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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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einnehmen, ohne dem entsprechend durch das Kolorit und das interessante Spiel
des Helldunkels belebt zu sein. Feuerbach verschmäht absichtlich jeden Farben¬
effekt und begnügt sich mit der statuarischen Wirkung seiner Gestalten. Ueber
den langausgestrecktem Leichnam des Erlösers, der auf einem felsigen Bette am
Eingange einer Grotte liegt, hat sich die Schmerzensmutter geworfen, mit der
Rechten das Antlitz bergend. Hinter ihr knieen betend die drei Marieen, drei
edle Frauengestalten in rhythmischer Gruppirung mit verschiedener Profilstel¬
lung. Die mittlere im xroül xsrÄu ist eine prächtige Vollblutrömerin, welcher
wir fortan öfter auf den Bildern des Künstlers begegnen. Auch ihr Bildniß
-- sie war die Frau eines Schuhmachers -- findet sich in der Galerie Schack.
Dort heben sich die energischen Linien des schönen Angesichts und das reiche,
blauschwarze Haar von einem grünen Vorhang ab, der nicht verfehlt, die be¬
liebten graugrünen Schatten auf den gelben Teint der Römerin zu werfen,
aus deren Augen eine merkwürdig fesselnde Schwermuth spricht.

Die grandiose Einfachheit der Silhouette und das schöne, schwungvolle
Linienspiel, das wir auf der "Pietü." bewundern, hat Feuerbach nur noch ein¬
mal wieder erreicht, auf seiner "Iphigenie in Tauris", die schon etwas früher,
1861, entstand, die er aber nach zehn Jahren noch einmal für die Stuttgarter
Galerie wiederholte. Die Priesterin der Artemis sitzt, "das Land der Griechen
mit der Seele suchend", am Meeresstrande auf einer Steinbank, hinter der sich
eine steinerne Brüstung erhebt, auf welche die Suchende den Arm stützt. Das
schöne Angesicht ist nur im tiefen Profil sichtbar; von der Seele, die sich im
Antlitze spiegeln foll, sieht man also nnr wenig. Auch hier muß wieder das
kunstvoll angeordnete Gewand, dessen großartiger Faltenwurf an die Skulp¬
turen der höchsten griechischen Kunstblüthe gemahnt, die hauptsächlichsten
Ansprüche des Beschauers befriedigen. Die grauen Halbtöne in den Falten
und im Jnkarnat des Angesichts und der Hände mögen hier wohl die trübe,
sehnsüchtige Stimmung Jphigeniens symbolistren. Mit der "Picks" gehört die
Iphigenie in beiden Exemplaren trotzdem zu denjenigen Schöpfungen Feuer-
bach's, vor denen sich der Beschauer einem verhültnißmäßig reinen Genusse
hingeben kann."

Das Thema, welches er im "Dante angeschlagen, wandelte er später
noch zweimal in erheblich schwächeren Variationen ab: Ariosto mit schönen
Frauen im Parke zu Ferrara, und Petrarka, der in der Kirche zu Avignon
zum ersten Male seine Laura erblickt. Auf beiden Bildern versuchte der Künstler,
von seinem einförmigen Wege abzuweichen und einmal reichere koloristische
Akkorde anzuschlagen; aber beide Experimente mißglückter ihm. Ariosto, bunt
und unruhig in der koloristischen Haltung, fesselt wenigstens durch interessante
Einzelheiten, durch eine gewisse heitere Stimmung und durch die Charakteristik


einnehmen, ohne dem entsprechend durch das Kolorit und das interessante Spiel
des Helldunkels belebt zu sein. Feuerbach verschmäht absichtlich jeden Farben¬
effekt und begnügt sich mit der statuarischen Wirkung seiner Gestalten. Ueber
den langausgestrecktem Leichnam des Erlösers, der auf einem felsigen Bette am
Eingange einer Grotte liegt, hat sich die Schmerzensmutter geworfen, mit der
Rechten das Antlitz bergend. Hinter ihr knieen betend die drei Marieen, drei
edle Frauengestalten in rhythmischer Gruppirung mit verschiedener Profilstel¬
lung. Die mittlere im xroül xsrÄu ist eine prächtige Vollblutrömerin, welcher
wir fortan öfter auf den Bildern des Künstlers begegnen. Auch ihr Bildniß
— sie war die Frau eines Schuhmachers — findet sich in der Galerie Schack.
Dort heben sich die energischen Linien des schönen Angesichts und das reiche,
blauschwarze Haar von einem grünen Vorhang ab, der nicht verfehlt, die be¬
liebten graugrünen Schatten auf den gelben Teint der Römerin zu werfen,
aus deren Augen eine merkwürdig fesselnde Schwermuth spricht.

Die grandiose Einfachheit der Silhouette und das schöne, schwungvolle
Linienspiel, das wir auf der „Pietü." bewundern, hat Feuerbach nur noch ein¬
mal wieder erreicht, auf seiner „Iphigenie in Tauris", die schon etwas früher,
1861, entstand, die er aber nach zehn Jahren noch einmal für die Stuttgarter
Galerie wiederholte. Die Priesterin der Artemis sitzt, „das Land der Griechen
mit der Seele suchend", am Meeresstrande auf einer Steinbank, hinter der sich
eine steinerne Brüstung erhebt, auf welche die Suchende den Arm stützt. Das
schöne Angesicht ist nur im tiefen Profil sichtbar; von der Seele, die sich im
Antlitze spiegeln foll, sieht man also nnr wenig. Auch hier muß wieder das
kunstvoll angeordnete Gewand, dessen großartiger Faltenwurf an die Skulp¬
turen der höchsten griechischen Kunstblüthe gemahnt, die hauptsächlichsten
Ansprüche des Beschauers befriedigen. Die grauen Halbtöne in den Falten
und im Jnkarnat des Angesichts und der Hände mögen hier wohl die trübe,
sehnsüchtige Stimmung Jphigeniens symbolistren. Mit der „Picks" gehört die
Iphigenie in beiden Exemplaren trotzdem zu denjenigen Schöpfungen Feuer-
bach's, vor denen sich der Beschauer einem verhültnißmäßig reinen Genusse
hingeben kann."

Das Thema, welches er im „Dante angeschlagen, wandelte er später
noch zweimal in erheblich schwächeren Variationen ab: Ariosto mit schönen
Frauen im Parke zu Ferrara, und Petrarka, der in der Kirche zu Avignon
zum ersten Male seine Laura erblickt. Auf beiden Bildern versuchte der Künstler,
von seinem einförmigen Wege abzuweichen und einmal reichere koloristische
Akkorde anzuschlagen; aber beide Experimente mißglückter ihm. Ariosto, bunt
und unruhig in der koloristischen Haltung, fesselt wenigstens durch interessante
Einzelheiten, durch eine gewisse heitere Stimmung und durch die Charakteristik


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/44>, abgerufen am 24.11.2024.