Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.Emmendingen "mit dem räthselhaften Gefühl im Herzen, woran die Leidenschaft
Und als er nach fröhlicher Wasserfahrt noch einmal den See von den dahinter-
Am Nachmittage desselben Tages kam er nach Kloster Einsiedeln. Dort be¬ Und nun, eine Woche später, als er auf dem Se. Gotthard stand, da war Grenzboten III. 1879. 42
Emmendingen „mit dem räthselhaften Gefühl im Herzen, woran die Leidenschaft
Und als er nach fröhlicher Wasserfahrt noch einmal den See von den dahinter-
Am Nachmittage desselben Tages kam er nach Kloster Einsiedeln. Dort be¬ Und nun, eine Woche später, als er auf dem Se. Gotthard stand, da war Grenzboten III. 1879. 42
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142824"/> <p xml:id="ID_955" prev="#ID_954"> Emmendingen „mit dem räthselhaften Gefühl im Herzen, woran die Leidenschaft<lb/> sich fortuührt". Auf dem Züricher See entstand am 15. Juni das köstliche<lb/> Lied: „Und frische Nahrung, neues Blut", in dessen mittlerer Strophe plötzlich<lb/> wieder die Erinnerung an Lili auftaucht und die Freude an der Herrlichkeit<lb/> der Natur unterbricht:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <l> Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?<lb/> Goldne Träume, kommt ihr wieder?<lb/> Weg, du Traum, so gold du bist!<lb/> Hier auch Lieb' und Leben ist.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_956"> Und als er nach fröhlicher Wasserfahrt noch einmal den See von den dahinter-<lb/> liegenden Bergen herab überblickte, schrieb er in sein „Gedenkheftchen" die Verse:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_9" type="poem"> <l> Wenn ich, liebe Lili, dich nicht liebte.<lb/> Welche Wonne gab' mir dieser Blick!<lb/> Und doch, wenn ich, Lili, dich-nicht liebte,<lb/> Wär', was wär' mein Glück?</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_957"> Am Nachmittage desselben Tages kam er nach Kloster Einsiedeln. Dort be¬<lb/> trachtete er die alterthümlichen Kostbarkeiten der Klosterkirche. In einem<lb/> Schranke fesselte seine Blicke nnter verschiedenen goldenen Kronen anch eine<lb/> Zackenkrone, „wie man wohl ähnliche auf den Häuptern alterthümlicher<lb/> Königinnen gesehen". „Ich erbat mir die Erlaubniß, das Krönchen hervorzu-<lb/> uehmen, und als ich solches in der Hand anständig haltend in die Höhe hob,<lb/> dacht' ich mir nicht anders, als ich müßte es Lili auf die hellglänzenden<lb/> Locken aufdrücken, sie vor den Spiegel führen und ihre Freude über sich selbst<lb/> und das Glück, das sie verbreitet, gewahr werden."</p><lb/> <p xml:id="ID_958" next="#ID_959"> Und nun, eine Woche später, als er auf dem Se. Gotthard stand, da war<lb/> der 23. Juni — Lili's Geburtstag! Was mögen da für Empfindungen seine<lb/> Brust durchwogt haben! Der Vater hatte ihm bei der Abreise empfohlen,<lb/> „einen Uebergang nach Italien, wie es sich fügen und schicken wollte, nicht zu<lb/> versäumen"! Aber alle Herrlichkeit des Südens, auf die er herabschaute, ver¬<lb/> blich vor dem Glänze des Augenpaares, das nach der Heimat ihn zurückzog.<lb/> „Die Lombardie und Italien lag als ein Fremdes vor mir: Deutschland als<lb/> ein Bekanntes, Liebwerthes, voller freundlichen einheimischen Aussichten, und<lb/> sei es nur gestanden: das, was mich so lange ganz umfangen, meine Existenz<lb/> getragen hatte, blieb auch jetzt das unentbehrlichste Element, aus dessen Grenzen<lb/> zu treten ich mich nicht getraute. Ein goldenes Herzchen, das ich in schönsten<lb/> Stunden von ihr erhalten hatte, hing noch an demselben Bändchen, an welchem<lb/> sie es umknüpfte, lieberwürmt an meinem Halse. Ich faßte es an und küßte<lb/> es." Auch dieser Augenblick ist in einem Gedichte festgehalten. Es sind die<lb/> schönen Strophen: „Angedenken du verklungner Freude." Goethe selber setzt</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1879. 42</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0327]
Emmendingen „mit dem räthselhaften Gefühl im Herzen, woran die Leidenschaft
sich fortuührt". Auf dem Züricher See entstand am 15. Juni das köstliche
Lied: „Und frische Nahrung, neues Blut", in dessen mittlerer Strophe plötzlich
wieder die Erinnerung an Lili auftaucht und die Freude an der Herrlichkeit
der Natur unterbricht:
Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum, so gold du bist!
Hier auch Lieb' und Leben ist.
Und als er nach fröhlicher Wasserfahrt noch einmal den See von den dahinter-
liegenden Bergen herab überblickte, schrieb er in sein „Gedenkheftchen" die Verse:
Wenn ich, liebe Lili, dich nicht liebte.
Welche Wonne gab' mir dieser Blick!
Und doch, wenn ich, Lili, dich-nicht liebte,
Wär', was wär' mein Glück?
Am Nachmittage desselben Tages kam er nach Kloster Einsiedeln. Dort be¬
trachtete er die alterthümlichen Kostbarkeiten der Klosterkirche. In einem
Schranke fesselte seine Blicke nnter verschiedenen goldenen Kronen anch eine
Zackenkrone, „wie man wohl ähnliche auf den Häuptern alterthümlicher
Königinnen gesehen". „Ich erbat mir die Erlaubniß, das Krönchen hervorzu-
uehmen, und als ich solches in der Hand anständig haltend in die Höhe hob,
dacht' ich mir nicht anders, als ich müßte es Lili auf die hellglänzenden
Locken aufdrücken, sie vor den Spiegel führen und ihre Freude über sich selbst
und das Glück, das sie verbreitet, gewahr werden."
Und nun, eine Woche später, als er auf dem Se. Gotthard stand, da war
der 23. Juni — Lili's Geburtstag! Was mögen da für Empfindungen seine
Brust durchwogt haben! Der Vater hatte ihm bei der Abreise empfohlen,
„einen Uebergang nach Italien, wie es sich fügen und schicken wollte, nicht zu
versäumen"! Aber alle Herrlichkeit des Südens, auf die er herabschaute, ver¬
blich vor dem Glänze des Augenpaares, das nach der Heimat ihn zurückzog.
„Die Lombardie und Italien lag als ein Fremdes vor mir: Deutschland als
ein Bekanntes, Liebwerthes, voller freundlichen einheimischen Aussichten, und
sei es nur gestanden: das, was mich so lange ganz umfangen, meine Existenz
getragen hatte, blieb auch jetzt das unentbehrlichste Element, aus dessen Grenzen
zu treten ich mich nicht getraute. Ein goldenes Herzchen, das ich in schönsten
Stunden von ihr erhalten hatte, hing noch an demselben Bändchen, an welchem
sie es umknüpfte, lieberwürmt an meinem Halse. Ich faßte es an und küßte
es." Auch dieser Augenblick ist in einem Gedichte festgehalten. Es sind die
schönen Strophen: „Angedenken du verklungner Freude." Goethe selber setzt
Grenzboten III. 1879. 42
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |