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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Der reiche Freundeskreis, in den Amalie getreten war, mußte ihr um so
werthvoller werden, je mehr Lücken der Tod in ihre Familie riß, und je
weniger sie bei den zurückbleibenden Gliedern derselben auf Verständniß und
Uebereinstimmung rechnen konnte. 185? starb ihre Mutter, 1861 ihr Bruder
Ernst, der ihrem Herzen so nahe gestanden hatte. Mehrere seiner Schristen
waren in den Index der verbotenen Bücher gesetzt worden. Ihre Schwestern
Närrchen und Clementine waren auch Nonnen geworden, aber wenn die milde
Frömmigkeit der ersteren Amalie sympathisch berührte, so kam sie mit der
zornigen Heiligkeit der geistreichen und vornehmen Clementine meist in hestigen
Gegensatz. Ihr jüngster Bruder Hermann war ein wunderlicher Charakter,
wenig zugänglich und genießbar. Er starb 1868. 1866 war ihm Schwester
Närrchen vorangegangen. So vereinsamt, mußte Amalie in der Freundschaft
suchen, was sie im Familienkreise verloren hatte.

Eine große Anregung empfing sie durch die Berufsthätigkeit, welche die
Kriege von 1864 und 1866 ihr zur Pflicht machten. Die Arbeitsfülle,
welche sie in Schleswig-Holstein und in Böhmen in der Pflege der Verwundeten
fand, versetzte sie in ihr eigenstes Element. Hier war ihrem Schaffensdrang
das weiteste Feld geboten. Trotz der rastlosen und aufreibenden Hingabe, die
sie zeigte, trotz der tiefsten Theilnahme des Herzens, die sie den Leidenden ent¬
gegen trug, war sie von einer Heiterkeit und Frische erfüllt, wie nie zuvor,
seitdem sie das Klosterleben gewählt hatte. Auch innerlich wuchs sie; immer
freier wurde ihr Blick, freier und tiefer zugleich, immer entschiedner ihre kirch¬
liche Stellung. Die letztere sollte sie bald öffentlich bewähren.

Schon lange war die Temperatur in der katholischen Kirche sehr schwül
geworden. Von langer Hand vorbereitet, wurde die Umgestaltung der kirch¬
lichen Verfassung aus einer Aristokratie in eine absolute Monarchie zur voll¬
endeten Thatsache. Die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Em-
pfängniß Mariä im Jahre 1854 war ein Fühler gewesen, was man den
Gemeinden bieten könne. Es hatte sich gezeigt, daß sie reif seien, anch das
Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes zu empfangen, und daß man sicher
sein konnte, den Widerstand dagegen auch schließlich zu besiegen. Das Ver¬
halten der katholischen Bischöfe nach dem Vatikanischen Konzil ist zu bekannt,
als daß wir es näher zu beleuchten hätten. Schwester Augustine begleitete
diese Bewegung mit dem bittersten Schmerz. "Eine solche sittliche Verkommen¬
heit uuter deu Kirchenfürsten," schrieb sie an Cornelius, "wie sie heute zu Tage
tritt, hätte man doch im Alltagsleben nicht für möglich gehalten." Ein Bischof
nach dem andern beugte sich. Hefele, der anfangs erklärt hatte, er werde die
Suspension über sich ergehen lassen, ja er werde lieber sterben, als dies Dogma
anerkennen, sand bald: "die Rolle eines suspendirten Bischofs sei zu jämmer-


Der reiche Freundeskreis, in den Amalie getreten war, mußte ihr um so
werthvoller werden, je mehr Lücken der Tod in ihre Familie riß, und je
weniger sie bei den zurückbleibenden Gliedern derselben auf Verständniß und
Uebereinstimmung rechnen konnte. 185? starb ihre Mutter, 1861 ihr Bruder
Ernst, der ihrem Herzen so nahe gestanden hatte. Mehrere seiner Schristen
waren in den Index der verbotenen Bücher gesetzt worden. Ihre Schwestern
Närrchen und Clementine waren auch Nonnen geworden, aber wenn die milde
Frömmigkeit der ersteren Amalie sympathisch berührte, so kam sie mit der
zornigen Heiligkeit der geistreichen und vornehmen Clementine meist in hestigen
Gegensatz. Ihr jüngster Bruder Hermann war ein wunderlicher Charakter,
wenig zugänglich und genießbar. Er starb 1868. 1866 war ihm Schwester
Närrchen vorangegangen. So vereinsamt, mußte Amalie in der Freundschaft
suchen, was sie im Familienkreise verloren hatte.

Eine große Anregung empfing sie durch die Berufsthätigkeit, welche die
Kriege von 1864 und 1866 ihr zur Pflicht machten. Die Arbeitsfülle,
welche sie in Schleswig-Holstein und in Böhmen in der Pflege der Verwundeten
fand, versetzte sie in ihr eigenstes Element. Hier war ihrem Schaffensdrang
das weiteste Feld geboten. Trotz der rastlosen und aufreibenden Hingabe, die
sie zeigte, trotz der tiefsten Theilnahme des Herzens, die sie den Leidenden ent¬
gegen trug, war sie von einer Heiterkeit und Frische erfüllt, wie nie zuvor,
seitdem sie das Klosterleben gewählt hatte. Auch innerlich wuchs sie; immer
freier wurde ihr Blick, freier und tiefer zugleich, immer entschiedner ihre kirch¬
liche Stellung. Die letztere sollte sie bald öffentlich bewähren.

