Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Morgen aber, anstatt vollends nach Frankfurt hineinzugehen, kehrte er "langsam
in das Paradies zurück, das sie, die noch Schlafende, umgab".

Von Offenbach aus sind fast alle seine Briefe ans dem August datirt. An
Lavater schreibt er am 3. August: "Ich Sizze in Offenbach, wo freylich Lili
ist. Ich hab sie von dir gegrüst. Mach ihr etwas in Versen das sie im guten
stärcke und erhalte. Du kannst guts thun, und du willst." Von unschätzbarem
Werthe ist der Brief, den er an demselben Tage aus Lili's etwas kunterbuntem
Absteigezimmerchen in d'Orville's Hause an Auguste Stolberg richtet: "Hier! --
Wie soll ich Ihnen nennen das hier! Vor dem Stroheingelegten bunten Schreib¬
zeug -- da sollten feine Briefgen ausgeschrieben werden und diese Trähnen
und dieser Drang! Welche Verstimmung. O dass ich Alles sagen könnte. Hier
in dem Zimmer des Mcidgens das mich unglücklich macht, ohne ihre Schuld,
mit der Seele eines Engels, dessen heitre Tage ich trübe, ich! . . . Vergebens
dass ich drey Monate, in freyer Lufft herumfuhr, tausend neue Gegenstände in
alle Sinnen sog ... ich sitze wieder in Offenbach, so vereinfacht wie ein Kind,
so beschränkt als ein Papagey auf der Stange . . . Lang halt ich's hier nicht
aus ich muss wieder fort . . . Hier flieht der Mahn, grad drüben liegt Bergen
auf einem Hügel hinter Kornfeld. Da links unten liegt das graue Frankfurt
mit dem ungeschickten Turm, das letzt für mich so leer ist als mit Besemen
gekehrt, da rechts auf artige Dörfgen, der Garten da unten, die Terrasse auf
den Mahn hinunter. -- Und auf dem Tisch hier ein Schnupftuch, ein Pauuier,
ein Halstuch drüber, dort hängen des lieben Müdgens Stiefel. NL. heut reiten
wir aus. Hier liegt ein Kleid, eine Uhr hängt da, viel Schachteln und Papp¬
deckel, zu Hauben und Hüten. -- Ich hör ihre Stimme -- Ich darf bleiben,
sie will sich drinne anziehen." Tags darauf schwärmt er Lavater vor: "Gestern
waren wir ausgeritten. Lili, d'Orville und ich, Du solltest den Engel im Reit¬
kleide zu Pferde sehen!",

Vierzehn Tage später wieder genau dieselbe Situation. Am 17. August
-- es ist früh am Morgen, und wieder sitzt er in d'Orville's Hause -- schreibt
er an die Karsch nach Berlin: "Die Aufgabe von der Männer Schlappsinn
unter gewissen Umständen kann und darf ich heut uicht erörtern. Die Ursachen
liegen in dem Schreibtisch hier, dem Kaffeetisch dort, und der Figur im Ne-
gligee, die mir den Rücken kehrt und ihr Frühstück schlürft." Ans denselben
Tagen sind auch die Zeilen an Merck: "Ich bin wieder sah......gestrandet,
und möchte mir tausend Ohrfeigen geben, daß ich nicht zum Teufel gieng, da
ich flott war. Ich passe wieder auf neue Gelegenheit abzudrücken: nur möcht'
ich wissen, ob du mir im Fall mit einigem Geld beistehen wolltest, nur zum
ersten Stoß."

Am 10. September hatte Pfarrer Ewald in Offenbach, der auch zu dem


Morgen aber, anstatt vollends nach Frankfurt hineinzugehen, kehrte er „langsam
in das Paradies zurück, das sie, die noch Schlafende, umgab".

Von Offenbach aus sind fast alle seine Briefe ans dem August datirt. An
Lavater schreibt er am 3. August: „Ich Sizze in Offenbach, wo freylich Lili
ist. Ich hab sie von dir gegrüst. Mach ihr etwas in Versen das sie im guten
stärcke und erhalte. Du kannst guts thun, und du willst." Von unschätzbarem
Werthe ist der Brief, den er an demselben Tage aus Lili's etwas kunterbuntem
Absteigezimmerchen in d'Orville's Hause an Auguste Stolberg richtet: „Hier! —
Wie soll ich Ihnen nennen das hier! Vor dem Stroheingelegten bunten Schreib¬
zeug — da sollten feine Briefgen ausgeschrieben werden und diese Trähnen
und dieser Drang! Welche Verstimmung. O dass ich Alles sagen könnte. Hier
in dem Zimmer des Mcidgens das mich unglücklich macht, ohne ihre Schuld,
mit der Seele eines Engels, dessen heitre Tage ich trübe, ich! . . . Vergebens
dass ich drey Monate, in freyer Lufft herumfuhr, tausend neue Gegenstände in
alle Sinnen sog ... ich sitze wieder in Offenbach, so vereinfacht wie ein Kind,
so beschränkt als ein Papagey auf der Stange . . . Lang halt ich's hier nicht
aus ich muss wieder fort . . . Hier flieht der Mahn, grad drüben liegt Bergen
auf einem Hügel hinter Kornfeld. Da links unten liegt das graue Frankfurt
mit dem ungeschickten Turm, das letzt für mich so leer ist als mit Besemen
gekehrt, da rechts auf artige Dörfgen, der Garten da unten, die Terrasse auf
den Mahn hinunter. — Und auf dem Tisch hier ein Schnupftuch, ein Pauuier,
ein Halstuch drüber, dort hängen des lieben Müdgens Stiefel. NL. heut reiten
wir aus. Hier liegt ein Kleid, eine Uhr hängt da, viel Schachteln und Papp¬
deckel, zu Hauben und Hüten. — Ich hör ihre Stimme — Ich darf bleiben,
sie will sich drinne anziehen." Tags darauf schwärmt er Lavater vor: „Gestern
waren wir ausgeritten. Lili, d'Orville und ich, Du solltest den Engel im Reit¬
kleide zu Pferde sehen!",

