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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Leserkreise vorherrschend ist, zur Richtschnur. Wir erinnern nur an die Augs¬
burger Abendzeitung, das in Baiern bis in die untersten Kreise hinein ver¬
breiterte Blatt, ferner an die in München erscheinende sehr gut redigirte
Süddeutsche Presse und an den Schwäbischen Merkur. Wenn in das letztere
Blatt sich hie und da durch die sehr leise angelehnte RedaMonsthttr eine von
Laster'sehen Geiste durchwehte politische Betrachtung verirrt, so sind das eben
ausnahmslos Erzeugnisse aus der Reichsstimmungsfabrik in Berlin. Die Folge
dieser, man möchte sagen volkstümlichen Haltung der süddeutschen Blätter ist
die, daß sie den politischen Fragen weit objektiver gegenüberstehen und in ihrem
Urtheile viel maßvoller als ihre norddeutschen Kolleginnen sind.

Dies zeigt sich auch wieder bei der Beurtheilung der wichtigsten von den
Vorlagen, die den nächsten deutschen Reichstag beschäftigen dürften, des Gesetz¬
entwurfes betreffend die Abänderungen der §8 13, 24, 69 und 72 der Reichs¬
verfassung, wie es sich vorher zeigte in der Beurtheilung der Frage der ver¬
fassungsmäßigen Garantien. Wie man in Berlin, Magdeburg, Danzig und
Königsberg über die Verfassungsreform herfallen würde, konnte ja von vorn¬
herein nicht zweifelhaft sein, nachdem der Umschwung zum Bessern, den der
Reichskanzler in die wirthschaftliche Politik gebracht, schon als die schwärzeste
Reaktion ausgegeben worden war. Aber eigenthümlich, an allen Orten, auch
in den liberalen Organen Frankfurt's, in der Allgemeinen Zeitung, in München
und anderwärts kam der alsbald sich mit erneuter Heftigkeit erhebende Alarmruf
aus -- Berlin, und selbst den Schwäbischen Merkur traf einmal der Unstern,
daß sich in seine schlechtbewachten Spalten solch' eine berliner Korrespondenz
verirrte. Wie denn überhaupt neben der Verjüdeluug der Presse die Berlini-
sirung derselben zur Zeit einen großen und leider keineswegs segensreichen
Einfluß auf die deutschen Zeitnngsverhältnisse ausübt, dergestalt, daß nicht
selten den eigentlichen Redaktionen das Selbstbestimmungsrecht über den Kopf
fortgenommen ist.

Diejenigen Blätter, die sich eine selbständige und von der berliner Ober¬
leitung unabhängige Stellung bewahrt haben, wie die Süddeutsche Presse und
die Badische Landeszeitung, traten alsbald, gestützt auf die praktischen Erfah¬
rungen, die man im eignen Lande mit der Einrichtung mehrjähriger Budget-
Perioden gemacht, und in Berücksichtigung der Aufnahme, welche die süddeutsche
Bevölkerung dem Gesetzentwurfe entgegenbrachte, mannhaft für die Vorlage ein
und versuchten die Haltlosigkeit der Befürchtungen, welche die Gegner an diese
Maßnahme knüpften, nachzuweisen. In Baiern und in Baden ist, ebenso wie
in Sachsen und Hessen, die Etatsperiode eine zweijährige, während sie in
Würtemberg für gewöhnlich sich sogar auf drei Jahre erstreckt und nur aus¬
nahmsweise für einen kürzeren Zeitabschnitt berathen wird. Man ist damit


Leserkreise vorherrschend ist, zur Richtschnur. Wir erinnern nur an die Augs¬
burger Abendzeitung, das in Baiern bis in die untersten Kreise hinein ver¬
breiterte Blatt, ferner an die in München erscheinende sehr gut redigirte
Süddeutsche Presse und an den Schwäbischen Merkur. Wenn in das letztere
Blatt sich hie und da durch die sehr leise angelehnte RedaMonsthttr eine von
Laster'sehen Geiste durchwehte politische Betrachtung verirrt, so sind das eben
ausnahmslos Erzeugnisse aus der Reichsstimmungsfabrik in Berlin. Die Folge
dieser, man möchte sagen volkstümlichen Haltung der süddeutschen Blätter ist
die, daß sie den politischen Fragen weit objektiver gegenüberstehen und in ihrem
Urtheile viel maßvoller als ihre norddeutschen Kolleginnen sind.

Dies zeigt sich auch wieder bei der Beurtheilung der wichtigsten von den
Vorlagen, die den nächsten deutschen Reichstag beschäftigen dürften, des Gesetz¬
entwurfes betreffend die Abänderungen der §8 13, 24, 69 und 72 der Reichs¬
verfassung, wie es sich vorher zeigte in der Beurtheilung der Frage der ver¬
fassungsmäßigen Garantien. Wie man in Berlin, Magdeburg, Danzig und
Königsberg über die Verfassungsreform herfallen würde, konnte ja von vorn¬
herein nicht zweifelhaft sein, nachdem der Umschwung zum Bessern, den der
Reichskanzler in die wirthschaftliche Politik gebracht, schon als die schwärzeste
Reaktion ausgegeben worden war. Aber eigenthümlich, an allen Orten, auch
in den liberalen Organen Frankfurt's, in der Allgemeinen Zeitung, in München
und anderwärts kam der alsbald sich mit erneuter Heftigkeit erhebende Alarmruf
aus — Berlin, und selbst den Schwäbischen Merkur traf einmal der Unstern,
daß sich in seine schlechtbewachten Spalten solch' eine berliner Korrespondenz
verirrte. Wie denn überhaupt neben der Verjüdeluug der Presse die Berlini-
sirung derselben zur Zeit einen großen und leider keineswegs segensreichen
Einfluß auf die deutschen Zeitnngsverhältnisse ausübt, dergestalt, daß nicht
selten den eigentlichen Redaktionen das Selbstbestimmungsrecht über den Kopf
fortgenommen ist.

Diejenigen Blätter, die sich eine selbständige und von der berliner Ober¬
leitung unabhängige Stellung bewahrt haben, wie die Süddeutsche Presse und
die Badische Landeszeitung, traten alsbald, gestützt auf die praktischen Erfah¬
rungen, die man im eignen Lande mit der Einrichtung mehrjähriger Budget-
Perioden gemacht, und in Berücksichtigung der Aufnahme, welche die süddeutsche
Bevölkerung dem Gesetzentwurfe entgegenbrachte, mannhaft für die Vorlage ein
und versuchten die Haltlosigkeit der Befürchtungen, welche die Gegner an diese
Maßnahme knüpften, nachzuweisen. In Baiern und in Baden ist, ebenso wie
in Sachsen und Hessen, die Etatsperiode eine zweijährige, während sie in
Würtemberg für gewöhnlich sich sogar auf drei Jahre erstreckt und nur aus¬
nahmsweise für einen kürzeren Zeitabschnitt berathen wird. Man ist damit


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[0433] Leserkreise vorherrschend ist, zur Richtschnur. Wir erinnern nur an die Augs¬ burger Abendzeitung, das in Baiern bis in die untersten Kreise hinein ver¬ breiterte Blatt, ferner an die in München erscheinende sehr gut redigirte Süddeutsche Presse und an den Schwäbischen Merkur. Wenn in das letztere Blatt sich hie und da durch die sehr leise angelehnte RedaMonsthttr eine von Laster'sehen Geiste durchwehte politische Betrachtung verirrt, so sind das eben ausnahmslos Erzeugnisse aus der Reichsstimmungsfabrik in Berlin. Die Folge dieser, man möchte sagen volkstümlichen Haltung der süddeutschen Blätter ist die, daß sie den politischen Fragen weit objektiver gegenüberstehen und in ihrem Urtheile viel maßvoller als ihre norddeutschen Kolleginnen sind. Dies zeigt sich auch wieder bei der Beurtheilung der wichtigsten von den Vorlagen, die den nächsten deutschen Reichstag beschäftigen dürften, des Gesetz¬ entwurfes betreffend die Abänderungen der §8 13, 24, 69 und 72 der Reichs¬ verfassung, wie es sich vorher zeigte in der Beurtheilung der Frage der ver¬ fassungsmäßigen Garantien. Wie man in Berlin, Magdeburg, Danzig und Königsberg über die Verfassungsreform herfallen würde, konnte ja von vorn¬ herein nicht zweifelhaft sein, nachdem der Umschwung zum Bessern, den der Reichskanzler in die wirthschaftliche Politik gebracht, schon als die schwärzeste Reaktion ausgegeben worden war. Aber eigenthümlich, an allen Orten, auch in den liberalen Organen Frankfurt's, in der Allgemeinen Zeitung, in München und anderwärts kam der alsbald sich mit erneuter Heftigkeit erhebende Alarmruf aus — Berlin, und selbst den Schwäbischen Merkur traf einmal der Unstern, daß sich in seine schlechtbewachten Spalten solch' eine berliner Korrespondenz verirrte. Wie denn überhaupt neben der Verjüdeluug der Presse die Berlini- sirung derselben zur Zeit einen großen und leider keineswegs segensreichen Einfluß auf die deutschen Zeitnngsverhältnisse ausübt, dergestalt, daß nicht selten den eigentlichen Redaktionen das Selbstbestimmungsrecht über den Kopf fortgenommen ist. Diejenigen Blätter, die sich eine selbständige und von der berliner Ober¬ leitung unabhängige Stellung bewahrt haben, wie die Süddeutsche Presse und die Badische Landeszeitung, traten alsbald, gestützt auf die praktischen Erfah¬ rungen, die man im eignen Lande mit der Einrichtung mehrjähriger Budget- Perioden gemacht, und in Berücksichtigung der Aufnahme, welche die süddeutsche Bevölkerung dem Gesetzentwurfe entgegenbrachte, mannhaft für die Vorlage ein und versuchten die Haltlosigkeit der Befürchtungen, welche die Gegner an diese Maßnahme knüpften, nachzuweisen. In Baiern und in Baden ist, ebenso wie in Sachsen und Hessen, die Etatsperiode eine zweijährige, während sie in Würtemberg für gewöhnlich sich sogar auf drei Jahre erstreckt und nur aus¬ nahmsweise für einen kürzeren Zeitabschnitt berathen wird. Man ist damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/433>, abgerufen am 27.07.2024.