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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Seine ganze Art bezeichnet bereits eine Jugendschrift, 1746, "Ueber die
Bekehrung im Alter". "Wo der Widerstand," heißt es da, "schwach ist, da ist
der Sieg gering; und da ein alter Mann oftmals nicht soviel Kraft hat, dem
Reiz einer Klapperbüchse zu widerstehn, wie will er dem beständig anziehenden
Reiz der Tugend widerstehn? Die beste Verehrerin in der Welt ist die Faul¬
heit; und wenn der Mensch nur erst soweit ist, daß seine Leidenschaften träge
werden, so ist er gar bald fromm. Ich habe noch leinen gesehn, der sich in
der Stärke seiner Leidenschaften ernsthaft gebessert hätte; das Herz hat allemal
den Verstand betrogen."

"Ich besinne mich, daß ich in meiner ersten Kindheit einen großen Theil
an Kleinigkeiten nahm. Mein Herz war ein leerer Raum. Meine Mutter
erfüllte mich anfangs ganz; nachher wurde ihr Bild bei mir kleiner, weil mein
silbernes Pfeifchen auch einen Platz haben wollte. Ich ging in die Schule
und nahm soviel Wörterchen in diesen Raum, daß mein silbernes Pfeifchen
nur den tausendsten Theil seines vorigen Platzes behauptete. Ich erblickte eine
Schöne, welche meinen ganzen Seelenranm durchaus erfüllte; meine Wörterchen
waren zu schwach, diesen andringenden Reizungen zu widerstehn. Es währte
beinah ein Jahr, daß meine vernunftlose Einöde sich dergestalt von dieser
Schönen erfüllen ließ. Endlich aber kam das Spiel ... Jetzt merkte ich, daß
der Schwamm meiner Leidenschaften seine ganze Ausdehnung verliere: ich sah,
daß ich täglich frömmer wurde, sowie diese abnahmen."

"Eine solche Frömmigkeit ist nur die Abwesenheit der vorigen Bilder,
welche sich von selbst verloren haben; die geistlose Leere schnappt aus Noth,
und damit das Kinderbüchschen, welches sich bei dem Menschen im Alter, wenn
er von seiner Einbildungskraft verlassen wird, 'jedesmal hervorthut, sich nicht
weiter ausdehnen möge, nach frommen Bildern. Daher kommt es, daß alte
Leute gar oft abergläubisch werden und in fromme Ausschweifungen verfallen:
ein jedes fürchterliche Bild erfüllt sie, weil in ihrem Seelenraum nichts ist,
was noch einigen Widerstand leisten könnte."

"Bei einem Menschen, der die Kraft seiner Leidenschaften in der Wollust
abgenutzt, hat endlich die Frömmigkeit noch den Werth der Neuheit. Eine jede
Vergnügnngsart, sie sei gut oder schlimm, hat allemal ihre Reizungen, und
das matteste Herz empfindet dabei noch etliche angenehme Aufwallungen oder
zärtliche Blähungen, die ein Zeichen der Frömmigkeit sind; und diese frommen
Aufwallungen werden noch oft von dem Vergnügen der Reue unterhalten.
Auch werden viele Sünden dnrch Verdruß und Langeweile geschwächt und durch
die Veränderungsbegierde erzeugt; daher ist ihr Andenken noch immer und
wenigstens wider Willen angenehm, weil unser Herz mehr seine Fehler bereuen
will als wirklich bereut. Solche Personen opfern Gott nur denjenigen Ekel


Seine ganze Art bezeichnet bereits eine Jugendschrift, 1746, „Ueber die
Bekehrung im Alter". „Wo der Widerstand," heißt es da, „schwach ist, da ist
der Sieg gering; und da ein alter Mann oftmals nicht soviel Kraft hat, dem
Reiz einer Klapperbüchse zu widerstehn, wie will er dem beständig anziehenden
Reiz der Tugend widerstehn? Die beste Verehrerin in der Welt ist die Faul¬
heit; und wenn der Mensch nur erst soweit ist, daß seine Leidenschaften träge
werden, so ist er gar bald fromm. Ich habe noch leinen gesehn, der sich in
der Stärke seiner Leidenschaften ernsthaft gebessert hätte; das Herz hat allemal
den Verstand betrogen."

„Ich besinne mich, daß ich in meiner ersten Kindheit einen großen Theil
an Kleinigkeiten nahm. Mein Herz war ein leerer Raum. Meine Mutter
erfüllte mich anfangs ganz; nachher wurde ihr Bild bei mir kleiner, weil mein
silbernes Pfeifchen auch einen Platz haben wollte. Ich ging in die Schule
und nahm soviel Wörterchen in diesen Raum, daß mein silbernes Pfeifchen
nur den tausendsten Theil seines vorigen Platzes behauptete. Ich erblickte eine
Schöne, welche meinen ganzen Seelenranm durchaus erfüllte; meine Wörterchen
waren zu schwach, diesen andringenden Reizungen zu widerstehn. Es währte
beinah ein Jahr, daß meine vernunftlose Einöde sich dergestalt von dieser
Schönen erfüllen ließ. Endlich aber kam das Spiel ... Jetzt merkte ich, daß
der Schwamm meiner Leidenschaften seine ganze Ausdehnung verliere: ich sah,
daß ich täglich frömmer wurde, sowie diese abnahmen."

