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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Rang: die deutsche Literatur würde er nicht beherrscht haben, wenn ihn nicht
die leidenschaftliche Liebe zur Schönheit verzehrt hätte.

Die Bibel führte Hamann auf den Orient, als eine Erweiterung des
poetischen Horizonts gegen die einseitige europäisch-klassische Anschauung: er
studirte neben dem Hebräischen auch das Arabische. Gleichzeitig machte
Michaelis in Göttingen in der "Erklärung des Hebräerbriefs" ans die eigen¬
artige historische Farbe des Morgenlandes aufmerksam.

"Selbst der unsterbliche Voltaire," schreibt Hamann, "erklärt die Re¬
ligion beinahe für den Eckstein der epischen Dichtkunst, und beklagt nichts mehr,
als daß seine Religion das Widerspiel der Mythologie sei . . . Jetzt sagt
man freilich: Mythologie hin, Mythologie her! Newton's und Buffon's Offen¬
barungen werden doch wohl eine abgeschmackte Fabellehre vertreten können! --
Freilich sollten sie es thun; warum geschieht es denn nicht? -- Weil es un¬
möglich ist."

"Die Freunde der Mythologie weisen uns immer nur auf die Alten.
Warum bleibt man aber bei den durchlöcherten Brunnen der Griechen stehen?
die wir bis zur Abgötterei bewundern! -- Wallfahrten nach Arabien, Kreuz¬
züge nach dem Morgenland würden uns zur Magie der Natur zurückführen ...
Du, der du den Himmel zerrissest und herabfuhrst! Laß neue Irrlichter im
Morgenland aufgehn! Laß den Vorwitz ihrer Weisen durch neue Sterne er¬
weckt werden, uns ihre Schätze selbst ins Land zu führen."

Wenn Hamann gegen den Vernunftglanben eifert, so thut er das nicht
aus einem tiefen religiösen Drange, sondern als Historiker. Die Rationalisten
versuchten, Christus und Mohammed, Moses und Sokrates, die Propheten und
Apostel, wenn nicht gerade in die Tracht des gebildeten Europäers von 1762,
so doch in den Talar des großen Philosophen Mendelssohn zu kleiden; sie
gingen nicht soweit, ihnen den Bart zu scheeren und ihnen eine Perrücke auf¬
zusetzen, aber sie liehen ihnen Gedanken und Empfindungen, die dem gebildeten
Berliner verständlich waren. Gegen diese Modernisirung historischer Gestalten
hatte Hamann einen nervösen Haß und wußte für diesen die härtesten Worte
zu finden.

War man in Berlin mit den "Denkwürdigkeiten des Sokrates" noch ziem¬
lich säuberlich umgegangen, so wurden die "Kreuzzüge" durchweg verurtheilt.
"Ich habe einen Schriftsteller vor mir," schreibt Mendelssohn, "der eine feine
Beurtheilungskraft besitzt, viel gelesen und verdaut hat, Funken von Genie
zeigt und den Kern und Nachdruck der deutschen Sprache in seiner Gewalt
hat, der also einer unsrer besten Schriftsteller hätte^ werden können, aber durch
die Begierde, ein Original zu sein, verführt, einer der tadelhaftesten Schrift¬
steller geworden ist. -- Die in den Soldatischen Denkwürdigkeiten hie und da


Rang: die deutsche Literatur würde er nicht beherrscht haben, wenn ihn nicht
die leidenschaftliche Liebe zur Schönheit verzehrt hätte.

Die Bibel führte Hamann auf den Orient, als eine Erweiterung des
poetischen Horizonts gegen die einseitige europäisch-klassische Anschauung: er
studirte neben dem Hebräischen auch das Arabische. Gleichzeitig machte
Michaelis in Göttingen in der „Erklärung des Hebräerbriefs" ans die eigen¬
artige historische Farbe des Morgenlandes aufmerksam.

„Selbst der unsterbliche Voltaire," schreibt Hamann, „erklärt die Re¬
ligion beinahe für den Eckstein der epischen Dichtkunst, und beklagt nichts mehr,
als daß seine Religion das Widerspiel der Mythologie sei . . . Jetzt sagt
man freilich: Mythologie hin, Mythologie her! Newton's und Buffon's Offen¬
barungen werden doch wohl eine abgeschmackte Fabellehre vertreten können! —
Freilich sollten sie es thun; warum geschieht es denn nicht? — Weil es un¬
möglich ist."

„Die Freunde der Mythologie weisen uns immer nur auf die Alten.
Warum bleibt man aber bei den durchlöcherten Brunnen der Griechen stehen?
die wir bis zur Abgötterei bewundern! — Wallfahrten nach Arabien, Kreuz¬
züge nach dem Morgenland würden uns zur Magie der Natur zurückführen ...
Du, der du den Himmel zerrissest und herabfuhrst! Laß neue Irrlichter im
Morgenland aufgehn! Laß den Vorwitz ihrer Weisen durch neue Sterne er¬
weckt werden, uns ihre Schätze selbst ins Land zu führen."

