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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Wahrnehmbaren, auf welche er sich begründet. Alle Realität ist ihm im sinn¬
lich Wahrnehmbaren beschlossen, die Existenz einer nicht sinnlich wahrnehmbaren
Welt verneint er. Diese metaphysische Theorie sucht er nun durch Vermittelung
der induktiven Methode zu beweisen. Die deduktive Methode kann der Mate¬
rialismus nicht gebrauchen, sie ist nur anwendbar uuter Voraussetzung eines
wie auch immer beschränkten Idealismus. Denn sie setzt voraus die Anerken¬
nung eines Allgemeinen, einer Idee, eines Gesetzes. Der Materialismus hat
es aber nur mit Einzelnem zu thun und kann daher nur die induktive Methode
'in seinen Dienst nehmen.

Sehen wir nun auf das Beweisverfahren des Materialismus, so tritt
nichts so deutlich hervor als die große Rolle, welche die physikalische Atomistik
spielt. Die Atomistik an sich nöthigt keineswegs zum Materialismus, kann
sich vielmehr mit einer idealen Weltanschauung sehr wohl vertragen. Es fragt
sich nur, welche Beschaffenheit der Atome in ihrer Beziehung zu einander vor¬
ausgesetzt wird. Leugnet man die qualitative Differenz derselben, nimmt man
nur eine Differenz der Lagen und Bewegungen an, so ist das eine Vorstellung,
mit der die Physik auskommen kann; sieht man aber in einer solchen Auffas-
sungsweise nicht blos das Bild, wie es von einem beschränkten Standorte sich
ergibt, sondern das einzig richtige, vollkommene Bild, so ist die Atomistik aller¬
dings von einer materialistischen Theorie untrennbar. Denken wir uns dagegen,
die Atomistik setze eine qualitative Differenz unter den Atomen voraus, so
könnte sie sich mit einer idealen Weltanschauung wohl vereinen. Eine Atomistik,
welche entsprechend der qualitativen Differenz auch einen Unterschied der Werthe
anerkennt, welche also in der Seele ein Atom von spezifischer Qualität und
einzigartiger Bedeutung sieht, steht nicht mehr auf dem Boden des Materialis¬
mus. Innerhalb der materialistischen Atomistik wird die Frage nach dem
Wesen des Denkens dahin beantwortet, daß dasselbe in der Bewegung der Stoffe
des Gehirns zu suchen sei. Das ist offenbar eine Behauptung, die dem Idealis¬
mus schnurstracks entgegengesetzt ist, und doch ist es versucht worden, dieselbe
in eine ideale Beleuchtung zu stellen. Auf welche Weise aber ist dies geschehen?
Man hat die Atomenkomplexe, in denen die erste Stufe der Organisation be-
schritten ist, die Zellen, als beseelt, als Träger von Seelen betrachtet. Die
Konsequenz dieser Anschauung ist es, auch die Atome, aus denen die Zellen
gebildet werden, als seelenvoll vorauszusetzen. Ist nun mit dieser Theorie
etwas gewonnen? Zwei Fälle sind hier möglich. Entweder ist die Seele in
dem als ruhend gedachten Atom nicht vorhanden, sondern sie entsteht nur, indem
es sich bewegt, dann ist natürlich nichts von Idealismus hier zu finden; es
bleibt nur das Räthsel, wie in aller Welt das an sich seelenlose Atom dazu
kommt, durch Bewegung seelenvoll zu werden. Oder es wird im Atom ein


Wahrnehmbaren, auf welche er sich begründet. Alle Realität ist ihm im sinn¬
lich Wahrnehmbaren beschlossen, die Existenz einer nicht sinnlich wahrnehmbaren
Welt verneint er. Diese metaphysische Theorie sucht er nun durch Vermittelung
der induktiven Methode zu beweisen. Die deduktive Methode kann der Mate¬
rialismus nicht gebrauchen, sie ist nur anwendbar uuter Voraussetzung eines
wie auch immer beschränkten Idealismus. Denn sie setzt voraus die Anerken¬
nung eines Allgemeinen, einer Idee, eines Gesetzes. Der Materialismus hat
es aber nur mit Einzelnem zu thun und kann daher nur die induktive Methode
'in seinen Dienst nehmen.

