in Preußen's tiefster Nacht" in so vollendet idealer Gestalt
verkörpert sieht.

Man wird nur wenige Kunstwerke finden -- und dann muß man schon weit
in die klassische Vergangenheit zurückgreifen --, denen man den Werdeprozeß,
das Entstehen so wenig oder vielmehr so ganz und gar nicht anmerkt wie
diesem herrlichen Gebilde, das so harmonisch in sich vollendet dasteht, ohne
daß man irgendwo die Spuren seines Schöpfers bemerkt. Der malerische
Vortrag erinnert in seiner Verschmolzenheit, Einheitlichkeit und Zartheit an den
Meeresschaum, in seinem opalartigen Glänze an den Lüstre einer geöffneten
Muschel. Seit Palma Vecchio, dem göttlichen Frauenmaler Venedig's, hat
kein Künstler etwas derartiges zu Wege gebracht. Und Richter steht nun schon
beinahe seit 25 Jahren auf dieser Höhe. Eine Reminiscenz aus dem "Kunst¬
blatte" von 1856, ein Wort von Friedrich Eggers, ist heute gerade noch so zu¬
treffend wie damals. "In diesem Werke," so schrieb Eggers von einem Damen¬
bildnisse, "steht die Technik auf einer Höhe, daß man nicht von ihr reden muß:


Charakteristik wenigstens nach der malerischen Seite durch das lebensgroße,
in ganzer Figur gegebene Bildniß der Königin Luise in den Schatten gestellt.
Es hat zwischen grünen Gewächsen im Ehrensaale des Ausstellungsgebäudes
einen bevorzugten Platz erhalten. Mit Zuhilfenahme der Schadow'schen Büste,
welche uns die Züge der zum Schutzengel der preußischen Nation gewordenen
Königin an treusten aufbewahrt, hat der Maler eine sylphenhafte, fast über¬
irdische Erscheinung geschaffen. In ein weißes Gewand gekleidet, das durch
ein rosenfarbenes Seitenhaut um die Taille festgehalten wird, steigt die Königin
die Stufen einer Treppe herab, die aus der Veranda des Charlottenburger Schlosses
in den Park führt. Ein schwarzer, hermelinbesetzter Sammetmantel, der zu
beiden Seiten der schlanken Gestalt, von Armen und Händen gehalten, sichtbar
wird, unterbricht die leuchtende Masse des weißen, am Saume mit Gold ge¬
stickten Gewandes, welches die linke Hand der Königin leicht emporhebt, um
den vorwärtsschreitenden linken Fuß nicht in seiner Bewegung zu hemmen.
Indem das rechte Knie eine kleine Beugung macht, brechen sich die unteren
Gewandpartieen,'und ein leichter Schatten von vollkommener Durchsichtigkeit
legt sich auf die glänzende Fläche. Das schöne Haupt und das aschblonde
Haar umschließt ein goldner Reif, auf dem sich ein blitzender Stern erhebt,
der in die Nacht des Hintergrundes hineinleuchtet. Denn im Fond hat sich
ein schweres, düsteres Wettergewvlk zusammengezogen, das in seiner unheim¬
lichen Schwärze mit der leuchtenden Seraphgestalt im Vordergrunde lebhaft
kontrastirt. Was dem Künstler vielleicht nur ein Mittel zum Zweck malerischer
Wirkung war, wird dem Beschauer zu tiefsinniger Symbolik, wenn er den
„einzigen Stern in Preußen's tiefster Nacht" in so vollendet idealer Gestalt
verkörpert sieht.

