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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Werkstätte unserer Muttersprache, deren Reichthum und schöpferische Kraft auch
hierin unsere Bewunderung erregt, und daneben fällt auch manches Streiflicht
auf die Kulturgeschichte unseres Volkes.

Freilich läßt sich die Frage: Was bedeutet ein Name? leichter aufwerfen
als beantworten. Die Umgestaltung der Wortformen, die sich bei jeder lebenden
Sprache unaufhaltsam vollzieht, hat bei Namen den freiesten Spielraum, und
besonders machen sich hier dialektische Eigenthümlichkeiten geltend. Wenn man
im Vogtlande von Derwich und Feetschgri spricht, so wird der Nicht-Vogt¬
länder schwerlich errathen, daß damit die Dörfer Thierbach und Voigtsgrün
gemeint sind. Während wir aber bei Ortsnamen meist in der glücklichen Lage
sind, in Urkunden und geschichtlichen Ueberlieferungen die ältere Namensform
zu finden, fehlt uns dieses wichtige Hilfsmittel der Erklärung in den meisten
Fällen bei Personennamen. Nur bei wenigen alten Familien lassen sich die
Namensformen glaubwürdig weiter zurückverfolgen, und bei diesen finden wir
dann zuweilen überraschende Umgestaltungen, wie bei dem bekannten Namen
Berlepsch, dessen älteste Form in einer hessischen Urkunde Berahtleibeshuson lautet.

Neben diesen in der Natur der Sprache liegenden Formveränderungen gibt
es noch andere die Erklärung erschwerende Umgestaltungen, die der sogenannten
Volksetymologie ihr Dasein verdanken, d. h. dem Bestreben des Volkes, ein
unverständlich gewordenes Wort sich durch kleine Veränderungen mundgerecht
zu machen, so daß es scheinbar wieder guten Sinn gibt. So heißt ein Jäger¬
haus in der Nähe von Meißen im Volksmnnde Rehbock, während es in Wirk¬
lichkeit den Namen?1g,os as rsxos führt: das unverständliche Fremdwort rsxos
wurde in Rehbock umgewandelt. In andrer Weise hat man in Leipzig aus
dem ac rspos einen Pflasterpo oder ein Pflaster-Depot gemacht. Wie
bei Ortsnamen, so geschieht dies auch bei Personennamen, nur daß es sich bei
diesen nicht so leicht nachweisen läßt wie bei jenen. Das alte Wort Min, viris
----- Freund, Geliebter, das in vielen zusammengesetzten Namen vorkommt, wie
in Atom, Erwin, Winfried, wurde, da es im Laufe der Zeit unverständlich
geworden war, umgedeutet zu Wein in den Namen Frohwein (dro der Herr)
Baldewein (Kalt kühn), Oehlwein (von dem alten uoäs>1 der Besitz). Der be¬
kannte Name Helmholtz hat mit Holz nichts zu thun, sondern ist der Genitiv
von Helmold d. i. Helmwalter; ebenso ist Bierhals, Verholz, Bierholz entstanden
aus der Genitivform von Berold oder Bärwald. Bei dem Namen Wohlfahrt
haben wir weder an Wohl noch an Fahrt zu denken, es ist vielmehr der alte
Name Wolfsart; auf ähnliche Weise ist Wolfram zu Wohlfromm geworden.
Daß Kirschstein aus Christian entstanden sei, wird auf den ersten Blick niemand
glauben, und doch ist es der Fall, wie Umdrehen in seiner interessanten Schrift


Werkstätte unserer Muttersprache, deren Reichthum und schöpferische Kraft auch
hierin unsere Bewunderung erregt, und daneben fällt auch manches Streiflicht
auf die Kulturgeschichte unseres Volkes.

Freilich läßt sich die Frage: Was bedeutet ein Name? leichter aufwerfen
als beantworten. Die Umgestaltung der Wortformen, die sich bei jeder lebenden
Sprache unaufhaltsam vollzieht, hat bei Namen den freiesten Spielraum, und
besonders machen sich hier dialektische Eigenthümlichkeiten geltend. Wenn man
im Vogtlande von Derwich und Feetschgri spricht, so wird der Nicht-Vogt¬
länder schwerlich errathen, daß damit die Dörfer Thierbach und Voigtsgrün
gemeint sind. Während wir aber bei Ortsnamen meist in der glücklichen Lage
sind, in Urkunden und geschichtlichen Ueberlieferungen die ältere Namensform
zu finden, fehlt uns dieses wichtige Hilfsmittel der Erklärung in den meisten
Fällen bei Personennamen. Nur bei wenigen alten Familien lassen sich die
Namensformen glaubwürdig weiter zurückverfolgen, und bei diesen finden wir
dann zuweilen überraschende Umgestaltungen, wie bei dem bekannten Namen
Berlepsch, dessen älteste Form in einer hessischen Urkunde Berahtleibeshuson lautet.

