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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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hohlen Hand, besprengte damit den Sterbenden und meinte ihn so einer Ewig¬
keit voll Jammer zu entreißen.

Zuletzt schienen einige Orte geneigt, den Ermahnungen der Missionäre,
nachdem die Beschwörungen und Tänze der Zauberer der Pest nicht Einhalt
zu thun vermocht, zu folgen und deren Christenthum als die bessere "Medizin"
anzunehmen. "Was müssen wir thun, daß Gott sich unsrer erbarmt?" fragte
man in der Stadt Wenkio die Priester. "An ihn glauben, seine Gebote halten,
nicht mehr an Träumen hängen, die Unzucht meiden, den Teufeln keine Feste
feiern und geloben, wenn Gott euch von der Seuche befreit, ihm eine Kapelle
zu bauen, damit ihr ihm danken und ihn lobpreisen konnt", erwiederte Brebenf.
Das aber war zuviel verlangt; mit der Kapelle wollte man sich gern abfinden,
aber das Andere war nicht zu ermöglichen, und verzweifelnd ging die Ver¬
sammlung auseinander. Williger erwies man sich in der Stadt Ossossane.
Man versprach hier, seinen Aberglauben und seine unzüchtigen Sitten aufzugeben,
und ein Hauptzauberer verkündete mit lauter Stimme in den Straßen, daß der
Gott der Franzosen fortan ihr Herr sei, und Alle nach seinem Willen leben
müßten. "Welch' ein Trost," rief Le Mercier aus, "Gott von einem eingefleischter
Teufel verherrlicht zu sehen!" Die Freude der Jesuiten war aber nicht von
Dauer. Jene Erklärung war am 12. Dezember abgegeben worden. Am 21.
kam ein zwerghafter, verwachsener Zauberer in die Stadt, der bei seinen Lands¬
leuten hohes Ansehen genoß, und sofort gab es ein großes Medizinfest, bei dem
die Huronen, wie die Jesuiten sich mit Schauder ausdrückten, "ueben Gottes
Hilfe auch die ihrer Teufel anriefen".

Die guten Väter durften sich aber nicht darüber beklagen, wenn diese
Heiden die Seuche mit abergläubischen Bräuchen bekämpften, wenn ihnen das
Christenthum nur als gute "Medizin", als wunderwirkender Zauber erschien,
und wenn sie viel auf Träume und Gesichte gaben. Die Missionäre waren
in diesem Betracht wenig verständiger. Viel mehr als auf gewöhnliche Kuren
verließen sie sich bei Krankheiten auf ein Gebet zur heiligen Jungfrau, ein
Gelübde, das dem heiligen Joseph gethan wurde, oder ein Versprechen, zu Ehren
eines andern Himmlischen eine neuntägige Andacht zu verrichten. Besser als
andere Arzenei heilte ihnen die oder jene Reliquie Schmerz und Wunden, ein
heiliger Zahn oder Knochen ließ das damit berührte Jndianerweib leicht ge¬
bären. Als der Jesuit Chaumonot einst an Kopfschmerzen litt, vertrieb er sie
sich damit, daß er eine Medaille mit dem Bilde der Jungfrau mit dem Jesus¬
kinde und Se. Joseph in den Mund nahm. Visionen waren unter den Missio¬
nären des Huronenlandes fast etwas Alltägliches. Bei Brebenf, dessen tiefe
Natur von der stillen Inbrunst seiner Begeisterung wie ein Schmelzofen glühte,
kamen sie am häufigsten vor. Schaaren von Teufeln erschienen ihm, bisweilen


hohlen Hand, besprengte damit den Sterbenden und meinte ihn so einer Ewig¬
keit voll Jammer zu entreißen.

Zuletzt schienen einige Orte geneigt, den Ermahnungen der Missionäre,
nachdem die Beschwörungen und Tänze der Zauberer der Pest nicht Einhalt
zu thun vermocht, zu folgen und deren Christenthum als die bessere „Medizin"
anzunehmen. „Was müssen wir thun, daß Gott sich unsrer erbarmt?" fragte
man in der Stadt Wenkio die Priester. „An ihn glauben, seine Gebote halten,
nicht mehr an Träumen hängen, die Unzucht meiden, den Teufeln keine Feste
feiern und geloben, wenn Gott euch von der Seuche befreit, ihm eine Kapelle
zu bauen, damit ihr ihm danken und ihn lobpreisen konnt", erwiederte Brebenf.
Das aber war zuviel verlangt; mit der Kapelle wollte man sich gern abfinden,
aber das Andere war nicht zu ermöglichen, und verzweifelnd ging die Ver¬
sammlung auseinander. Williger erwies man sich in der Stadt Ossossane.
Man versprach hier, seinen Aberglauben und seine unzüchtigen Sitten aufzugeben,
und ein Hauptzauberer verkündete mit lauter Stimme in den Straßen, daß der
Gott der Franzosen fortan ihr Herr sei, und Alle nach seinem Willen leben
müßten. „Welch' ein Trost," rief Le Mercier aus, „Gott von einem eingefleischter
Teufel verherrlicht zu sehen!" Die Freude der Jesuiten war aber nicht von
Dauer. Jene Erklärung war am 12. Dezember abgegeben worden. Am 21.
kam ein zwerghafter, verwachsener Zauberer in die Stadt, der bei seinen Lands¬
leuten hohes Ansehen genoß, und sofort gab es ein großes Medizinfest, bei dem
die Huronen, wie die Jesuiten sich mit Schauder ausdrückten, „ueben Gottes
Hilfe auch die ihrer Teufel anriefen".

Die guten Väter durften sich aber nicht darüber beklagen, wenn diese
Heiden die Seuche mit abergläubischen Bräuchen bekämpften, wenn ihnen das
Christenthum nur als gute „Medizin", als wunderwirkender Zauber erschien,
und wenn sie viel auf Träume und Gesichte gaben. Die Missionäre waren
in diesem Betracht wenig verständiger. Viel mehr als auf gewöhnliche Kuren
verließen sie sich bei Krankheiten auf ein Gebet zur heiligen Jungfrau, ein
Gelübde, das dem heiligen Joseph gethan wurde, oder ein Versprechen, zu Ehren
eines andern Himmlischen eine neuntägige Andacht zu verrichten. Besser als
andere Arzenei heilte ihnen die oder jene Reliquie Schmerz und Wunden, ein
heiliger Zahn oder Knochen ließ das damit berührte Jndianerweib leicht ge¬
bären. Als der Jesuit Chaumonot einst an Kopfschmerzen litt, vertrieb er sie
sich damit, daß er eine Medaille mit dem Bilde der Jungfrau mit dem Jesus¬
kinde und Se. Joseph in den Mund nahm. Visionen waren unter den Missio¬
nären des Huronenlandes fast etwas Alltägliches. Bei Brebenf, dessen tiefe
Natur von der stillen Inbrunst seiner Begeisterung wie ein Schmelzofen glühte,
kamen sie am häufigsten vor. Schaaren von Teufeln erschienen ihm, bisweilen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/384>, abgerufen am 27.07.2024.