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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Hermes, schwer getroffen, und seine an sich schon zur Melancholie geneigte, auch
durch körperliche Leiden gedrückte Natur hatte ihn zu einer trüben Gesammt-
anschciunug geführt. Schwester Augustiue nennt Hilgers "vornehm bis in die
unterste Seele", und Perthes erschien er als "ein frommer Christ, ein guter
Katholik, ein warmer Preuße, ein guter Geschäftsmann, umsichtig, milde und
fest". Amalie lernte Hilgers kennen in den sonntäglichen Gottesdiensten, die
er im Hospital hielt. Sie sah in ihm einen Vertreter des idealen Christen¬
thums und wünschte aufs lebhafteste, ihm näher zu treten. Dies geschah
an Boisseree's Sterbebett. Seitdem verknüpfte sie mit ihm eine feste und innige
Freundschaft. Sie fand in ihm den festen inneren Halt, dessen sie bedurfte.
Auch mit Professor Knovdt, dem langjährigen Freunde ihrer Familie, und dem
Pfarrer Reinkens, dem Bruder des jetzigen altkatholischen Bischofs, stand sie
in freundschaftlichem Verkehr, und auch mit den protestantischen Pfarrgeistlichen
der Stadt war sie in gutem Vernehmen. Von den einheimischen Bonner
Familien waren es die Töchter des Mnsikalienverlegers Simrock und das Haus
des Geheimraths Velten, des Hospital-Arztes, mit denen sie vertrauten Verkehr
pflegte. Die herzlichen Beziehungen zu ihrem Jugendfreund Karl Cornelius
und dessen Frau Elisabeth, geb. Simrock, wurden auch durch deren Uebersiede-
lung nach München uicht unterbrochen. Auch die Fürstin Marie zu Wied und
die Wittwe Louis Philipp's, die Königin Marie Amalie, waren dnrch das
Band der Liebe und Verehrung mit Schwester Augustine verknüpft.

Ihre Freunde pflegte sie gewöhnlich in der Apotheke zu empfangen, sie
konnte dann während des Besuchs ihre Arbeit verrichten. Aber es waren
nicht nur angenehme und anregende Gäste, die den Zugang zu ihr fanden.
Manche lästigen Besuche mußte sie ertragen. So klagt sie einmal: "Da war
eben die M. bei mir und hat mir eine geschlagene Stunde von La Salette
erzählt, mir ist noch ganz seekrank davon." Sehr amüsant erzählt sie von
dein Besuche Bettina's v. Arnim. "Ich lag eines Tages krank zu Bette. Da
höre ich vor meinem Zimmer lautes Sprechen, die Thüre fliegt ans, und herein
stürzt so eine Schüssel, die mir gleich um deu Hals fällt, und ehe ich noch zu
Athem kommen und fragen kann, mit wem ich denn eigentlich die Ehre habe,
hat sie mich auch schon beim Kopf gefaßt und herzhaft abgeküßt. ,Jch bin die
Bettina, des Clemens Schwester/ sagte sie, ,und deu Barmherzigen Schwestern
in Berlin gebe ich auch immer eiuen Kuß, obgleich ein paar recht garstige
drunter sind, aber deshalb muß ich Dir doch auch gleich einen geben, obgleich
ich Dich heute zum ersten Mal sehe< -- und in der Art plauderte sie eine
halbe Stunde unaufhaltsam weiter, und ehe ich recht zur Besinnung kommen
konnte, war sie auch schon wieder auf und davon. Das war also die berühmte
Bettina, dachte ich, als die Schüssel fort war."


Hermes, schwer getroffen, und seine an sich schon zur Melancholie geneigte, auch
durch körperliche Leiden gedrückte Natur hatte ihn zu einer trüben Gesammt-
anschciunug geführt. Schwester Augustiue nennt Hilgers „vornehm bis in die
unterste Seele", und Perthes erschien er als „ein frommer Christ, ein guter
Katholik, ein warmer Preuße, ein guter Geschäftsmann, umsichtig, milde und
fest". Amalie lernte Hilgers kennen in den sonntäglichen Gottesdiensten, die
er im Hospital hielt. Sie sah in ihm einen Vertreter des idealen Christen¬
thums und wünschte aufs lebhafteste, ihm näher zu treten. Dies geschah
an Boisseree's Sterbebett. Seitdem verknüpfte sie mit ihm eine feste und innige
Freundschaft. Sie fand in ihm den festen inneren Halt, dessen sie bedurfte.
Auch mit Professor Knovdt, dem langjährigen Freunde ihrer Familie, und dem
Pfarrer Reinkens, dem Bruder des jetzigen altkatholischen Bischofs, stand sie
in freundschaftlichem Verkehr, und auch mit den protestantischen Pfarrgeistlichen
der Stadt war sie in gutem Vernehmen. Von den einheimischen Bonner
Familien waren es die Töchter des Mnsikalienverlegers Simrock und das Haus
des Geheimraths Velten, des Hospital-Arztes, mit denen sie vertrauten Verkehr
pflegte. Die herzlichen Beziehungen zu ihrem Jugendfreund Karl Cornelius
und dessen Frau Elisabeth, geb. Simrock, wurden auch durch deren Uebersiede-
lung nach München uicht unterbrochen. Auch die Fürstin Marie zu Wied und
die Wittwe Louis Philipp's, die Königin Marie Amalie, waren dnrch das
Band der Liebe und Verehrung mit Schwester Augustine verknüpft.

Ihre Freunde pflegte sie gewöhnlich in der Apotheke zu empfangen, sie
konnte dann während des Besuchs ihre Arbeit verrichten. Aber es waren
nicht nur angenehme und anregende Gäste, die den Zugang zu ihr fanden.
Manche lästigen Besuche mußte sie ertragen. So klagt sie einmal: „Da war
eben die M. bei mir und hat mir eine geschlagene Stunde von La Salette
erzählt, mir ist noch ganz seekrank davon." Sehr amüsant erzählt sie von
dein Besuche Bettina's v. Arnim. „Ich lag eines Tages krank zu Bette. Da
höre ich vor meinem Zimmer lautes Sprechen, die Thüre fliegt ans, und herein
stürzt so eine Schüssel, die mir gleich um deu Hals fällt, und ehe ich noch zu
Athem kommen und fragen kann, mit wem ich denn eigentlich die Ehre habe,
hat sie mich auch schon beim Kopf gefaßt und herzhaft abgeküßt. ,Jch bin die
Bettina, des Clemens Schwester/ sagte sie, ,und deu Barmherzigen Schwestern
in Berlin gebe ich auch immer eiuen Kuß, obgleich ein paar recht garstige
drunter sind, aber deshalb muß ich Dir doch auch gleich einen geben, obgleich
ich Dich heute zum ersten Mal sehe< — und in der Art plauderte sie eine
halbe Stunde unaufhaltsam weiter, und ehe ich recht zur Besinnung kommen
konnte, war sie auch schon wieder auf und davon. Das war also die berühmte
Bettina, dachte ich, als die Schüssel fort war."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/445>, abgerufen am 01.09.2024.