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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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leben, welches sie anzog, sondern vielmehr die Arbeit, die sie in demselben zu
finden hoffte." Amalie, oder wie wir sie jetzt nennen müssen, Schwester Augustine,
paßte ausgezeichnet zur Diakonissin, aber gar nicht zur Nonne. Die klöster¬
liche Form, welche die katholische Kirche dem Diakonissenthnm gibt, widerstrebte
ihrem innersten Wesen. Und eben dies, daß sie einen süßen Kern zugleich mit
einer bitter" Schale genießen müßte, begründete den tragischen Konflikt ihres
innern Lebens, den sie nie überwunden hat.

Wir haben dafür ein unwiderlegliches Zeugniß in einem Briefe, der aus
den ersten Jahren ihres Klosterlebens stammt. "Gott allein ist es bekannt,"
schreibt sie darin, "wie unaussprechlich schwer es mir ist, mich der äußern
Freiheit beraubt zu wissen. Wie oft ich Hilfe suchend zu dein großen Kreuz
in der Kapelle aufschauen muß, um aus dem Munde des Heilandes zu hören,
daß nicht die scharfen Nägel ihn dort gefangen halten, wohl aber die Liebe zu
seinen Brüdern. Wie nothwendig ist es für mein stürmisches Herz, daß auch
die Liebe zu meinen armen leidenden Brüdern allein mir die drückenden Fesseln
schmiedet. Sie allein vermag es, meinem immer so nach Unabhängigkeit stre¬
benden Gemüthe die wohlthuenden nöthigenden Schranken zu setzen. -- Bei dem
Eintritt in den Orden habe ich wohl strenger als audere Christen dem Herrn
meine innere Freiheit verpfändet, und wie muß ich uicht ringen um die Kraft
zu stetem Siege! Wie muß ich nicht wachen über mein sündiges Herz, daß es
nicht frevelnd die Hand nach dem bereits gebrachten Opfer ausstreckt, um es
wieder zum Eigenthum zu machen! Wie heiß muß doch mein armes Herz sich
von Tag zu Tag durchkämpfen, sonder Rast und sonder Ruh wohl so lange,
bis der Tod der kalten Hand die Waffe entwindet und zum stillen Schlaf mich
niederlegt."

Kann mau schärfer den innern Gegensatz zum Klosterleben aussprechen?
Aber auf der andern Seite: kaun man begeisterter für die Thätigkeit einer
Diakonissin eintreten, als es von ihr geschieht, wenn sie mehr als einmal schreibt:
"Daß Gott mich zur Barmherzigen Schwester gemacht, ist das größte Gnaden¬
geschenk, was mir je im Leben zu Theil ward!"

Der Beginn des Klosterlebens wäre für Schwester Augustiue noch schwerer
gewesen, wenn nicht die General-Oberin, die 79 jährige Schwester Placida, eine
ausgezeichnete Frau gewesen wäre, die mit Recht die allgemeinste Verehrung
genoß, und wenn uicht die Novizeumeisterin ihre Pflegebefohlenen nach dem
Grundsatz geleitet hätte, daß denselben soviel wie möglich Freiheit und Freude
zu gewähren sei. "Kinder," sagte sie, "der Beruf, den ihr euch gewählt habt,
ist gerade schwer genug, ihr braucht's euch uicht künstlich noch schwerer zu
machen; man ist anch nicht auf der Welt, um sich das Leben sauer zu machen."

Allmählich versöhnte sich denn anch Schwester Angustine mit dem Kloster-


leben, welches sie anzog, sondern vielmehr die Arbeit, die sie in demselben zu
finden hoffte." Amalie, oder wie wir sie jetzt nennen müssen, Schwester Augustine,
paßte ausgezeichnet zur Diakonissin, aber gar nicht zur Nonne. Die klöster¬
liche Form, welche die katholische Kirche dem Diakonissenthnm gibt, widerstrebte
ihrem innersten Wesen. Und eben dies, daß sie einen süßen Kern zugleich mit
einer bitter» Schale genießen müßte, begründete den tragischen Konflikt ihres
innern Lebens, den sie nie überwunden hat.

Wir haben dafür ein unwiderlegliches Zeugniß in einem Briefe, der aus
den ersten Jahren ihres Klosterlebens stammt. „Gott allein ist es bekannt,"
schreibt sie darin, „wie unaussprechlich schwer es mir ist, mich der äußern
Freiheit beraubt zu wissen. Wie oft ich Hilfe suchend zu dein großen Kreuz
in der Kapelle aufschauen muß, um aus dem Munde des Heilandes zu hören,
daß nicht die scharfen Nägel ihn dort gefangen halten, wohl aber die Liebe zu
seinen Brüdern. Wie nothwendig ist es für mein stürmisches Herz, daß auch
die Liebe zu meinen armen leidenden Brüdern allein mir die drückenden Fesseln
schmiedet. Sie allein vermag es, meinem immer so nach Unabhängigkeit stre¬
benden Gemüthe die wohlthuenden nöthigenden Schranken zu setzen. — Bei dem
Eintritt in den Orden habe ich wohl strenger als audere Christen dem Herrn
meine innere Freiheit verpfändet, und wie muß ich uicht ringen um die Kraft
zu stetem Siege! Wie muß ich nicht wachen über mein sündiges Herz, daß es
nicht frevelnd die Hand nach dem bereits gebrachten Opfer ausstreckt, um es
wieder zum Eigenthum zu machen! Wie heiß muß doch mein armes Herz sich
von Tag zu Tag durchkämpfen, sonder Rast und sonder Ruh wohl so lange,
bis der Tod der kalten Hand die Waffe entwindet und zum stillen Schlaf mich
niederlegt."

Kann mau schärfer den innern Gegensatz zum Klosterleben aussprechen?
Aber auf der andern Seite: kaun man begeisterter für die Thätigkeit einer
Diakonissin eintreten, als es von ihr geschieht, wenn sie mehr als einmal schreibt:
„Daß Gott mich zur Barmherzigen Schwester gemacht, ist das größte Gnaden¬
geschenk, was mir je im Leben zu Theil ward!"

Der Beginn des Klosterlebens wäre für Schwester Augustiue noch schwerer
gewesen, wenn nicht die General-Oberin, die 79 jährige Schwester Placida, eine
ausgezeichnete Frau gewesen wäre, die mit Recht die allgemeinste Verehrung
genoß, und wenn uicht die Novizeumeisterin ihre Pflegebefohlenen nach dem
Grundsatz geleitet hätte, daß denselben soviel wie möglich Freiheit und Freude
zu gewähren sei. „Kinder," sagte sie, „der Beruf, den ihr euch gewählt habt,
ist gerade schwer genug, ihr braucht's euch uicht künstlich noch schwerer zu
machen; man ist anch nicht auf der Welt, um sich das Leben sauer zu machen."

Allmählich versöhnte sich denn anch Schwester Angustine mit dem Kloster-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/440>, abgerufen am 01.09.2024.