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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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muß Besitz der Kinder werden und präsent erhalten bleiben. Ein Unterrichts¬
gegenstand ergänze den andern und diene dem Gesammtzwecke."

Das sind Hauptgesichtspunkte der Regulative. Wer irgend ohne Vorein¬
genommenheit zu urtheilen versteht, wird nicht leugnen, daß in diesen Sätzen
viel pädagogische Weisheit, eine gute Kenntniß der wirklichen Verhältnisse, da¬
gegen nichts von den Dingen wie Verdummung des Volkes, Mechanisirung des
Unterrichts u. s. w. liegt, die man ihnen zum Vorwurfe zu machen gewöhnt ist.

Nun ist freilich Prinzip und Ausführung nicht dasselbe, und es ist richtig,
daß sich vieles an die Regulative angehängt hat, was einem den Geschmack
daran gründlich verderben kann. Manche Schulräthe waren regulativischer
als die Regulative selbst, ein gewisses Weißeshalsbindenthum machte sich breiter
als nöthig, ein einerseits salbungsvoller, andrerseits strafender Ton wurde be¬
liebt, Mißverstand und Unvermögen machten aus der Sache eine greuliche
Karrikatur. Wir haben es selbst angehört, daß ein junger Lehrer, welcher den
Satz mißverstanden hatte, daß das Gelernte zum sicheren Besitze kommen solle,
sich eine volle halbe Stunde mit dem Satze quälte: "Abraham aber war
sehr reich an Vieh, Silber und Gold", weil die Kinder, echt kindlich, immer
das "aber" wegließen, und haben es oft genug erlebt, daß in den Händen
handwerksmäßiger Schulmeistern "Vernunft Unsinn, Wohlthat Plage" wurde.
Aber es ist doch wohl besser, solche Abwege in den richtigen zurück- als in neue
hineinzuleiten. Es war auch nicht hübsch, daß mit dem Christenthum zuviel
Firma geschrieben wurde. Es ist nicht gut, das Heilige auf die Straße zu
ziehen und viel im Munde zu führen. Wenn Stiel selbst einmal einem jungen
Seminarlehrer, den er zum Musiklehrer berief, und der sich entschuldigte, er
traue sich die Fähigkeit dazu nicht zu, antwortete, es komme vor allem auf
Gottvertrauen an, so war das wohl gut gemeint, aber provozirte die still¬
schweigende Einrede: Was hilft mir mein Gottvertrauen, wenn es im General¬
baß hapert?

Was die Ausführung der regulativischen Grundsätze betrifft, so ist mini-
steriellerseits wiederholt erklärt worden, daß die Regulative in ihren speziellen
didaktischen Anweisungen nichts Abschließendes geben wollen, sondern der
Weiterbildung fähig und bedürftig seien. In der That hatten die Regulative,
welche in xi^xi im Jahre 1872 galten, mit den ursprünglichen papiernen nicht
viel mehr Aehnlichkeit, als daß sie den verhaßten Namen "Regulative" trugen.
Man hat öfter gesagt, daß, wenn Stiel Selbstverleugnung genug gehabt hätte, diese"
Namen dranzugeben und das Alte und Bewährte sammt dem neu Gewonnenen in
neuer, angemessener Form zu fixiren, es gar nicht zum Streit gekommen wäre.
Es ist das möglich, doch wollen wir nicht verschweigen, daß sich in der That


muß Besitz der Kinder werden und präsent erhalten bleiben. Ein Unterrichts¬
gegenstand ergänze den andern und diene dem Gesammtzwecke."

Das sind Hauptgesichtspunkte der Regulative. Wer irgend ohne Vorein¬
genommenheit zu urtheilen versteht, wird nicht leugnen, daß in diesen Sätzen
viel pädagogische Weisheit, eine gute Kenntniß der wirklichen Verhältnisse, da¬
gegen nichts von den Dingen wie Verdummung des Volkes, Mechanisirung des
Unterrichts u. s. w. liegt, die man ihnen zum Vorwurfe zu machen gewöhnt ist.

Nun ist freilich Prinzip und Ausführung nicht dasselbe, und es ist richtig,
daß sich vieles an die Regulative angehängt hat, was einem den Geschmack
daran gründlich verderben kann. Manche Schulräthe waren regulativischer
als die Regulative selbst, ein gewisses Weißeshalsbindenthum machte sich breiter
als nöthig, ein einerseits salbungsvoller, andrerseits strafender Ton wurde be¬
liebt, Mißverstand und Unvermögen machten aus der Sache eine greuliche
Karrikatur. Wir haben es selbst angehört, daß ein junger Lehrer, welcher den
Satz mißverstanden hatte, daß das Gelernte zum sicheren Besitze kommen solle,
sich eine volle halbe Stunde mit dem Satze quälte: „Abraham aber war
sehr reich an Vieh, Silber und Gold", weil die Kinder, echt kindlich, immer
das „aber" wegließen, und haben es oft genug erlebt, daß in den Händen
handwerksmäßiger Schulmeistern „Vernunft Unsinn, Wohlthat Plage" wurde.
Aber es ist doch wohl besser, solche Abwege in den richtigen zurück- als in neue
hineinzuleiten. Es war auch nicht hübsch, daß mit dem Christenthum zuviel
Firma geschrieben wurde. Es ist nicht gut, das Heilige auf die Straße zu
ziehen und viel im Munde zu führen. Wenn Stiel selbst einmal einem jungen
Seminarlehrer, den er zum Musiklehrer berief, und der sich entschuldigte, er
traue sich die Fähigkeit dazu nicht zu, antwortete, es komme vor allem auf
Gottvertrauen an, so war das wohl gut gemeint, aber provozirte die still¬
schweigende Einrede: Was hilft mir mein Gottvertrauen, wenn es im General¬
baß hapert?

Was die Ausführung der regulativischen Grundsätze betrifft, so ist mini-
steriellerseits wiederholt erklärt worden, daß die Regulative in ihren speziellen
didaktischen Anweisungen nichts Abschließendes geben wollen, sondern der
Weiterbildung fähig und bedürftig seien. In der That hatten die Regulative,
welche in xi^xi im Jahre 1872 galten, mit den ursprünglichen papiernen nicht
viel mehr Aehnlichkeit, als daß sie den verhaßten Namen „Regulative" trugen.
Man hat öfter gesagt, daß, wenn Stiel Selbstverleugnung genug gehabt hätte, diese»
Namen dranzugeben und das Alte und Bewährte sammt dem neu Gewonnenen in
neuer, angemessener Form zu fixiren, es gar nicht zum Streit gekommen wäre.
Es ist das möglich, doch wollen wir nicht verschweigen, daß sich in der That


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/392>, abgerufen am 06.10.2024.