Vierzehn Tage später wieder genau dieselbe Situation. Am 17. August
— es ist früh am Morgen, und wieder sitzt er in d'Orville's Hause — schreibt
er an die Karsch nach Berlin: „Die Aufgabe von der Männer Schlappsinn
unter gewissen Umständen kann und darf ich heut uicht erörtern. Die Ursachen
liegen in dem Schreibtisch hier, dem Kaffeetisch dort, und der Figur im Ne-
gligee, die mir den Rücken kehrt und ihr Frühstück schlürft." Ans denselben
Tagen sind auch die Zeilen an Merck: „Ich bin wieder sah......gestrandet,
und möchte mir tausend Ohrfeigen geben, daß ich nicht zum Teufel gieng, da
ich flott war. Ich passe wieder auf neue Gelegenheit abzudrücken: nur möcht'
ich wissen, ob du mir im Fall mit einigem Geld beistehen wolltest, nur zum
ersten Stoß."

Am 10. September hatte Pfarrer Ewald in Offenbach, der auch zu dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142895"/>
          <p xml:id="ID_1167" prev="#ID_1166"> Morgen aber, anstatt vollends nach Frankfurt hineinzugehen, kehrte er &#x201E;langsam<lb/>
in das Paradies zurück, das sie, die noch Schlafende, umgab".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1168"> Von Offenbach aus sind fast alle seine Briefe ans dem August datirt. An<lb/>
Lavater schreibt er am 3. August: &#x201E;Ich Sizze in Offenbach, wo freylich Lili<lb/>
ist. Ich hab sie von dir gegrüst. Mach ihr etwas in Versen das sie im guten<lb/>
stärcke und erhalte. Du kannst guts thun, und du willst." Von unschätzbarem<lb/>
Werthe ist der Brief, den er an demselben Tage aus Lili's etwas kunterbuntem<lb/>
Absteigezimmerchen in d'Orville's Hause an Auguste Stolberg richtet: &#x201E;Hier! &#x2014;<lb/>
Wie soll ich Ihnen nennen das hier! Vor dem Stroheingelegten bunten Schreib¬<lb/>
zeug &#x2014; da sollten feine Briefgen ausgeschrieben werden und diese Trähnen<lb/>
und dieser Drang! Welche Verstimmung. O dass ich Alles sagen könnte. Hier<lb/>
in dem Zimmer des Mcidgens das mich unglücklich macht, ohne ihre Schuld,<lb/>
mit der Seele eines Engels, dessen heitre Tage ich trübe, ich! . . . Vergebens<lb/>
dass ich drey Monate, in freyer Lufft herumfuhr, tausend neue Gegenstände in<lb/>
alle Sinnen sog ... ich sitze wieder in Offenbach, so vereinfacht wie ein Kind,<lb/>
so beschränkt als ein Papagey auf der Stange . . . Lang halt ich's hier nicht<lb/>
aus ich muss wieder fort . . . Hier flieht der Mahn, grad drüben liegt Bergen<lb/>
auf einem Hügel hinter Kornfeld. Da links unten liegt das graue Frankfurt<lb/>
mit dem ungeschickten Turm, das letzt für mich so leer ist als mit Besemen<lb/>
gekehrt, da rechts auf artige Dörfgen, der Garten da unten, die Terrasse auf<lb/>
den Mahn hinunter. &#x2014; Und auf dem Tisch hier ein Schnupftuch, ein Pauuier,<lb/>
ein Halstuch drüber, dort hängen des lieben Müdgens Stiefel. NL. heut reiten<lb/>
wir aus. Hier liegt ein Kleid, eine Uhr hängt da, viel Schachteln und Papp¬<lb/>
deckel, zu Hauben und Hüten. &#x2014; Ich hör ihre Stimme &#x2014; Ich darf bleiben,<lb/>
sie will sich drinne anziehen." Tags darauf schwärmt er Lavater vor: &#x201E;Gestern<lb/>
waren wir ausgeritten. Lili, d'Orville und ich, Du solltest den Engel im Reit¬<lb/>
kleide zu Pferde sehen!",</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1169"> Vierzehn Tage später wieder genau dieselbe Situation. Am 17. August<lb/>
&#x2014; es ist früh am Morgen, und wieder sitzt er in d'Orville's Hause &#x2014; schreibt<lb/>
er an die Karsch nach Berlin: &#x201E;Die Aufgabe von der Männer Schlappsinn<lb/>
unter gewissen Umständen kann und darf ich heut uicht erörtern. Die Ursachen<lb/>
liegen in dem Schreibtisch hier, dem Kaffeetisch dort, und der Figur im Ne-<lb/>
