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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Schriften verantwortlich, die aus jenem Kreise hervorgingen. Die Wolffianer
tadelten seine Ungründlichkeit, sein desultorisches Wesen, die Historiker vom alten
Schlage die respektwidrige Ausdrucksweise gegen alle anerkannten Autoritäten.
Man fühlte in ihm eine Macht, deren Einwirkung man fürchten müsse.
Rousseau war der Leidende, der Verfolgte; der sympathische Zug für seine
Ueberzeugungen und Träume wurde verstärkt durch das Mitgefühl für sein
Schicksal. Kaum war der "Emile" erschienen, so begann in Deutschland eine
fluthende Bewegung, die Menschheit dadurch zu verjüngen, daß man die Kinder
dem Einfluß der Zivilisation entriß und sie ans dem angeblichen Boden der
Natur durch freie Entwickelung ihrer Instinkte erzog.

Rousseau's Paradoxieen fanden das deutsche Publikum nicht ganz un¬
vorbereitet. Die leidenschaftliche Sophistik der "Neuen Heloise" hätte nicht so
gezündet, wenn nicht lange vorher Klop stock in seinen Oden an Fanny die
Heiligkeit des erhöhten Liebesgefühls gepredigt hätte. Auch Deutschland sehnte
sich aus dem mechanischen Treiben der gelehrten Schulen heraus, es wollte
wenigstens das Kind in die freie Natur führen, die dem Gebildeten versagt
blieb. Auch hier begegnete sich der französische Philosoph mit dem deutschen
Dichter, welcher Eislauf und Baden im Freien mit der Ueberzeugung eines
Apostels predigte. Bei allem Ueberschwang seiner religiösen Deklamation hätte
selbst Ki op stock gegen den Savoyischen Vikar nicht viel einzuwenden gehabt.

Doch fehlte es auch nicht an Widerspruch. Justus Möser hatte vor
zwölf Jahren, bald nach Voltaire's Ankunft in Berlin, gegen diesen in
einem französischen Briefe die Reformation vertheidigt. Freilich sei Luther
uicht ohne Leidenschaft: aber "ssux <^i ssvsiit äistinAusr 1s viss as 1s, xs.s-
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Menschen müßten sein Andenken segnen, weil sie der Aufhebung der Klöster
verdanken, daß sie überhaupt auf der Welt feien.

Nun wandte er sich gegen Rousseau. Am 2. November 1762 erließ
er ein "Schreiben an den Herrn Vicar in Savoyen, abzugeben bei Herrn
Rousseau." Da heißt es: "Sie haben vermuthlich längst bemerkt, daß die
positive Religion meist mit den bürgerlichen Gesellschaften ihren Anfang ge-


Grenzboten III. 1S7S. 36

Schriften verantwortlich, die aus jenem Kreise hervorgingen. Die Wolffianer
tadelten seine Ungründlichkeit, sein desultorisches Wesen, die Historiker vom alten
Schlage die respektwidrige Ausdrucksweise gegen alle anerkannten Autoritäten.
Man fühlte in ihm eine Macht, deren Einwirkung man fürchten müsse.
Rousseau war der Leidende, der Verfolgte; der sympathische Zug für seine
Ueberzeugungen und Träume wurde verstärkt durch das Mitgefühl für sein
Schicksal. Kaum war der „Emile" erschienen, so begann in Deutschland eine
fluthende Bewegung, die Menschheit dadurch zu verjüngen, daß man die Kinder
dem Einfluß der Zivilisation entriß und sie ans dem angeblichen Boden der
Natur durch freie Entwickelung ihrer Instinkte erzog.

Rousseau's Paradoxieen fanden das deutsche Publikum nicht ganz un¬
vorbereitet. Die leidenschaftliche Sophistik der „Neuen Heloise" hätte nicht so
gezündet, wenn nicht lange vorher Klop stock in seinen Oden an Fanny die
Heiligkeit des erhöhten Liebesgefühls gepredigt hätte. Auch Deutschland sehnte
sich aus dem mechanischen Treiben der gelehrten Schulen heraus, es wollte
wenigstens das Kind in die freie Natur führen, die dem Gebildeten versagt
blieb. Auch hier begegnete sich der französische Philosoph mit dem deutschen
Dichter, welcher Eislauf und Baden im Freien mit der Ueberzeugung eines
Apostels predigte. Bei allem Ueberschwang seiner religiösen Deklamation hätte
selbst Ki op stock gegen den Savoyischen Vikar nicht viel einzuwenden gehabt.

