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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Der Sturz Khereddin Mscha's.

Ministerwechsel sind bekanntlich in Konstantinopel keine Seltenheit. Selten
jedoch ist einer von so einschneidender Bedeutung gewesen wie derjenige, der
sich Montag, den 28. Juli in den Morgenstunden vollzogen hat. Der letzte
Großwesir hat, und das unterscheidet ihn von den meisten seiner Vorgänger
und muthmaßlich auch von seinem nunmehrigen Nachfolger, ein eigentliches
Politisches Programm besessen. Was man auch über den moralischen Werth
und über die staatsmännische Kapazität Khereddin Pascha's denken mag, das
eine steht unumstößlich fest, daß er genau wußte, was er wollte, und mit
anerkennenswerther Thatkraft den von ihm ins Auge gefaßten Zielen zustrebte.
Namentlich in persönlichen Fragen kannte er keine Rücksichten, und Niemand
hat weniger als er sich herbeigelassen, seinen Gegnern, wenn auch nur vor¬
übergehend, Konzessionen zu machen. Wenn aber auf der einen Seite dies
unbestreitbar seine Stärke ausmachte, so bestand zugleich eben darin seine sicht¬
barste Schwäche.

Unter den allen Neuerungen im Grunde des Herzens überwiegend abge¬
neigten türkischen Großen -- die Ausnahmen sind an den Fingern herzu¬
zählen -- hat noch kein osmanischer Großwesir jemals so nachdrücklich aufzu¬
räumen verstanden wie dieser allerjüngst zu Falle gekommene. Dies wird sein
dauerndes, wenn auch von wenigen Folgen begleitetes Verdienst bleiben und
seinen Anspruch auf eine dankbare Erinnerung begründen. Ob diese in einer
späteren Epoche ihm einmal zu Statten kommen und unter Beihilfe auswär¬
tigen Einflusses zum Anlaß seiner Neubernfung werden wird, wollen wir hier
unerörtert lassen; gleich den Geschicken des osmanischen Reiches selber sind die¬
jenigen seiner Staatsmänner unberechenbar.

Die nächsten Absichten Khereddin Pascha's bei Uebernahme der Regie¬
rung am 3. Dezember 1878 liefen auf nichts Geringeres hinaus, als darauf,
alle diejenigen Männer aus der Hauptstadt und damit zugleich aus der Um¬
gebung des Sultans zu entfernen, von denen er betreffs seiner Reformpläne


Grenzboten III. 1879. 39
Der Sturz Khereddin Mscha's.

Ministerwechsel sind bekanntlich in Konstantinopel keine Seltenheit. Selten
jedoch ist einer von so einschneidender Bedeutung gewesen wie derjenige, der
sich Montag, den 28. Juli in den Morgenstunden vollzogen hat. Der letzte
Großwesir hat, und das unterscheidet ihn von den meisten seiner Vorgänger
und muthmaßlich auch von seinem nunmehrigen Nachfolger, ein eigentliches
Politisches Programm besessen. Was man auch über den moralischen Werth
und über die staatsmännische Kapazität Khereddin Pascha's denken mag, das
eine steht unumstößlich fest, daß er genau wußte, was er wollte, und mit
anerkennenswerther Thatkraft den von ihm ins Auge gefaßten Zielen zustrebte.
Namentlich in persönlichen Fragen kannte er keine Rücksichten, und Niemand
hat weniger als er sich herbeigelassen, seinen Gegnern, wenn auch nur vor¬
übergehend, Konzessionen zu machen. Wenn aber auf der einen Seite dies
unbestreitbar seine Stärke ausmachte, so bestand zugleich eben darin seine sicht¬
barste Schwäche.

Unter den allen Neuerungen im Grunde des Herzens überwiegend abge¬
neigten türkischen Großen — die Ausnahmen sind an den Fingern herzu¬
zählen — hat noch kein osmanischer Großwesir jemals so nachdrücklich aufzu¬
räumen verstanden wie dieser allerjüngst zu Falle gekommene. Dies wird sein
dauerndes, wenn auch von wenigen Folgen begleitetes Verdienst bleiben und
seinen Anspruch auf eine dankbare Erinnerung begründen. Ob diese in einer
späteren Epoche ihm einmal zu Statten kommen und unter Beihilfe auswär¬
tigen Einflusses zum Anlaß seiner Neubernfung werden wird, wollen wir hier
unerörtert lassen; gleich den Geschicken des osmanischen Reiches selber sind die¬
jenigen seiner Staatsmänner unberechenbar.

Die nächsten Absichten Khereddin Pascha's bei Uebernahme der Regie¬
rung am 3. Dezember 1878 liefen auf nichts Geringeres hinaus, als darauf,
alle diejenigen Männer aus der Hauptstadt und damit zugleich aus der Um¬
gebung des Sultans zu entfernen, von denen er betreffs seiner Reformpläne


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[0303] Der Sturz Khereddin Mscha's. Ministerwechsel sind bekanntlich in Konstantinopel keine Seltenheit. Selten jedoch ist einer von so einschneidender Bedeutung gewesen wie derjenige, der sich Montag, den 28. Juli in den Morgenstunden vollzogen hat. Der letzte Großwesir hat, und das unterscheidet ihn von den meisten seiner Vorgänger und muthmaßlich auch von seinem nunmehrigen Nachfolger, ein eigentliches Politisches Programm besessen. Was man auch über den moralischen Werth und über die staatsmännische Kapazität Khereddin Pascha's denken mag, das eine steht unumstößlich fest, daß er genau wußte, was er wollte, und mit anerkennenswerther Thatkraft den von ihm ins Auge gefaßten Zielen zustrebte. Namentlich in persönlichen Fragen kannte er keine Rücksichten, und Niemand hat weniger als er sich herbeigelassen, seinen Gegnern, wenn auch nur vor¬ übergehend, Konzessionen zu machen. Wenn aber auf der einen Seite dies unbestreitbar seine Stärke ausmachte, so bestand zugleich eben darin seine sicht¬ barste Schwäche. Unter den allen Neuerungen im Grunde des Herzens überwiegend abge¬ neigten türkischen Großen — die Ausnahmen sind an den Fingern herzu¬ zählen — hat noch kein osmanischer Großwesir jemals so nachdrücklich aufzu¬ räumen verstanden wie dieser allerjüngst zu Falle gekommene. Dies wird sein dauerndes, wenn auch von wenigen Folgen begleitetes Verdienst bleiben und seinen Anspruch auf eine dankbare Erinnerung begründen. Ob diese in einer späteren Epoche ihm einmal zu Statten kommen und unter Beihilfe auswär¬ tigen Einflusses zum Anlaß seiner Neubernfung werden wird, wollen wir hier unerörtert lassen; gleich den Geschicken des osmanischen Reiches selber sind die¬ jenigen seiner Staatsmänner unberechenbar. Die nächsten Absichten Khereddin Pascha's bei Uebernahme der Regie¬ rung am 3. Dezember 1878 liefen auf nichts Geringeres hinaus, als darauf, alle diejenigen Männer aus der Hauptstadt und damit zugleich aus der Um¬ gebung des Sultans zu entfernen, von denen er betreffs seiner Reformpläne Grenzboten III. 1879. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/303>, abgerufen am 27.11.2024.