gligee, die mir den Rücken kehrt und ihr Frühstück schlürft." Ans denselben<lb/>
Tagen sind auch die Zeilen an Merck: &#x201E;Ich bin wieder sah......gestrandet,<lb/>
und möchte mir tausend Ohrfeigen geben, daß ich nicht zum Teufel gieng, da<lb/>
ich flott war. Ich passe wieder auf neue Gelegenheit abzudrücken: nur möcht'<lb/>
ich wissen, ob du mir im Fall mit einigem Geld beistehen wolltest, nur zum<lb/>
ersten Stoß."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170" next="#ID_1171"> Am 10. September hatte Pfarrer Ewald in Offenbach, der auch zu dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0398] Morgen aber, anstatt vollends nach Frankfurt hineinzugehen, kehrte er „langsam in das Paradies zurück, das sie, die noch Schlafende, umgab". Von Offenbach aus sind fast alle seine Briefe ans dem August datirt. An Lavater schreibt er am 3. August: „Ich Sizze in Offenbach, wo freylich Lili ist. Ich hab sie von dir gegrüst. Mach ihr etwas in Versen das sie im guten stärcke und erhalte. Du kannst guts thun, und du willst." Von unschätzbarem Werthe ist der Brief, den er an demselben Tage aus Lili's etwas kunterbuntem Absteigezimmerchen in d'Orville's Hause an Auguste Stolberg richtet: „Hier! — Wie soll ich Ihnen nennen das hier! Vor dem Stroheingelegten bunten Schreib¬ zeug — da sollten feine Briefgen ausgeschrieben werden und diese Trähnen und dieser Drang! Welche Verstimmung. O dass ich Alles sagen könnte. Hier in dem Zimmer des Mcidgens das mich unglücklich macht, ohne ihre Schuld, mit der Seele eines Engels, dessen heitre Tage ich trübe, ich! . . . Vergebens dass ich drey Monate, in freyer Lufft herumfuhr, tausend neue Gegenstände in alle Sinnen sog ... ich sitze wieder in Offenbach, so vereinfacht wie ein Kind, so beschränkt als ein Papagey auf der Stange . . . Lang halt ich's hier nicht aus ich muss wieder fort . . . Hier flieht der Mahn, grad drüben liegt Bergen auf einem Hügel hinter Kornfeld. Da links unten liegt das graue Frankfurt mit dem ungeschickten Turm, das letzt für mich so leer ist als mit Besemen gekehrt, da rechts auf artige Dörfgen, der Garten da unten, die Terrasse auf den Mahn hinunter. — Und auf dem Tisch hier ein Schnupftuch, ein Pauuier, ein Halstuch drüber, dort hängen des lieben Müdgens Stiefel. NL. heut reiten wir aus. Hier liegt ein Kleid, eine Uhr hängt da, viel Schachteln und Papp¬ deckel, zu Hauben und Hüten. — Ich hör ihre Stimme — Ich darf bleiben, sie will sich drinne anziehen." Tags darauf schwärmt er Lavater vor: „Gestern waren wir ausgeritten. Lili, d'Orville und ich, Du solltest den Engel im Reit¬ kleide zu Pferde sehen!", Vierzehn Tage später wieder genau dieselbe Situation. Am 17. August — es ist früh am Morgen, und wieder sitzt er in d'Orville's Hause — schreibt er an die Karsch nach Berlin: „Die Aufgabe von der Männer Schlappsinn unter gewissen Umständen kann und darf ich heut uicht erörtern. Die Ursachen liegen in dem Schreibtisch hier, dem Kaffeetisch dort, und der Figur im Ne- gligee, die mir den Rücken kehrt und ihr Frühstück schlürft." Ans denselben Tagen sind auch die Zeilen an Merck: „Ich bin wieder sah......gestrandet, und möchte mir tausend Ohrfeigen geben, daß ich nicht zum Teufel gieng, da ich flott war. Ich passe wieder auf neue Gelegenheit abzudrücken: nur möcht' ich wissen, ob du mir im Fall mit einigem Geld beistehen wolltest, nur zum ersten Stoß." Am 10. September hatte Pfarrer Ewald in Offenbach, der auch zu dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/398
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/398>, abgerufen am 27.07.2024.