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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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glückten Versuch zu einer Verlobnngsfeier, der dem Zurückgehen einer Ver¬
lobung zum Verwechseln ähnlich sah. Jedenfalls stand Anfang Mai die An¬
gelegenheit für Goethe nicht sehr hoffnungsvoll. Er schreibt an Herder in
diesen Tagen: "Dem Hafen häuslicher Glückseligkeit und festem Fuße in
wahrem Leid und Freud' der Erde wähnt' ich vor kurzem näher zu kommen,
bin aber auf eine leidige Weise wieder hinaus ins weite Meer geworfen."

Die Ursachen, welche eine dauernde Verbindung unmöglich erscheinen ließen,
waren doppelter Art; theils lagen sie in den Verhältnissen, theils in den
Personen. Goethe selbst spricht begreiflicher Weise fast ausschließlich von den
ersteren. "Die Unzulänglichkeit der Mittel -- schreibt er -- die ich zur Er¬
reichung meines Zwecks mit Ernst ergriffen hatte -- er deutet auf die fleißige
Arbeit in seiner Praxis -- konnte ich früher nicht gewahr werden, weil sie
bis auf einen gewissen Punkt zugereicht hatten; nun der Zweck näher heran¬
rückte, wollte es hüben und drüben nicht vollkommen passen .... Mit einiger
Nüchternheit mußte mein Haus, meine häusliche Lage in ihrem ganz Besondern
betrachtet werden. Das Bewußtsein, das Ganze sei auf eine Schwiegertochter
eingerichtet, lag freilich zu Grunde; aber auf ein Frauenzimmer welcher Art
war dabei gerechnet? . . . Betrachtete ich mich in meinem Hause und gedacht'
ich sie hereinzuführen, so schien sie mir nicht zu Passen, wie ich ja schon in
ihren Cirkeln zu erscheinen, um gegen die Tags- und Modemenscheu nicht
abzustechen, meine Kleidung von Zeit zu Zeit verändern, ja wieder verändern
mußte. Das konnte aber doch mit einer häuslichen Einrichtung nicht geschehn,
wo in einem neugebauten, stattlichen Bürgerhause ein nunmehr veralteter
Prunk gleichsam rückwärts die Einrichtung geleitet hatte. So hatte sich auch,
selbst nach dieser gewonnenen Einwilligung, kein Verhältniß der Eltern unter
einander bilden und einleiten können, kein Familienzusammenhang. Andere
Religionsgebräuche, andere Sitten! Und wollte die Liebenswürdige einiger¬
maßen ihre Lebensweise fortsetzen, so fand sie in dem anständig geräumigen
Hause keine Gelegenheit, keinen Raum."

Die Gründe, die Goethe hier entwickelt, haben sicher mitgewirkt. Goethe's
Eltern lebten in sehr auskömmlichen, behaglichen Verhältnissen -- aber was
wollte das sagen gegen den Glanz und das Wohlleben im Schönemann'-
schen Hause? Ohne Zweifel wurden dort Stimmen laut, die eine Verbindung
Lili's mit Goethe für eine Herablassung hielten und deshalb Lili zusetzten,
von Goethe zu lassen. Das entgegengesetzte Gefühl herrschte auf der andern
Seite. Dort hatte man eine gewisse Scheu, mit einer Familie in Verbindung
zu treten, die auf einem weit höheren Fuße zu leben gewohnt war, und drängte
um deswillen den Sohn, sich das Verhältniß aus dem Sinn zu schlagen. Fran
Schönemattn, eine "durchaus praktische Frau", wie der Bruder Lili's sie nennt,


glückten Versuch zu einer Verlobnngsfeier, der dem Zurückgehen einer Ver¬
lobung zum Verwechseln ähnlich sah. Jedenfalls stand Anfang Mai die An¬
gelegenheit für Goethe nicht sehr hoffnungsvoll. Er schreibt an Herder in
diesen Tagen: „Dem Hafen häuslicher Glückseligkeit und festem Fuße in
wahrem Leid und Freud' der Erde wähnt' ich vor kurzem näher zu kommen,
bin aber auf eine leidige Weise wieder hinaus ins weite Meer geworfen."

Die Ursachen, welche eine dauernde Verbindung unmöglich erscheinen ließen,
waren doppelter Art; theils lagen sie in den Verhältnissen, theils in den
Personen. Goethe selbst spricht begreiflicher Weise fast ausschließlich von den
ersteren. „Die Unzulänglichkeit der Mittel — schreibt er — die ich zur Er¬
reichung meines Zwecks mit Ernst ergriffen hatte — er deutet auf die fleißige
Arbeit in seiner Praxis — konnte ich früher nicht gewahr werden, weil sie
bis auf einen gewissen Punkt zugereicht hatten; nun der Zweck näher heran¬
rückte, wollte es hüben und drüben nicht vollkommen passen .... Mit einiger
Nüchternheit mußte mein Haus, meine häusliche Lage in ihrem ganz Besondern
betrachtet werden. Das Bewußtsein, das Ganze sei auf eine Schwiegertochter
eingerichtet, lag freilich zu Grunde; aber auf ein Frauenzimmer welcher Art
war dabei gerechnet? . . . Betrachtete ich mich in meinem Hause und gedacht'
ich sie hereinzuführen, so schien sie mir nicht zu Passen, wie ich ja schon in
ihren Cirkeln zu erscheinen, um gegen die Tags- und Modemenscheu nicht
abzustechen, meine Kleidung von Zeit zu Zeit verändern, ja wieder verändern
mußte. Das konnte aber doch mit einer häuslichen Einrichtung nicht geschehn,
wo in einem neugebauten, stattlichen Bürgerhause ein nunmehr veralteter
Prunk gleichsam rückwärts die Einrichtung geleitet hatte. So hatte sich auch,
selbst nach dieser gewonnenen Einwilligung, kein Verhältniß der Eltern unter
einander bilden und einleiten können, kein Familienzusammenhang. Andere
Religionsgebräuche, andere Sitten! Und wollte die Liebenswürdige einiger¬
maßen ihre Lebensweise fortsetzen, so fand sie in dem anständig geräumigen
Hause keine Gelegenheit, keinen Raum."

Die Gründe, die Goethe hier entwickelt, haben sicher mitgewirkt. Goethe's
Eltern lebten in sehr auskömmlichen, behaglichen Verhältnissen — aber was
wollte das sagen gegen den Glanz und das Wohlleben im Schönemann'-
schen Hause? Ohne Zweifel wurden dort Stimmen laut, die eine Verbindung
Lili's mit Goethe für eine Herablassung hielten und deshalb Lili zusetzten,
von Goethe zu lassen. Das entgegengesetzte Gefühl herrschte auf der andern
Seite. Dort hatte man eine gewisse Scheu, mit einer Familie in Verbindung
zu treten, die auf einem weit höheren Fuße zu leben gewohnt war, und drängte
um deswillen den Sohn, sich das Verhältniß aus dem Sinn zu schlagen. Fran
Schönemattn, eine „durchaus praktische Frau", wie der Bruder Lili's sie nennt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/323>, abgerufen am 01.09.2024.