Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Wohnerzahlen, von Namen, Merkmalen der Pflanzen, Maß- und Verhültniß-
zahlen in der Naturlehre ist verboten. Nöthigenfalls ist vorzuziehen, den Um¬
fang des Lehrstoffes zu beschränken, statt auf dessen Veranschaulichung zu
verzichten und den Unterricht in Mittheilung bloßer Nomenklatur ausarten zu
lassen. In den Vereich der Behandlung sind diejenigen Pflanzen u. s. w. zu
ziehen, welche durch den Dienst, den sie den Menschen leisten, oder durch den
Schaden, den sie thun, oder durch ihre Lebensweise besonderes Interesse erregen."

Groß ist der Unterschied zwischen diesen Normen und denen der Regulative
gerade uicht. Größer wird er durch die Art der Ausführung. Es läßt sich
nicht verkennen, daß die "Allgemeinen Bestimmungen" dem Drängen der Zeit
nach formeller Bildung, nach Vermehrung des Wissens ' besonders in den
Realien nachgeben. Die Realien, welche früher ans Lesebuch angehängt waren,
erhielten selbständige Stellung und wurden mit Stunden bedacht, die dem
sprachlichen und Religionsunterrichte entzogen wurden.

Nun aber wiederholten sich -- wohlgemerkt! -- in der Aera Falk auf
dem Gebiete der Realien dieselben Erscheinungen, wie sie auf dem Gebiete des
Religionsunterrichtes zur Zeit der Regulative hervorgetreten waren. In die
neuen Lehrpläne wurde eine Unmasse von Stoff eingestopft. Vor uns liegt
ein Repetitorium des Real-Unterrichtes in den Volksschulen, worin nicht allein
alle Theile der Naturbeschreibung, sondern auch ein Abriß von Anatomie,
Psychologie und Gesellschaftslehre enthalten ist. Die Volkszeitung forderte
vorm Jahre allen Ernstes zur Erzielung besserer Wahlen die Aufnahme der
Verfassungskunde in der Volksschule, andere wollten National-Oekonomie als
Mittel gegen die Sozialdemokraten getrieben haben. Die zukünftige Hausfrau
sollte in der Volksschule über ihre Pflichten belehrt werden u. f. w. Das ist
natürlich Heller Unsinn. Aber anch das, was jetzt auf Grund der "Allgemeinen
Bestimmungen" in der Schule getrieben wird, muß ein bedenkliches Schütteln
des Kopfes hervorrufen. Hier nur ein Beispiel.

Der Lehrer führt in die Geographie ein und dozirt: Die Theile der Geo¬
graphie sind 1.) mathematische Geographie, 2.) physikalische Geographie und
3.) politische Geographie. Welches sind die Theile?- Nenne sie noch einmal. --
Die mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall, sagt uns, welche
Stellung die Erde in demselben einnimmt, und mißt die Erde aus. Worüber
belehrt uns die mathematische Geographie? Was sagt sie uns? Was thut
sie noch? Sage, was die mathematische Geographie thut? Das Kind spricht: Die
mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall u. s. w. -- wie es im
"kleinen Daniel" steht. -- "Aber lieber Herr X., das ist doch kein Unterricht;
das ist ja die allergreulichste Einpaukerei." "Erlaube" Sie," erwiedert Herr X-,


Wohnerzahlen, von Namen, Merkmalen der Pflanzen, Maß- und Verhültniß-
zahlen in der Naturlehre ist verboten. Nöthigenfalls ist vorzuziehen, den Um¬
fang des Lehrstoffes zu beschränken, statt auf dessen Veranschaulichung zu
verzichten und den Unterricht in Mittheilung bloßer Nomenklatur ausarten zu
lassen. In den Vereich der Behandlung sind diejenigen Pflanzen u. s. w. zu
ziehen, welche durch den Dienst, den sie den Menschen leisten, oder durch den
Schaden, den sie thun, oder durch ihre Lebensweise besonderes Interesse erregen."

Groß ist der Unterschied zwischen diesen Normen und denen der Regulative
gerade uicht. Größer wird er durch die Art der Ausführung. Es läßt sich
nicht verkennen, daß die „Allgemeinen Bestimmungen" dem Drängen der Zeit
nach formeller Bildung, nach Vermehrung des Wissens ' besonders in den
Realien nachgeben. Die Realien, welche früher ans Lesebuch angehängt waren,
erhielten selbständige Stellung und wurden mit Stunden bedacht, die dem
sprachlichen und Religionsunterrichte entzogen wurden.

Nun aber wiederholten sich — wohlgemerkt! — in der Aera Falk auf
dem Gebiete der Realien dieselben Erscheinungen, wie sie auf dem Gebiete des
Religionsunterrichtes zur Zeit der Regulative hervorgetreten waren. In die
neuen Lehrpläne wurde eine Unmasse von Stoff eingestopft. Vor uns liegt
ein Repetitorium des Real-Unterrichtes in den Volksschulen, worin nicht allein
alle Theile der Naturbeschreibung, sondern auch ein Abriß von Anatomie,
Psychologie und Gesellschaftslehre enthalten ist. Die Volkszeitung forderte
vorm Jahre allen Ernstes zur Erzielung besserer Wahlen die Aufnahme der
Verfassungskunde in der Volksschule, andere wollten National-Oekonomie als
Mittel gegen die Sozialdemokraten getrieben haben. Die zukünftige Hausfrau
sollte in der Volksschule über ihre Pflichten belehrt werden u. f. w. Das ist
natürlich Heller Unsinn. Aber anch das, was jetzt auf Grund der „Allgemeinen
Bestimmungen" in der Schule getrieben wird, muß ein bedenkliches Schütteln
des Kopfes hervorrufen. Hier nur ein Beispiel.

Der Lehrer führt in die Geographie ein und dozirt: Die Theile der Geo¬
graphie sind 1.) mathematische Geographie, 2.) physikalische Geographie und
3.) politische Geographie. Welches sind die Theile?- Nenne sie noch einmal. —
Die mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall, sagt uns, welche
Stellung die Erde in demselben einnimmt, und mißt die Erde aus. Worüber
belehrt uns die mathematische Geographie? Was sagt sie uns? Was thut
sie noch? Sage, was die mathematische Geographie thut? Das Kind spricht: Die
mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall u. s. w. — wie es im
„kleinen Daniel" steht. — „Aber lieber Herr X., das ist doch kein Unterricht;
das ist ja die allergreulichste Einpaukerei." „Erlaube« Sie," erwiedert Herr X-,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142891"/>
          <p xml:id="ID_1151" prev="#ID_1150"> Wohnerzahlen, von Namen, Merkmalen der Pflanzen, Maß- und Verhültniß-<lb/>
zahlen in der Naturlehre ist verboten. Nöthigenfalls ist vorzuziehen, den Um¬<lb/>
fang des Lehrstoffes zu beschränken, statt auf dessen Veranschaulichung zu<lb/>
verzichten und den Unterricht in Mittheilung bloßer Nomenklatur ausarten zu<lb/>
lassen. In den Vereich der Behandlung sind diejenigen Pflanzen u. s. w. zu<lb/>
ziehen, welche durch den Dienst, den sie den Menschen leisten, oder durch den<lb/>
Schaden, den sie thun, oder durch ihre Lebensweise besonderes Interesse erregen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1152"> Groß ist der Unterschied zwischen diesen Normen und denen der Regulative<lb/>
gerade uicht. Größer wird er durch die Art der Ausführung. Es läßt sich<lb/>
nicht verkennen, daß die &#x201E;Allgemeinen Bestimmungen" dem Drängen der Zeit<lb/>
nach formeller Bildung, nach Vermehrung des Wissens ' besonders in den<lb/>
Realien nachgeben. Die Realien, welche früher ans Lesebuch angehängt waren,<lb/>
erhielten selbständige Stellung und wurden mit Stunden bedacht, die dem<lb/>
sprachlichen und Religionsunterrichte entzogen wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1153"> Nun aber wiederholten sich &#x2014; wohlgemerkt! &#x2014; in der Aera Falk auf<lb/>
dem Gebiete der Realien dieselben Erscheinungen, wie sie auf dem Gebiete des<lb/>
Religionsunterrichtes zur Zeit der Regulative hervorgetreten waren. In die<lb/>
neuen Lehrpläne wurde eine Unmasse von Stoff eingestopft. Vor uns liegt<lb/>
ein Repetitorium des Real-Unterrichtes in den Volksschulen, worin nicht allein<lb/>
alle Theile der Naturbeschreibung, sondern auch ein Abriß von Anatomie,<lb/>
Psychologie und Gesellschaftslehre enthalten ist. Die Volkszeitung forderte<lb/>
vorm Jahre allen Ernstes zur Erzielung besserer Wahlen die Aufnahme der<lb/>
Verfassungskunde in der Volksschule, andere wollten National-Oekonomie als<lb/>
Mittel gegen die Sozialdemokraten getrieben haben. Die zukünftige Hausfrau<lb/>
sollte in der Volksschule über ihre Pflichten belehrt werden u. f. w. Das ist<lb/>
natürlich Heller Unsinn. Aber anch das, was jetzt auf Grund der &#x201E;Allgemeinen<lb/>