„Eine solche Frömmigkeit ist nur die Abwesenheit der vorigen Bilder,
welche sich von selbst verloren haben; die geistlose Leere schnappt aus Noth,
und damit das Kinderbüchschen, welches sich bei dem Menschen im Alter, wenn
er von seiner Einbildungskraft verlassen wird, 'jedesmal hervorthut, sich nicht
weiter ausdehnen möge, nach frommen Bildern. Daher kommt es, daß alte
Leute gar oft abergläubisch werden und in fromme Ausschweifungen verfallen:
ein jedes fürchterliche Bild erfüllt sie, weil in ihrem Seelenraum nichts ist,
was noch einigen Widerstand leisten könnte."

„Bei einem Menschen, der die Kraft seiner Leidenschaften in der Wollust
abgenutzt, hat endlich die Frömmigkeit noch den Werth der Neuheit. Eine jede
Vergnügnngsart, sie sei gut oder schlimm, hat allemal ihre Reizungen, und
das matteste Herz empfindet dabei noch etliche angenehme Aufwallungen oder
zärtliche Blähungen, die ein Zeichen der Frömmigkeit sind; und diese frommen
Aufwallungen werden noch oft von dem Vergnügen der Reue unterhalten.
Auch werden viele Sünden dnrch Verdruß und Langeweile geschwächt und durch
die Veränderungsbegierde erzeugt; daher ist ihr Andenken noch immer und
wenigstens wider Willen angenehm, weil unser Herz mehr seine Fehler bereuen
will als wirklich bereut. Solche Personen opfern Gott nur denjenigen Ekel


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[0037] Seine ganze Art bezeichnet bereits eine Jugendschrift, 1746, „Ueber die Bekehrung im Alter". „Wo der Widerstand," heißt es da, „schwach ist, da ist der Sieg gering; und da ein alter Mann oftmals nicht soviel Kraft hat, dem Reiz einer Klapperbüchse zu widerstehn, wie will er dem beständig anziehenden Reiz der Tugend widerstehn? Die beste Verehrerin in der Welt ist die Faul¬ heit; und wenn der Mensch nur erst soweit ist, daß seine Leidenschaften träge werden, so ist er gar bald fromm. Ich habe noch leinen gesehn, der sich in der Stärke seiner Leidenschaften ernsthaft gebessert hätte; das Herz hat allemal den Verstand betrogen." „Ich besinne mich, daß ich in meiner ersten Kindheit einen großen Theil an Kleinigkeiten nahm. Mein Herz war ein leerer Raum. Meine Mutter erfüllte mich anfangs ganz; nachher wurde ihr Bild bei mir kleiner, weil mein silbernes Pfeifchen auch einen Platz haben wollte. Ich ging in die Schule und nahm soviel Wörterchen in diesen Raum, daß mein silbernes Pfeifchen nur den tausendsten Theil seines vorigen Platzes behauptete. Ich erblickte eine Schöne, welche meinen ganzen Seelenranm durchaus erfüllte; meine Wörterchen waren zu schwach, diesen andringenden Reizungen zu widerstehn. Es währte beinah ein Jahr, daß meine vernunftlose Einöde sich dergestalt von dieser Schönen erfüllen ließ. Endlich aber kam das Spiel ... Jetzt merkte ich, daß der Schwamm meiner Leidenschaften seine ganze Ausdehnung verliere: ich sah, daß ich täglich frömmer wurde, sowie diese abnahmen." „Eine solche Frömmigkeit ist nur die Abwesenheit der vorigen Bilder, welche sich von selbst verloren haben; die geistlose Leere schnappt aus Noth, und damit das Kinderbüchschen, welches sich bei dem Menschen im Alter, wenn er von seiner Einbildungskraft verlassen wird, 'jedesmal hervorthut, sich nicht weiter ausdehnen möge, nach frommen Bildern. Daher kommt es, daß alte Leute gar oft abergläubisch werden und in fromme Ausschweifungen verfallen: ein jedes fürchterliche Bild erfüllt sie, weil in ihrem Seelenraum nichts ist, was noch einigen Widerstand leisten könnte." „Bei einem Menschen, der die Kraft seiner Leidenschaften in der Wollust abgenutzt, hat endlich die Frömmigkeit noch den Werth der Neuheit. Eine jede Vergnügnngsart, sie sei gut oder schlimm, hat allemal ihre Reizungen, und das matteste Herz empfindet dabei noch etliche angenehme Aufwallungen oder zärtliche Blähungen, die ein Zeichen der Frömmigkeit sind; und diese frommen Aufwallungen werden noch oft von dem Vergnügen der Reue unterhalten. Auch werden viele Sünden dnrch Verdruß und Langeweile geschwächt und durch die Veränderungsbegierde erzeugt; daher ist ihr Andenken noch immer und wenigstens wider Willen angenehm, weil unser Herz mehr seine Fehler bereuen will als wirklich bereut. Solche Personen opfern Gott nur denjenigen Ekel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/37>, abgerufen am 24.11.2024.