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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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erhalten? Antwort: Er todte sich selbst, d. h. er befleißige sich der Enthalt¬
samkeit. 6.) Was muß der Mensch thun, um zu sterben? Antwort: Erhänge
der Wollust nach. 7.) Was muß der Mensch thun, um sich beliebt zu machen?
Antwort: Er hasse König und Herrscher. Nicht so, hielt Alexander ein, ich
habe eine bessere Antwort: Er liebe König und Herrscher und erweise allen
Menschen Gutes. 8.) Wo lebt sich's besser, zu Lande oder auf dem Wasser?
Antwort: Zu Lande, denn alle Seefahrer sind nicht eher beruhigt, als bis
sie an's Land steigen. 9.) Wer ist von euch der Weiseste? Antwort: Wir
alle sind gleich, denn wir haben alle einen und denselben Bescheid gegeben.
10.) Warum sträubt ihr euch gegen mich? Antwort: Das ist das Werk des
Satans. Wenn ich euch nun umbringen lasse? Die Macht dazu hast du
wohl, aber ein König darf nicht lügen.*) Alexander befahl endlich, die Alten
in Purpur zu kleiden und jedem eine goldene Kette um den Hals zu legen.
Zehn solcher Fragen gedenkt auch Plutarch in seiner Biographie Alexander's.
Nach Plutarch hatte Alexander in Indien von den Maklern eine empfindliche
Niederlage erlitten, die ihm beinahe das Leben gekostet hätte. Um diese Zeit
bekam er zehn Gymnosophisten zu Gefangenen, die den Makedonien: großen
Schaden zugefügt hatten. Da diese wegen ihren kurzen und scharfsinnigen
Antworten berühmt waren, so legte ihnen Alexander sehr verfängliche Fragen
vor. Der erste wurde gefragt, ob der Lebenden oder der Todten mehr wären,
und er gab zur Antwort: Der Lebenden, denn die Todten sind nicht mehr. Der
zweite wurde gefragt, ob die Erde oder das Meer größere Thiere ernähre,
und er gab zur Antwort: Die Erde, denn das Meer ist ein Theil von der
Erde. Die Frage, welche an den dritten gestellt wurde, lautete: Welches ist
das listigste Thier? und er gab zur Antwort: Dasjenige, welches den Menschen
bis auf diesen Tag unbekannt geblieben ist. Die Frage an den vierten lautete,
aus was für Gründen er den Sabbas zum Abfall beredet habe, und er ant¬
wortete: Ich wollte, daß er entweder mit Ehren leben oder auf elende Art
sterben sollte. Der fünfte wurde gefragt, ob der Tag oder die Nacht eher ge¬
wesen wäre, und er antwortete: Der Tag, der um einen Tag vor der Nacht
vorhergegangen ist. Als diese Antwort dem König sonderbar vorkam, fügte er
hinzu: Auf konfuse Fragen müssen konfuse Antworten folgen. Der sechste
wurde gefragt: Wie kann sich einer am meisten Gunst und Liebe erwerben?
und er antwortete: Wenn derjenige, welcher die größte Macht besitzt, nicht
furchtbar ist. Der siebente gab auf die Frage, wie einer aus einem Menschen



Darnach ist anzunehmen, daß Alexander vor der Unterredung den Alten das Ver¬
sprechen gegeben, sie nicht zu tiidten, wenn sie auch die eine oder andre Antwort nicht nach
seinem Sinne beantworten sollten.
Grenzboten III. 1879. 36

erhalten? Antwort: Er todte sich selbst, d. h. er befleißige sich der Enthalt¬
samkeit. 6.) Was muß der Mensch thun, um zu sterben? Antwort: Erhänge
der Wollust nach. 7.) Was muß der Mensch thun, um sich beliebt zu machen?
Antwort: Er hasse König und Herrscher. Nicht so, hielt Alexander ein, ich
habe eine bessere Antwort: Er liebe König und Herrscher und erweise allen
Menschen Gutes. 8.) Wo lebt sich's besser, zu Lande oder auf dem Wasser?
Antwort: Zu Lande, denn alle Seefahrer sind nicht eher beruhigt, als bis
sie an's Land steigen. 9.) Wer ist von euch der Weiseste? Antwort: Wir
alle sind gleich, denn wir haben alle einen und denselben Bescheid gegeben.
10.) Warum sträubt ihr euch gegen mich? Antwort: Das ist das Werk des
Satans. Wenn ich euch nun umbringen lasse? Die Macht dazu hast du
wohl, aber ein König darf nicht lügen.*) Alexander befahl endlich, die Alten
in Purpur zu kleiden und jedem eine goldene Kette um den Hals zu legen.
Zehn solcher Fragen gedenkt auch Plutarch in seiner Biographie Alexander's.
Nach Plutarch hatte Alexander in Indien von den Maklern eine empfindliche
Niederlage erlitten, die ihm beinahe das Leben gekostet hätte. Um diese Zeit
bekam er zehn Gymnosophisten zu Gefangenen, die den Makedonien: großen
Schaden zugefügt hatten. Da diese wegen ihren kurzen und scharfsinnigen
Antworten berühmt waren, so legte ihnen Alexander sehr verfängliche Fragen
vor. Der erste wurde gefragt, ob der Lebenden oder der Todten mehr wären,
und er gab zur Antwort: Der Lebenden, denn die Todten sind nicht mehr. Der
zweite wurde gefragt, ob die Erde oder das Meer größere Thiere ernähre,
und er gab zur Antwort: Die Erde, denn das Meer ist ein Theil von der
Erde. Die Frage, welche an den dritten gestellt wurde, lautete: Welches ist
das listigste Thier? und er gab zur Antwort: Dasjenige, welches den Menschen
bis auf diesen Tag unbekannt geblieben ist. Die Frage an den vierten lautete,
aus was für Gründen er den Sabbas zum Abfall beredet habe, und er ant¬
wortete: Ich wollte, daß er entweder mit Ehren leben oder auf elende Art
sterben sollte. Der fünfte wurde gefragt, ob der Tag oder die Nacht eher ge¬
wesen wäre, und er antwortete: Der Tag, der um einen Tag vor der Nacht
vorhergegangen ist. Als diese Antwort dem König sonderbar vorkam, fügte er
hinzu: Auf konfuse Fragen müssen konfuse Antworten folgen. Der sechste
wurde gefragt: Wie kann sich einer am meisten Gunst und Liebe erwerben?
und er antwortete: Wenn derjenige, welcher die größte Macht besitzt, nicht
furchtbar ist. Der siebente gab auf die Frage, wie einer aus einem Menschen