Wenn Hamann gegen den Vernunftglanben eifert, so thut er das nicht
aus einem tiefen religiösen Drange, sondern als Historiker. Die Rationalisten
versuchten, Christus und Mohammed, Moses und Sokrates, die Propheten und
Apostel, wenn nicht gerade in die Tracht des gebildeten Europäers von 1762,
so doch in den Talar des großen Philosophen Mendelssohn zu kleiden; sie
gingen nicht soweit, ihnen den Bart zu scheeren und ihnen eine Perrücke auf¬
zusetzen, aber sie liehen ihnen Gedanken und Empfindungen, die dem gebildeten
Berliner verständlich waren. Gegen diese Modernisirung historischer Gestalten
hatte Hamann einen nervösen Haß und wußte für diesen die härtesten Worte
zu finden.

War man in Berlin mit den „Denkwürdigkeiten des Sokrates" noch ziem¬
lich säuberlich umgegangen, so wurden die „Kreuzzüge" durchweg verurtheilt.
„Ich habe einen Schriftsteller vor mir," schreibt Mendelssohn, „der eine feine
Beurtheilungskraft besitzt, viel gelesen und verdaut hat, Funken von Genie
zeigt und den Kern und Nachdruck der deutschen Sprache in seiner Gewalt
hat, der also einer unsrer besten Schriftsteller hätte^ werden können, aber durch
die Begierde, ein Original zu sein, verführt, einer der tadelhaftesten Schrift¬
steller geworden ist. — Die in den Soldatischen Denkwürdigkeiten hie und da


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[0266] Rang: die deutsche Literatur würde er nicht beherrscht haben, wenn ihn nicht die leidenschaftliche Liebe zur Schönheit verzehrt hätte. Die Bibel führte Hamann auf den Orient, als eine Erweiterung des poetischen Horizonts gegen die einseitige europäisch-klassische Anschauung: er studirte neben dem Hebräischen auch das Arabische. Gleichzeitig machte Michaelis in Göttingen in der „Erklärung des Hebräerbriefs" ans die eigen¬ artige historische Farbe des Morgenlandes aufmerksam. „Selbst der unsterbliche Voltaire," schreibt Hamann, „erklärt die Re¬ ligion beinahe für den Eckstein der epischen Dichtkunst, und beklagt nichts mehr, als daß seine Religion das Widerspiel der Mythologie sei . . . Jetzt sagt man freilich: Mythologie hin, Mythologie her! Newton's und Buffon's Offen¬ barungen werden doch wohl eine abgeschmackte Fabellehre vertreten können! — Freilich sollten sie es thun; warum geschieht es denn nicht? — Weil es un¬ möglich ist." „Die Freunde der Mythologie weisen uns immer nur auf die Alten. Warum bleibt man aber bei den durchlöcherten Brunnen der Griechen stehen? die wir bis zur Abgötterei bewundern! — Wallfahrten nach Arabien, Kreuz¬ züge nach dem Morgenland würden uns zur Magie der Natur zurückführen ... Du, der du den Himmel zerrissest und herabfuhrst! Laß neue Irrlichter im Morgenland aufgehn! Laß den Vorwitz ihrer Weisen durch neue Sterne er¬ weckt werden, uns ihre Schätze selbst ins Land zu führen." Wenn Hamann gegen den Vernunftglanben eifert, so thut er das nicht aus einem tiefen religiösen Drange, sondern als Historiker. Die Rationalisten versuchten, Christus und Mohammed, Moses und Sokrates, die Propheten und Apostel, wenn nicht gerade in die Tracht des gebildeten Europäers von 1762, so doch in den Talar des großen Philosophen Mendelssohn zu kleiden; sie gingen nicht soweit, ihnen den Bart zu scheeren und ihnen eine Perrücke auf¬ zusetzen, aber sie liehen ihnen Gedanken und Empfindungen, die dem gebildeten Berliner verständlich waren. Gegen diese Modernisirung historischer Gestalten hatte Hamann einen nervösen Haß und wußte für diesen die härtesten Worte zu finden. War man in Berlin mit den „Denkwürdigkeiten des Sokrates" noch ziem¬ lich säuberlich umgegangen, so wurden die „Kreuzzüge" durchweg verurtheilt. „Ich habe einen Schriftsteller vor mir," schreibt Mendelssohn, „der eine feine Beurtheilungskraft besitzt, viel gelesen und verdaut hat, Funken von Genie zeigt und den Kern und Nachdruck der deutschen Sprache in seiner Gewalt hat, der also einer unsrer besten Schriftsteller hätte^ werden können, aber durch die Begierde, ein Original zu sein, verführt, einer der tadelhaftesten Schrift¬ steller geworden ist. — Die in den Soldatischen Denkwürdigkeiten hie und da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/266>, abgerufen am 01.09.2024.