Doch fehlte es auch nicht an Widerspruch. Justus Möser hatte vor
zwölf Jahren, bald nach Voltaire's Ankunft in Berlin, gegen diesen in
einem französischen Briefe die Reformation vertheidigt. Freilich sei Luther
uicht ohne Leidenschaft: aber „ssux <^i ssvsiit äistinAusr 1s viss as 1s, xs.s-
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Menschen müßten sein Andenken segnen, weil sie der Aufhebung der Klöster
verdanken, daß sie überhaupt auf der Welt feien.

Nun wandte er sich gegen Rousseau. Am 2. November 1762 erließ
er ein „Schreiben an den Herrn Vicar in Savoyen, abzugeben bei Herrn
Rousseau." Da heißt es: „Sie haben vermuthlich längst bemerkt, daß die
positive Religion meist mit den bürgerlichen Gesellschaften ihren Anfang ge-


Grenzboten III. 1S7S. 36
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[0271] Schriften verantwortlich, die aus jenem Kreise hervorgingen. Die Wolffianer tadelten seine Ungründlichkeit, sein desultorisches Wesen, die Historiker vom alten Schlage die respektwidrige Ausdrucksweise gegen alle anerkannten Autoritäten. Man fühlte in ihm eine Macht, deren Einwirkung man fürchten müsse. Rousseau war der Leidende, der Verfolgte; der sympathische Zug für seine Ueberzeugungen und Träume wurde verstärkt durch das Mitgefühl für sein Schicksal. Kaum war der „Emile" erschienen, so begann in Deutschland eine fluthende Bewegung, die Menschheit dadurch zu verjüngen, daß man die Kinder dem Einfluß der Zivilisation entriß und sie ans dem angeblichen Boden der Natur durch freie Entwickelung ihrer Instinkte erzog. Rousseau's Paradoxieen fanden das deutsche Publikum nicht ganz un¬ vorbereitet. Die leidenschaftliche Sophistik der „Neuen Heloise" hätte nicht so gezündet, wenn nicht lange vorher Klop stock in seinen Oden an Fanny die Heiligkeit des erhöhten Liebesgefühls gepredigt hätte. Auch Deutschland sehnte sich aus dem mechanischen Treiben der gelehrten Schulen heraus, es wollte wenigstens das Kind in die freie Natur führen, die dem Gebildeten versagt blieb. Auch hier begegnete sich der französische Philosoph mit dem deutschen Dichter, welcher Eislauf und Baden im Freien mit der Ueberzeugung eines Apostels predigte. Bei allem Ueberschwang seiner religiösen Deklamation hätte selbst Ki op stock gegen den Savoyischen Vikar nicht viel einzuwenden gehabt. Doch fehlte es auch nicht an Widerspruch. Justus Möser hatte vor zwölf Jahren, bald nach Voltaire's Ankunft in Berlin, gegen diesen in einem französischen Briefe die Reformation vertheidigt. Freilich sei Luther uicht ohne Leidenschaft: aber „ssux <^i ssvsiit äistinAusr 1s viss as 1s, xs.s- siso,, 6on,t Iss irwuvswsnts eontrsirss sur hö vssts oess.ii fort ass vsuts nsossssirss, svQt visu xsrsnsäss qus l'lwmras SMS Zession N.S ssrs Mnsis AIANÄ dorllins. I^utKsr Sohn 1s eozur U'S.RA, mivsrt, lidvrs.1 se eora- xstissemt an ins.1d.sui' als son xroslisiii: hö. sonvsrss,tior> oth.it sirjouss; son dumsur vivs, öff rsxli^usf lisnrsusss se tortss, se öff xroxos as tsbls kort äivsrtisssuts; it msuZss disn se xrssc^us to^ours su eoMxsAQis: — SQ Kr,, o'vehit t1>so1oA'isii c^ni xonvs.it Sö wontrsr äsus 1s fissis oil nous somiQss ssus ksirs ron^ir öff eoritrsrss." Zehn Millionen vernünftiger Menschen müßten sein Andenken segnen, weil sie der Aufhebung der Klöster verdanken, daß sie überhaupt auf der Welt feien. Nun wandte er sich gegen Rousseau. Am 2. November 1762 erließ er ein „Schreiben an den Herrn Vicar in Savoyen, abzugeben bei Herrn Rousseau." Da heißt es: „Sie haben vermuthlich längst bemerkt, daß die positive Religion meist mit den bürgerlichen Gesellschaften ihren Anfang ge- Grenzboten III. 1S7S. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/271>, abgerufen am 23.11.2024.