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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Fall ihrer Ermordung. Eine Art Verhör, das sie vor dem großen Rathe der
Nation zu bestehen hatten, hatte zweifelhaften Erfolg. Nach Huronensitte vor
Sterbefällen und Hinrichtungen feierten sie mit einem den Nachbarn gegebenen
Schmauße ihr Abschiedsfest, und von jetzt an ließ wunderbarerweise die Ver¬
folgung nach, man hörte Stimmen zu ihren Gunsten, und die Nachbarn wandten
weniger ängstlich die Blicke von ihnen ab. Sie schrieben diese Veränderung
der Vermittelung des heiligen Joseph zu, dem sie eine neuntägige Andacht
gelobt hatten. Aber noch mehrere Jahre äußerte sich der Verdacht und Haß,
den sie sich zugezogen, durch Bedrohungen und Angriffe von Seiten Einzelner,
doch immer entwaffneten sie die Jesuiten im entscheidenden Augenblicke durch
ihre Kaltblütigkeit.

Mit der Zeit gestalteten sich die Verhältnisse noch besser, und im Jahre
1638 hatten die Jesuiten etwa sechzig erwachsene Indianer getauft und auch
beim katholischen Glauben erhalten. Das hatte freilich schwere Mühe gekostet;
denn bei den Bekehrungen war das Ausrollen schwieriger als das Pflanzen.
Die Fassungskraft der Wilden war keineswegs mangelhaft, im Gegentheil, sie
waren, wie der Jesuit Chaumonot behauptet, intelligenter als die französischen
Bauern. Es war die träge Masse von Stolz, Sinnlichkeit, Gleichgiltigkeit und
Aberglauben, welche der Wirksamkeit der jesuitischen Heilspredigt im Wege stand.
Bald stellte sich heraus, daß es leichter war, einen Huronen zu bekehren, als
ihn beim Glauben zu erhalten; denn erwies sich das Christenthum nicht als
gute "Medizin" gegen Unglück aller Art, so erlahmte der Eifer der Getauften,
und wenn ihre heidnisch gebliebenen Nachbarn ihnen dann noch sagten, nun
würden sie kein Wild mehr schießen, oder nun werde ihnen das Haar ausfallen,
oder im Himmel der Franzosen gebe es keinen Tabak, so war es kein Wunder,
wenn sie völlig erkalteten und dann abfielen. Bei ihren Bekehrungsversuchen
verfuhren die Väter übrigens immer politisch. Nie nahmen sie den Ton der Ueber-
legenheit und des Befehlens an. Sanftmuth, Güte und Geduld waren die
Regeln ihres Verkehrs mit den Heiden, und weit entfernt, sie als Barbaren
zu behandeln, verfuhren sie mit ihnen durchaus wie mit Ihresgleichen. Die
Hauptbekehrungsmittel, die sie anwendeten, sind sehr bezeichnend. "Schickt mir
ein Bild Christi ohne Bart," schreibt Garnier nach Frankreich, "und etliche
heilige Jungfrauen." Dann will er eine Auswahl "verdammter Seelen", wo¬
gegen von den "seligen Seelen" ihm eine genügt. Besondere Anweisungen
werden in dem Briefe hinsichtlich der Teufel, Drachen, Höllenslammen und
ähnlicher vorzüglich wirksamer Kunstwerke ertheilt. Alle Bilder sollen das ganze
Gesicht, nicht blos das Profil zeigen. Dabei müssen sie den Beschauer mit
offenen Augen gerade ansehen. Die Farben müssen lebhaft sein, auch dürfen


Fall ihrer Ermordung. Eine Art Verhör, das sie vor dem großen Rathe der
Nation zu bestehen hatten, hatte zweifelhaften Erfolg. Nach Huronensitte vor
Sterbefällen und Hinrichtungen feierten sie mit einem den Nachbarn gegebenen
Schmauße ihr Abschiedsfest, und von jetzt an ließ wunderbarerweise die Ver¬
folgung nach, man hörte Stimmen zu ihren Gunsten, und die Nachbarn wandten
weniger ängstlich die Blicke von ihnen ab. Sie schrieben diese Veränderung
der Vermittelung des heiligen Joseph zu, dem sie eine neuntägige Andacht
gelobt hatten. Aber noch mehrere Jahre äußerte sich der Verdacht und Haß,
den sie sich zugezogen, durch Bedrohungen und Angriffe von Seiten Einzelner,
doch immer entwaffneten sie die Jesuiten im entscheidenden Augenblicke durch
ihre Kaltblütigkeit.