Man wird nur wenige Kunstwerke finden — und dann muß man schon weit
in die klassische Vergangenheit zurückgreifen —, denen man den Werdeprozeß,
das Entstehen so wenig oder vielmehr so ganz und gar nicht anmerkt wie
diesem herrlichen Gebilde, das so harmonisch in sich vollendet dasteht, ohne
daß man irgendwo die Spuren seines Schöpfers bemerkt. Der malerische
Vortrag erinnert in seiner Verschmolzenheit, Einheitlichkeit und Zartheit an den
Meeresschaum, in seinem opalartigen Glänze an den Lüstre einer geöffneten
Muschel. Seit Palma Vecchio, dem göttlichen Frauenmaler Venedig's, hat
kein Künstler etwas derartiges zu Wege gebracht. Und Richter steht nun schon
beinahe seit 25 Jahren auf dieser Höhe. Eine Reminiscenz aus dem „Kunst¬
blatte" von 1856, ein Wort von Friedrich Eggers, ist heute gerade noch so zu¬
treffend wie damals. „In diesem Werke," so schrieb Eggers von einem Damen¬
bildnisse, „steht die Technik auf einer Höhe, daß man nicht von ihr reden muß:


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[0465] Charakteristik wenigstens nach der malerischen Seite durch das lebensgroße, in ganzer Figur gegebene Bildniß der Königin Luise in den Schatten gestellt. Es hat zwischen grünen Gewächsen im Ehrensaale des Ausstellungsgebäudes einen bevorzugten Platz erhalten. Mit Zuhilfenahme der Schadow'schen Büste, welche uns die Züge der zum Schutzengel der preußischen Nation gewordenen Königin an treusten aufbewahrt, hat der Maler eine sylphenhafte, fast über¬ irdische Erscheinung geschaffen. In ein weißes Gewand gekleidet, das durch ein rosenfarbenes Seitenhaut um die Taille festgehalten wird, steigt die Königin die Stufen einer Treppe herab, die aus der Veranda des Charlottenburger Schlosses in den Park führt. Ein schwarzer, hermelinbesetzter Sammetmantel, der zu beiden Seiten der schlanken Gestalt, von Armen und Händen gehalten, sichtbar wird, unterbricht die leuchtende Masse des weißen, am Saume mit Gold ge¬ stickten Gewandes, welches die linke Hand der Königin leicht emporhebt, um den vorwärtsschreitenden linken Fuß nicht in seiner Bewegung zu hemmen. Indem das rechte Knie eine kleine Beugung macht, brechen sich die unteren Gewandpartieen,'und ein leichter Schatten von vollkommener Durchsichtigkeit legt sich auf die glänzende Fläche. Das schöne Haupt und das aschblonde Haar umschließt ein goldner Reif, auf dem sich ein blitzender Stern erhebt, der in die Nacht des Hintergrundes hineinleuchtet. Denn im Fond hat sich ein schweres, düsteres Wettergewvlk zusammengezogen, das in seiner unheim¬ lichen Schwärze mit der leuchtenden Seraphgestalt im Vordergrunde lebhaft kontrastirt. Was dem Künstler vielleicht nur ein Mittel zum Zweck malerischer Wirkung war, wird dem Beschauer zu tiefsinniger Symbolik, wenn er den „einzigen Stern in Preußen's tiefster Nacht" in so vollendet idealer Gestalt verkörpert sieht. Man wird nur wenige Kunstwerke finden — und dann muß man schon weit in die klassische Vergangenheit zurückgreifen —, denen man den Werdeprozeß, das Entstehen so wenig oder vielmehr so ganz und gar nicht anmerkt wie diesem herrlichen Gebilde, das so harmonisch in sich vollendet dasteht, ohne daß man irgendwo die Spuren seines Schöpfers bemerkt. Der malerische Vortrag erinnert in seiner Verschmolzenheit, Einheitlichkeit und Zartheit an den Meeresschaum, in seinem opalartigen Glänze an den Lüstre einer geöffneten Muschel. Seit Palma Vecchio, dem göttlichen Frauenmaler Venedig's, hat kein Künstler etwas derartiges zu Wege gebracht. Und Richter steht nun schon beinahe seit 25 Jahren auf dieser Höhe. Eine Reminiscenz aus dem „Kunst¬ blatte" von 1856, ein Wort von Friedrich Eggers, ist heute gerade noch so zu¬ treffend wie damals. „In diesem Werke," so schrieb Eggers von einem Damen¬ bildnisse, „steht die Technik auf einer Höhe, daß man nicht von ihr reden muß:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/465>, abgerufen am 27.07.2024.