Neben diesen in der Natur der Sprache liegenden Formveränderungen gibt
es noch andere die Erklärung erschwerende Umgestaltungen, die der sogenannten
Volksetymologie ihr Dasein verdanken, d. h. dem Bestreben des Volkes, ein
unverständlich gewordenes Wort sich durch kleine Veränderungen mundgerecht
zu machen, so daß es scheinbar wieder guten Sinn gibt. So heißt ein Jäger¬
haus in der Nähe von Meißen im Volksmnnde Rehbock, während es in Wirk¬
lichkeit den Namen?1g,os as rsxos führt: das unverständliche Fremdwort rsxos
wurde in Rehbock umgewandelt. In andrer Weise hat man in Leipzig aus
dem ac rspos einen Pflasterpo oder ein Pflaster-Depot gemacht. Wie
bei Ortsnamen, so geschieht dies auch bei Personennamen, nur daß es sich bei
diesen nicht so leicht nachweisen läßt wie bei jenen. Das alte Wort Min, viris
----- Freund, Geliebter, das in vielen zusammengesetzten Namen vorkommt, wie
in Atom, Erwin, Winfried, wurde, da es im Laufe der Zeit unverständlich
geworden war, umgedeutet zu Wein in den Namen Frohwein (dro der Herr)
Baldewein (Kalt kühn), Oehlwein (von dem alten uoäs>1 der Besitz). Der be¬
kannte Name Helmholtz hat mit Holz nichts zu thun, sondern ist der Genitiv
von Helmold d. i. Helmwalter; ebenso ist Bierhals, Verholz, Bierholz entstanden
aus der Genitivform von Berold oder Bärwald. Bei dem Namen Wohlfahrt
haben wir weder an Wohl noch an Fahrt zu denken, es ist vielmehr der alte
Name Wolfsart; auf ähnliche Weise ist Wolfram zu Wohlfromm geworden.
Daß Kirschstein aus Christian entstanden sei, wird auf den ersten Blick niemand
glauben, und doch ist es der Fall, wie Umdrehen in seiner interessanten Schrift


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[0329] Werkstätte unserer Muttersprache, deren Reichthum und schöpferische Kraft auch hierin unsere Bewunderung erregt, und daneben fällt auch manches Streiflicht auf die Kulturgeschichte unseres Volkes. Freilich läßt sich die Frage: Was bedeutet ein Name? leichter aufwerfen als beantworten. Die Umgestaltung der Wortformen, die sich bei jeder lebenden Sprache unaufhaltsam vollzieht, hat bei Namen den freiesten Spielraum, und besonders machen sich hier dialektische Eigenthümlichkeiten geltend. Wenn man im Vogtlande von Derwich und Feetschgri spricht, so wird der Nicht-Vogt¬ länder schwerlich errathen, daß damit die Dörfer Thierbach und Voigtsgrün gemeint sind. Während wir aber bei Ortsnamen meist in der glücklichen Lage sind, in Urkunden und geschichtlichen Ueberlieferungen die ältere Namensform zu finden, fehlt uns dieses wichtige Hilfsmittel der Erklärung in den meisten Fällen bei Personennamen. Nur bei wenigen alten Familien lassen sich die Namensformen glaubwürdig weiter zurückverfolgen, und bei diesen finden wir dann zuweilen überraschende Umgestaltungen, wie bei dem bekannten Namen Berlepsch, dessen älteste Form in einer hessischen Urkunde Berahtleibeshuson lautet. Neben diesen in der Natur der Sprache liegenden Formveränderungen gibt es noch andere die Erklärung erschwerende Umgestaltungen, die der sogenannten Volksetymologie ihr Dasein verdanken, d. h. dem Bestreben des Volkes, ein unverständlich gewordenes Wort sich durch kleine Veränderungen mundgerecht zu machen, so daß es scheinbar wieder guten Sinn gibt. So heißt ein Jäger¬ haus in der Nähe von Meißen im Volksmnnde Rehbock, während es in Wirk¬ lichkeit den Namen?1g,os as rsxos führt: das unverständliche Fremdwort rsxos wurde in Rehbock umgewandelt. In andrer Weise hat man in Leipzig aus dem ac rspos einen Pflasterpo oder ein Pflaster-Depot gemacht. Wie bei Ortsnamen, so geschieht dies auch bei Personennamen, nur daß es sich bei diesen nicht so leicht nachweisen läßt wie bei jenen. Das alte Wort Min, viris ----- Freund, Geliebter, das in vielen zusammengesetzten Namen vorkommt, wie in Atom, Erwin, Winfried, wurde, da es im Laufe der Zeit unverständlich geworden war, umgedeutet zu Wein in den Namen Frohwein (dro der Herr) Baldewein (Kalt kühn), Oehlwein (von dem alten uoäs>1 der Besitz). Der be¬ kannte Name Helmholtz hat mit Holz nichts zu thun, sondern ist der Genitiv von Helmold d. i. Helmwalter; ebenso ist Bierhals, Verholz, Bierholz entstanden aus der Genitivform von Berold oder Bärwald. Bei dem Namen Wohlfahrt haben wir weder an Wohl noch an Fahrt zu denken, es ist vielmehr der alte Name Wolfsart; auf ähnliche Weise ist Wolfram zu Wohlfromm geworden. Daß Kirschstein aus Christian entstanden sei, wird auf den ersten Blick niemand glauben, und doch ist es der Fall, wie Umdrehen in seiner interessanten Schrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/329>, abgerufen am 27.11.2024.