Schon lange war die Temperatur in der katholischen Kirche sehr schwül
geworden. Von langer Hand vorbereitet, wurde die Umgestaltung der kirch¬
lichen Verfassung aus einer Aristokratie in eine absolute Monarchie zur voll¬
endeten Thatsache. Die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Em-
pfängniß Mariä im Jahre 1854 war ein Fühler gewesen, was man den
Gemeinden bieten könne. Es hatte sich gezeigt, daß sie reif seien, anch das
Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes zu empfangen, und daß man sicher
sein konnte, den Widerstand dagegen auch schließlich zu besiegen. Das Ver¬
halten der katholischen Bischöfe nach dem Vatikanischen Konzil ist zu bekannt,
als daß wir es näher zu beleuchten hätten. Schwester Augustine begleitete
diese Bewegung mit dem bittersten Schmerz. „Eine solche sittliche Verkommen¬
heit uuter deu Kirchenfürsten," schrieb sie an Cornelius, „wie sie heute zu Tage
tritt, hätte man doch im Alltagsleben nicht für möglich gehalten." Ein Bischof
nach dem andern beugte sich. Hefele, der anfangs erklärt hatte, er werde die
Suspension über sich ergehen lassen, ja er werde lieber sterben, als dies Dogma
anerkennen, sand bald: „die Rolle eines suspendirten Bischofs sei zu jämmer-


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[0446] Der reiche Freundeskreis, in den Amalie getreten war, mußte ihr um so werthvoller werden, je mehr Lücken der Tod in ihre Familie riß, und je weniger sie bei den zurückbleibenden Gliedern derselben auf Verständniß und Uebereinstimmung rechnen konnte. 185? starb ihre Mutter, 1861 ihr Bruder Ernst, der ihrem Herzen so nahe gestanden hatte. Mehrere seiner Schristen waren in den Index der verbotenen Bücher gesetzt worden. Ihre Schwestern Närrchen und Clementine waren auch Nonnen geworden, aber wenn die milde Frömmigkeit der ersteren Amalie sympathisch berührte, so kam sie mit der zornigen Heiligkeit der geistreichen und vornehmen Clementine meist in hestigen Gegensatz. Ihr jüngster Bruder Hermann war ein wunderlicher Charakter, wenig zugänglich und genießbar. Er starb 1868. 1866 war ihm Schwester Närrchen vorangegangen. So vereinsamt, mußte Amalie in der Freundschaft suchen, was sie im Familienkreise verloren hatte. Eine große Anregung empfing sie durch die Berufsthätigkeit, welche die Kriege von 1864 und 1866 ihr zur Pflicht machten. Die Arbeitsfülle, welche sie in Schleswig-Holstein und in Böhmen in der Pflege der Verwundeten fand, versetzte sie in ihr eigenstes Element. Hier war ihrem Schaffensdrang das weiteste Feld geboten. Trotz der rastlosen und aufreibenden Hingabe, die sie zeigte, trotz der tiefsten Theilnahme des Herzens, die sie den Leidenden ent¬ gegen trug, war sie von einer Heiterkeit und Frische erfüllt, wie nie zuvor, seitdem sie das Klosterleben gewählt hatte. Auch innerlich wuchs sie; immer freier wurde ihr Blick, freier und tiefer zugleich, immer entschiedner ihre kirch¬ liche Stellung. Die letztere sollte sie bald öffentlich bewähren. Schon lange war die Temperatur in der katholischen Kirche sehr schwül geworden. Von langer Hand vorbereitet, wurde die Umgestaltung der kirch¬ lichen Verfassung aus einer Aristokratie in eine absolute Monarchie zur voll¬ endeten Thatsache. Die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Em- pfängniß Mariä im Jahre 1854 war ein Fühler gewesen, was man den Gemeinden bieten könne. Es hatte sich gezeigt, daß sie reif seien, anch das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes zu empfangen, und daß man sicher sein konnte, den Widerstand dagegen auch schließlich zu besiegen. Das Ver¬ halten der katholischen Bischöfe nach dem Vatikanischen Konzil ist zu bekannt, als daß wir es näher zu beleuchten hätten. Schwester Augustine begleitete diese Bewegung mit dem bittersten Schmerz. „Eine solche sittliche Verkommen¬ heit uuter deu Kirchenfürsten," schrieb sie an Cornelius, „wie sie heute zu Tage tritt, hätte man doch im Alltagsleben nicht für möglich gehalten." Ein Bischof nach dem andern beugte sich. Hefele, der anfangs erklärt hatte, er werde die Suspension über sich ergehen lassen, ja er werde lieber sterben, als dies Dogma anerkennen, sand bald: „die Rolle eines suspendirten Bischofs sei zu jämmer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/446>, abgerufen am 01.09.2024.