Sehen wir nun auf das Beweisverfahren des Materialismus, so tritt
nichts so deutlich hervor als die große Rolle, welche die physikalische Atomistik
spielt. Die Atomistik an sich nöthigt keineswegs zum Materialismus, kann
sich vielmehr mit einer idealen Weltanschauung sehr wohl vertragen. Es fragt
sich nur, welche Beschaffenheit der Atome in ihrer Beziehung zu einander vor¬
ausgesetzt wird. Leugnet man die qualitative Differenz derselben, nimmt man
nur eine Differenz der Lagen und Bewegungen an, so ist das eine Vorstellung,
mit der die Physik auskommen kann; sieht man aber in einer solchen Auffas-
sungsweise nicht blos das Bild, wie es von einem beschränkten Standorte sich
ergibt, sondern das einzig richtige, vollkommene Bild, so ist die Atomistik aller¬
dings von einer materialistischen Theorie untrennbar. Denken wir uns dagegen,
die Atomistik setze eine qualitative Differenz unter den Atomen voraus, so
könnte sie sich mit einer idealen Weltanschauung wohl vereinen. Eine Atomistik,
welche entsprechend der qualitativen Differenz auch einen Unterschied der Werthe
anerkennt, welche also in der Seele ein Atom von spezifischer Qualität und
einzigartiger Bedeutung sieht, steht nicht mehr auf dem Boden des Materialis¬
mus. Innerhalb der materialistischen Atomistik wird die Frage nach dem
Wesen des Denkens dahin beantwortet, daß dasselbe in der Bewegung der Stoffe
des Gehirns zu suchen sei. Das ist offenbar eine Behauptung, die dem Idealis¬
mus schnurstracks entgegengesetzt ist, und doch ist es versucht worden, dieselbe
in eine ideale Beleuchtung zu stellen. Auf welche Weise aber ist dies geschehen?
Man hat die Atomenkomplexe, in denen die erste Stufe der Organisation be-
schritten ist, die Zellen, als beseelt, als Träger von Seelen betrachtet. Die
Konsequenz dieser Anschauung ist es, auch die Atome, aus denen die Zellen
gebildet werden, als seelenvoll vorauszusetzen. Ist nun mit dieser Theorie
etwas gewonnen? Zwei Fälle sind hier möglich. Entweder ist die Seele in
dem als ruhend gedachten Atom nicht vorhanden, sondern sie entsteht nur, indem
es sich bewegt, dann ist natürlich nichts von Idealismus hier zu finden; es
bleibt nur das Räthsel, wie in aller Welt das an sich seelenlose Atom dazu
kommt, durch Bewegung seelenvoll zu werden. Oder es wird im Atom ein


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[0358] Wahrnehmbaren, auf welche er sich begründet. Alle Realität ist ihm im sinn¬ lich Wahrnehmbaren beschlossen, die Existenz einer nicht sinnlich wahrnehmbaren Welt verneint er. Diese metaphysische Theorie sucht er nun durch Vermittelung der induktiven Methode zu beweisen. Die deduktive Methode kann der Mate¬ rialismus nicht gebrauchen, sie ist nur anwendbar uuter Voraussetzung eines wie auch immer beschränkten Idealismus. Denn sie setzt voraus die Anerken¬ nung eines Allgemeinen, einer Idee, eines Gesetzes. Der Materialismus hat es aber nur mit Einzelnem zu thun und kann daher nur die induktive Methode 'in seinen Dienst nehmen. Sehen wir nun auf das Beweisverfahren des Materialismus, so tritt nichts so deutlich hervor als die große Rolle, welche die physikalische Atomistik spielt. Die Atomistik an sich nöthigt keineswegs zum Materialismus, kann sich vielmehr mit einer idealen Weltanschauung sehr wohl vertragen. Es fragt sich nur, welche Beschaffenheit der Atome in ihrer Beziehung zu einander vor¬ ausgesetzt wird. Leugnet man die qualitative Differenz derselben, nimmt man nur eine Differenz der Lagen und Bewegungen an, so ist das eine Vorstellung, mit der die Physik auskommen kann; sieht man aber in einer solchen Auffas- sungsweise nicht blos das Bild, wie es von einem beschränkten Standorte sich ergibt, sondern das einzig richtige, vollkommene Bild, so ist die Atomistik aller¬ dings von einer materialistischen Theorie untrennbar. Denken wir uns dagegen, die Atomistik setze eine qualitative Differenz unter den Atomen voraus, so könnte sie sich mit einer idealen Weltanschauung wohl vereinen. Eine Atomistik, welche entsprechend der qualitativen Differenz auch einen Unterschied der Werthe anerkennt, welche also in der Seele ein Atom von spezifischer Qualität und einzigartiger Bedeutung sieht, steht nicht mehr auf dem Boden des Materialis¬ mus. Innerhalb der materialistischen Atomistik wird die Frage nach dem Wesen des Denkens dahin beantwortet, daß dasselbe in der Bewegung der Stoffe des Gehirns zu suchen sei. Das ist offenbar eine Behauptung, die dem Idealis¬ mus schnurstracks entgegengesetzt ist, und doch ist es versucht worden, dieselbe in eine ideale Beleuchtung zu stellen. Auf welche Weise aber ist dies geschehen? Man hat die Atomenkomplexe, in denen die erste Stufe der Organisation be- schritten ist, die Zellen, als beseelt, als Träger von Seelen betrachtet. Die Konsequenz dieser Anschauung ist es, auch die Atome, aus denen die Zellen gebildet werden, als seelenvoll vorauszusetzen. Ist nun mit dieser Theorie etwas gewonnen? Zwei Fälle sind hier möglich. Entweder ist die Seele in dem als ruhend gedachten Atom nicht vorhanden, sondern sie entsteht nur, indem es sich bewegt, dann ist natürlich nichts von Idealismus hier zu finden; es bleibt nur das Räthsel, wie in aller Welt das an sich seelenlose Atom dazu kommt, durch Bewegung seelenvoll zu werden. Oder es wird im Atom ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/358>, abgerufen am 27.11.2024.