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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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der Figuren. Das Petrarkabild hingegen ist kalt und kreidig im Ton, zerfahren
in der Komposition und oberflächlich in der Charakteristik.

Feuerbach verzichtete bald auf solche Farbenexperimente und fand sich selber
wieder in Dante's'beriihmtem Liebespaar, Francescci von Rimini und Paolo
Malatesta (1864), ebenfalls wie die vorigen in der Schack'schen Galerie. Die
süße, holdselige Sentimentalität des Liebespaares, welches bei der Lektüre des
Lanzelot-Romans seine Gefühle verräth, ist freilich nicht so fesselnd zum Ausdruck
gebracht, daß man darüber den etwas langweiligen Faltenwurf der Gewänder
übersähe. In geistiger Beziehung höher steht die Darstellung eines anderen
berühmten Liebespaares, Romeo's und Juliens, die aus dem Jahre 1873
stammt. Da sich der Künstler hier einer größeren Enthaltsamkeit in der An¬
wendung der grauen Töne befleißigt hat, so gehört das Bild nach der Seite
des Kolorits zu seinen erfreulicheren. Doch dürfte die Auffassung der beiden
Figuren nicht Jedermann behagen. Statt uns das romantische Liebespaar
vorzuführen, welches uns vom Theater her und aus zahllosen sentimentalen
Bildern genugsam bekannt ist, hat Feuerbach -- es ist die Balkonszene dar¬
gestellt -- ein paar Typen aus dem italienischen Volke herausgegriffen, wie
sie alle Tage anzutreffen sind. Sein Romeo ist ein Jüngling, der eben dem
Knabenalter entwachsen ist. Aber gerade bei solchen Naturen, die noch in
einem halb traumhaften Dasein befangen sind, bricht die Leidenschaft mit vulka¬
nischer Heftigkeit hervor, und diese Charaktereigenthümlichkeit hat Feuerbach
mit unleugbaren Glück verwerthet. Wie Funken unter der Asche, die bei dem
leisesten Hauche auflodern, glüht es in dem gebräunten Gesichte. Und dem¬
entsprechend hat der Künstler auch die Julia, getreu den Worten des Dichters
folgend, als vierzehnjähriges Mädchen in der ersten Blüthe der Jungfräulich¬
keit dargestellt.

An diese Stelle reihen wir am besten seine Bilder aus dem Kinderleben
an, in welchen sich eine bei dem ernsten Stilisten auffallende Naivetät, sogar
ein leises Hinneigen zum Humor ausspricht. Aber die fatalen grauen Töne
lasten auch vor diesen sonst so gefülligen Darstellungen kein rechtes Behagen
aufkommen. Am empfindlichsten leidet darunter eine Komposition von fünf
Figuren: eine Mutter, die von vier Kindern in verschiedenem Alter umgeben
in einer Landschaft vor einem reichsknlpirten Brunnen sitzt (1866, bei Schack).
Die grauen, in's Violette spielenden Töne sind hier zwar äußerlich durch den
grauen Himmel, der den weiten Horizont bedeckt, und die Abenddämmerung
motivirt; aber man begreift nicht recht, warum das blühende Leben der rosigen
Kinderleiber durch diese Schleier abgedämpft wird. Die tiefe, schwermüthige
Stimmung des Ganzen kontrastirt auffällig mit den fröhlichen, offenen Kinder-
gesichtern, die durch die unausrottbare Laune des Malers einen unangenehmen


der Figuren. Das Petrarkabild hingegen ist kalt und kreidig im Ton, zerfahren
in der Komposition und oberflächlich in der Charakteristik.

Feuerbach verzichtete bald auf solche Farbenexperimente und fand sich selber
wieder in Dante's'beriihmtem Liebespaar, Francescci von Rimini und Paolo
Malatesta (1864), ebenfalls wie die vorigen in der Schack'schen Galerie. Die
süße, holdselige Sentimentalität des Liebespaares, welches bei der Lektüre des
Lanzelot-Romans seine Gefühle verräth, ist freilich nicht so fesselnd zum Ausdruck
gebracht, daß man darüber den etwas langweiligen Faltenwurf der Gewänder
übersähe. In geistiger Beziehung höher steht die Darstellung eines anderen
berühmten Liebespaares, Romeo's und Juliens, die aus dem Jahre 1873
stammt. Da sich der Künstler hier einer größeren Enthaltsamkeit in der An¬
wendung der grauen Töne befleißigt hat, so gehört das Bild nach der Seite
des Kolorits zu seinen erfreulicheren. Doch dürfte die Auffassung der beiden
Figuren nicht Jedermann behagen. Statt uns das romantische Liebespaar
vorzuführen, welches uns vom Theater her und aus zahllosen sentimentalen
Bildern genugsam bekannt ist, hat Feuerbach — es ist die Balkonszene dar¬
gestellt — ein paar Typen aus dem italienischen Volke herausgegriffen, wie
sie alle Tage anzutreffen sind. Sein Romeo ist ein Jüngling, der eben dem
Knabenalter entwachsen ist. Aber gerade bei solchen Naturen, die noch in
einem halb traumhaften Dasein befangen sind, bricht die Leidenschaft mit vulka¬
nischer Heftigkeit hervor, und diese Charaktereigenthümlichkeit hat Feuerbach
mit unleugbaren Glück verwerthet. Wie Funken unter der Asche, die bei dem
leisesten Hauche auflodern, glüht es in dem gebräunten Gesichte. Und dem¬
entsprechend hat der Künstler auch die Julia, getreu den Worten des Dichters
folgend, als vierzehnjähriges Mädchen in der ersten Blüthe der Jungfräulich¬
keit dargestellt.