Bestimmungen" in der Schule getrieben wird, muß ein bedenkliches Schütteln<lb/>
des Kopfes hervorrufen. Hier nur ein Beispiel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1154" next="#ID_1155"> Der Lehrer führt in die Geographie ein und dozirt: Die Theile der Geo¬<lb/>
graphie sind 1.) mathematische Geographie, 2.) physikalische Geographie und<lb/>
3.) politische Geographie. Welches sind die Theile?- Nenne sie noch einmal. &#x2014;<lb/>
Die mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall, sagt uns, welche<lb/>
Stellung die Erde in demselben einnimmt, und mißt die Erde aus. Worüber<lb/>
belehrt uns die mathematische Geographie? Was sagt sie uns? Was thut<lb/>
sie noch? Sage, was die mathematische Geographie thut? Das Kind spricht: Die<lb/>
mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall u. s. w. &#x2014; wie es im<lb/>
&#x201E;kleinen Daniel" steht. &#x2014; &#x201E;Aber lieber Herr X., das ist doch kein Unterricht;<lb/>
das ist ja die allergreulichste Einpaukerei." &#x201E;Erlaube« Sie," erwiedert Herr X-,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Wohnerzahlen, von Namen, Merkmalen der Pflanzen, Maß- und Verhültniß- zahlen in der Naturlehre ist verboten. Nöthigenfalls ist vorzuziehen, den Um¬ fang des Lehrstoffes zu beschränken, statt auf dessen Veranschaulichung zu verzichten und den Unterricht in Mittheilung bloßer Nomenklatur ausarten zu lassen. In den Vereich der Behandlung sind diejenigen Pflanzen u. s. w. zu ziehen, welche durch den Dienst, den sie den Menschen leisten, oder durch den Schaden, den sie thun, oder durch ihre Lebensweise besonderes Interesse erregen." Groß ist der Unterschied zwischen diesen Normen und denen der Regulative gerade uicht. Größer wird er durch die Art der Ausführung. Es läßt sich nicht verkennen, daß die „Allgemeinen Bestimmungen" dem Drängen der Zeit nach formeller Bildung, nach Vermehrung des Wissens ' besonders in den Realien nachgeben. Die Realien, welche früher ans Lesebuch angehängt waren, erhielten selbständige Stellung und wurden mit Stunden bedacht, die dem sprachlichen und Religionsunterrichte entzogen wurden. Nun aber wiederholten sich — wohlgemerkt! — in der Aera Falk auf dem Gebiete der Realien dieselben Erscheinungen, wie sie auf dem Gebiete des Religionsunterrichtes zur Zeit der Regulative hervorgetreten waren. In die neuen Lehrpläne wurde eine Unmasse von Stoff eingestopft. Vor uns liegt ein Repetitorium des Real-Unterrichtes in den Volksschulen, worin nicht allein alle Theile der Naturbeschreibung, sondern auch ein Abriß von Anatomie, Psychologie und Gesellschaftslehre enthalten ist. Die Volkszeitung forderte vorm Jahre allen Ernstes zur Erzielung besserer Wahlen die Aufnahme der Verfassungskunde in der Volksschule, andere wollten National-Oekonomie als Mittel gegen die Sozialdemokraten getrieben haben. Die zukünftige Hausfrau sollte in der Volksschule über ihre Pflichten belehrt werden u. f. w. Das ist natürlich Heller Unsinn. Aber anch das, was jetzt auf Grund der „Allgemeinen Bestimmungen" in der Schule getrieben wird, muß ein bedenkliches Schütteln des Kopfes hervorrufen. Hier nur ein Beispiel. Der Lehrer führt in die Geographie ein und dozirt: Die Theile der Geo¬ graphie sind 1.) mathematische Geographie, 2.) physikalische Geographie und 3.) politische Geographie. Welches sind die Theile?- Nenne sie noch einmal. — Die mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall, sagt uns, welche Stellung die Erde in demselben einnimmt, und mißt die Erde aus. Worüber belehrt uns die mathematische Geographie? Was sagt sie uns? Was thut sie noch? Sage, was die mathematische Geographie thut? Das Kind spricht: Die mathematische Geographie belehrt uns über das Weltall u. s. w. — wie es im „kleinen Daniel" steht. — „Aber lieber Herr X., das ist doch kein Unterricht; das ist ja die allergreulichste Einpaukerei." „Erlaube« Sie," erwiedert Herr X-,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/394>, abgerufen am 27.11.2024.