Mit der Zeit gestalteten sich die Verhältnisse noch besser, und im Jahre
1638 hatten die Jesuiten etwa sechzig erwachsene Indianer getauft und auch
beim katholischen Glauben erhalten. Das hatte freilich schwere Mühe gekostet;
denn bei den Bekehrungen war das Ausrollen schwieriger als das Pflanzen.
Die Fassungskraft der Wilden war keineswegs mangelhaft, im Gegentheil, sie
waren, wie der Jesuit Chaumonot behauptet, intelligenter als die französischen
Bauern. Es war die träge Masse von Stolz, Sinnlichkeit, Gleichgiltigkeit und
Aberglauben, welche der Wirksamkeit der jesuitischen Heilspredigt im Wege stand.
Bald stellte sich heraus, daß es leichter war, einen Huronen zu bekehren, als
ihn beim Glauben zu erhalten; denn erwies sich das Christenthum nicht als
gute „Medizin" gegen Unglück aller Art, so erlahmte der Eifer der Getauften,
und wenn ihre heidnisch gebliebenen Nachbarn ihnen dann noch sagten, nun
würden sie kein Wild mehr schießen, oder nun werde ihnen das Haar ausfallen,
oder im Himmel der Franzosen gebe es keinen Tabak, so war es kein Wunder,
wenn sie völlig erkalteten und dann abfielen. Bei ihren Bekehrungsversuchen
verfuhren die Väter übrigens immer politisch. Nie nahmen sie den Ton der Ueber-
legenheit und des Befehlens an. Sanftmuth, Güte und Geduld waren die
Regeln ihres Verkehrs mit den Heiden, und weit entfernt, sie als Barbaren
zu behandeln, verfuhren sie mit ihnen durchaus wie mit Ihresgleichen. Die
Hauptbekehrungsmittel, die sie anwendeten, sind sehr bezeichnend. „Schickt mir
ein Bild Christi ohne Bart," schreibt Garnier nach Frankreich, „und etliche
heilige Jungfrauen." Dann will er eine Auswahl „verdammter Seelen", wo¬
gegen von den „seligen Seelen" ihm eine genügt. Besondere Anweisungen
werden in dem Briefe hinsichtlich der Teufel, Drachen, Höllenslammen und
ähnlicher vorzüglich wirksamer Kunstwerke ertheilt. Alle Bilder sollen das ganze
Gesicht, nicht blos das Profil zeigen. Dabei müssen sie den Beschauer mit
offenen Augen gerade ansehen. Die Farben müssen lebhaft sein, auch dürfen


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[0386] Fall ihrer Ermordung. Eine Art Verhör, das sie vor dem großen Rathe der Nation zu bestehen hatten, hatte zweifelhaften Erfolg. Nach Huronensitte vor Sterbefällen und Hinrichtungen feierten sie mit einem den Nachbarn gegebenen Schmauße ihr Abschiedsfest, und von jetzt an ließ wunderbarerweise die Ver¬ folgung nach, man hörte Stimmen zu ihren Gunsten, und die Nachbarn wandten weniger ängstlich die Blicke von ihnen ab. Sie schrieben diese Veränderung der Vermittelung des heiligen Joseph zu, dem sie eine neuntägige Andacht gelobt hatten. Aber noch mehrere Jahre äußerte sich der Verdacht und Haß, den sie sich zugezogen, durch Bedrohungen und Angriffe von Seiten Einzelner, doch immer entwaffneten sie die Jesuiten im entscheidenden Augenblicke durch ihre Kaltblütigkeit. Mit der Zeit gestalteten sich die Verhältnisse noch besser, und im Jahre 1638 hatten die Jesuiten etwa sechzig erwachsene Indianer getauft und auch beim katholischen Glauben erhalten. Das hatte freilich schwere Mühe gekostet; denn bei den Bekehrungen war das Ausrollen schwieriger als das Pflanzen. Die Fassungskraft der Wilden war keineswegs mangelhaft, im Gegentheil, sie waren, wie der Jesuit Chaumonot behauptet, intelligenter als die französischen Bauern. Es war die träge Masse von Stolz, Sinnlichkeit, Gleichgiltigkeit und Aberglauben, welche der Wirksamkeit der jesuitischen Heilspredigt im Wege stand. Bald stellte sich heraus, daß es leichter war, einen Huronen zu bekehren, als ihn beim Glauben zu erhalten; denn erwies sich das Christenthum nicht als gute „Medizin" gegen Unglück aller Art, so erlahmte der Eifer der Getauften, und wenn ihre heidnisch gebliebenen Nachbarn ihnen dann noch sagten, nun würden sie kein Wild mehr schießen, oder nun werde ihnen das Haar ausfallen, oder im Himmel der Franzosen gebe es keinen Tabak, so war es kein Wunder, wenn sie völlig erkalteten und dann abfielen. Bei ihren Bekehrungsversuchen verfuhren die Väter übrigens immer politisch. Nie nahmen sie den Ton der Ueber- legenheit und des Befehlens an. Sanftmuth, Güte und Geduld waren die Regeln ihres Verkehrs mit den Heiden, und weit entfernt, sie als Barbaren zu behandeln, verfuhren sie mit ihnen durchaus wie mit Ihresgleichen. Die Hauptbekehrungsmittel, die sie anwendeten, sind sehr bezeichnend. „Schickt mir ein Bild Christi ohne Bart," schreibt Garnier nach Frankreich, „und etliche heilige Jungfrauen." Dann will er eine Auswahl „verdammter Seelen", wo¬ gegen von den „seligen Seelen" ihm eine genügt. Besondere Anweisungen werden in dem Briefe hinsichtlich der Teufel, Drachen, Höllenslammen und ähnlicher vorzüglich wirksamer Kunstwerke ertheilt. Alle Bilder sollen das ganze Gesicht, nicht blos das Profil zeigen. Dabei müssen sie den Beschauer mit offenen Augen gerade ansehen. Die Farben müssen lebhaft sein, auch dürfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/386>, abgerufen am 27.11.2024.