Darnach ist anzunehmen, daß Alexander vor der Unterredung den Alten das Ver¬
sprechen gegeben, sie nicht zu tiidten, wenn sie auch die eine oder andre Antwort nicht nach
seinem Sinne beantworten sollten.
Grenzboten III. 1879. 36
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[0279] erhalten? Antwort: Er todte sich selbst, d. h. er befleißige sich der Enthalt¬ samkeit. 6.) Was muß der Mensch thun, um zu sterben? Antwort: Erhänge der Wollust nach. 7.) Was muß der Mensch thun, um sich beliebt zu machen? Antwort: Er hasse König und Herrscher. Nicht so, hielt Alexander ein, ich habe eine bessere Antwort: Er liebe König und Herrscher und erweise allen Menschen Gutes. 8.) Wo lebt sich's besser, zu Lande oder auf dem Wasser? Antwort: Zu Lande, denn alle Seefahrer sind nicht eher beruhigt, als bis sie an's Land steigen. 9.) Wer ist von euch der Weiseste? Antwort: Wir alle sind gleich, denn wir haben alle einen und denselben Bescheid gegeben. 10.) Warum sträubt ihr euch gegen mich? Antwort: Das ist das Werk des Satans. Wenn ich euch nun umbringen lasse? Die Macht dazu hast du wohl, aber ein König darf nicht lügen.*) Alexander befahl endlich, die Alten in Purpur zu kleiden und jedem eine goldene Kette um den Hals zu legen. Zehn solcher Fragen gedenkt auch Plutarch in seiner Biographie Alexander's. Nach Plutarch hatte Alexander in Indien von den Maklern eine empfindliche Niederlage erlitten, die ihm beinahe das Leben gekostet hätte. Um diese Zeit bekam er zehn Gymnosophisten zu Gefangenen, die den Makedonien: großen Schaden zugefügt hatten. Da diese wegen ihren kurzen und scharfsinnigen Antworten berühmt waren, so legte ihnen Alexander sehr verfängliche Fragen vor. Der erste wurde gefragt, ob der Lebenden oder der Todten mehr wären, und er gab zur Antwort: Der Lebenden, denn die Todten sind nicht mehr. Der zweite wurde gefragt, ob die Erde oder das Meer größere Thiere ernähre, und er gab zur Antwort: Die Erde, denn das Meer ist ein Theil von der Erde. Die Frage, welche an den dritten gestellt wurde, lautete: Welches ist das listigste Thier? und er gab zur Antwort: Dasjenige, welches den Menschen bis auf diesen Tag unbekannt geblieben ist. Die Frage an den vierten lautete, aus was für Gründen er den Sabbas zum Abfall beredet habe, und er ant¬ wortete: Ich wollte, daß er entweder mit Ehren leben oder auf elende Art sterben sollte. Der fünfte wurde gefragt, ob der Tag oder die Nacht eher ge¬ wesen wäre, und er antwortete: Der Tag, der um einen Tag vor der Nacht vorhergegangen ist. Als diese Antwort dem König sonderbar vorkam, fügte er hinzu: Auf konfuse Fragen müssen konfuse Antworten folgen. Der sechste wurde gefragt: Wie kann sich einer am meisten Gunst und Liebe erwerben? und er antwortete: Wenn derjenige, welcher die größte Macht besitzt, nicht furchtbar ist. Der siebente gab auf die Frage, wie einer aus einem Menschen Darnach ist anzunehmen, daß Alexander vor der Unterredung den Alten das Ver¬ sprechen gegeben, sie nicht zu tiidten, wenn sie auch die eine oder andre Antwort nicht nach seinem Sinne beantworten sollten. Grenzboten III. 1879. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/279>, abgerufen am 24.11.2024.