An diese Stelle reihen wir am besten seine Bilder aus dem Kinderleben
an, in welchen sich eine bei dem ernsten Stilisten auffallende Naivetät, sogar
ein leises Hinneigen zum Humor ausspricht. Aber die fatalen grauen Töne
lasten auch vor diesen sonst so gefülligen Darstellungen kein rechtes Behagen
aufkommen. Am empfindlichsten leidet darunter eine Komposition von fünf
Figuren: eine Mutter, die von vier Kindern in verschiedenem Alter umgeben
in einer Landschaft vor einem reichsknlpirten Brunnen sitzt (1866, bei Schack).
Die grauen, in's Violette spielenden Töne sind hier zwar äußerlich durch den
grauen Himmel, der den weiten Horizont bedeckt, und die Abenddämmerung
motivirt; aber man begreift nicht recht, warum das blühende Leben der rosigen
Kinderleiber durch diese Schleier abgedämpft wird. Die tiefe, schwermüthige
Stimmung des Ganzen kontrastirt auffällig mit den fröhlichen, offenen Kinder-
gesichtern, die durch die unausrottbare Laune des Malers einen unangenehmen


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[0045] der Figuren. Das Petrarkabild hingegen ist kalt und kreidig im Ton, zerfahren in der Komposition und oberflächlich in der Charakteristik. Feuerbach verzichtete bald auf solche Farbenexperimente und fand sich selber wieder in Dante's'beriihmtem Liebespaar, Francescci von Rimini und Paolo Malatesta (1864), ebenfalls wie die vorigen in der Schack'schen Galerie. Die süße, holdselige Sentimentalität des Liebespaares, welches bei der Lektüre des Lanzelot-Romans seine Gefühle verräth, ist freilich nicht so fesselnd zum Ausdruck gebracht, daß man darüber den etwas langweiligen Faltenwurf der Gewänder übersähe. In geistiger Beziehung höher steht die Darstellung eines anderen berühmten Liebespaares, Romeo's und Juliens, die aus dem Jahre 1873 stammt. Da sich der Künstler hier einer größeren Enthaltsamkeit in der An¬ wendung der grauen Töne befleißigt hat, so gehört das Bild nach der Seite des Kolorits zu seinen erfreulicheren. Doch dürfte die Auffassung der beiden Figuren nicht Jedermann behagen. Statt uns das romantische Liebespaar vorzuführen, welches uns vom Theater her und aus zahllosen sentimentalen Bildern genugsam bekannt ist, hat Feuerbach — es ist die Balkonszene dar¬ gestellt — ein paar Typen aus dem italienischen Volke herausgegriffen, wie sie alle Tage anzutreffen sind. Sein Romeo ist ein Jüngling, der eben dem Knabenalter entwachsen ist. Aber gerade bei solchen Naturen, die noch in einem halb traumhaften Dasein befangen sind, bricht die Leidenschaft mit vulka¬ nischer Heftigkeit hervor, und diese Charaktereigenthümlichkeit hat Feuerbach mit unleugbaren Glück verwerthet. Wie Funken unter der Asche, die bei dem leisesten Hauche auflodern, glüht es in dem gebräunten Gesichte. Und dem¬ entsprechend hat der Künstler auch die Julia, getreu den Worten des Dichters folgend, als vierzehnjähriges Mädchen in der ersten Blüthe der Jungfräulich¬ keit dargestellt. An diese Stelle reihen wir am besten seine Bilder aus dem Kinderleben an, in welchen sich eine bei dem ernsten Stilisten auffallende Naivetät, sogar ein leises Hinneigen zum Humor ausspricht. Aber die fatalen grauen Töne lasten auch vor diesen sonst so gefülligen Darstellungen kein rechtes Behagen aufkommen. Am empfindlichsten leidet darunter eine Komposition von fünf Figuren: eine Mutter, die von vier Kindern in verschiedenem Alter umgeben in einer Landschaft vor einem reichsknlpirten Brunnen sitzt (1866, bei Schack). Die grauen, in's Violette spielenden Töne sind hier zwar äußerlich durch den grauen Himmel, der den weiten Horizont bedeckt, und die Abenddämmerung motivirt; aber man begreift nicht recht, warum das blühende Leben der rosigen Kinderleiber durch diese Schleier abgedämpft wird. Die tiefe, schwermüthige Stimmung des Ganzen kontrastirt auffällig mit den fröhlichen, offenen Kinder- gesichtern, die durch die unausrottbare Laune des Malers einen unangenehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/45>, abgerufen am 24.11.2024.