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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Bauern löschten mit Stroh, der Käse und das Brod aßen die Buben, die Hunde
wurden von den Hasen gefangen, Hühner und Gänse stellten den Füchsen und Mardern
nach, singen sie und fraßen sie auf." An einer andern Stelle begegnet ihm ein "hübscher,
schwacher, grauer, junger, blöder, alter, schöner, hurtiger Mann, der an einer Krücke
tanzt, ein Bärtchen mit Schindeln gedeckt trägt, ein Badstüblein auf der Nase und an
eineni Zahn eine Warze hat, an einem Ohre hinkt und mit dem einen Ellbogen
stammelt". In einem ungeheuren Walde stößt er auf einen schneeweißen Köhler, der
Tannzapfen brennt, damit Bratwürste daraus werden, die er zu Weihnächte" auf dem
sauren Käsmarkte verkaufen will. Weiterhin kommt er an eine zwillichne Kirche.
"Die Glocken waren von Joppentuch gegossen, die Klöppel darin von Pelzärmeln gemacht;
darin stand ein haberner Kaplan, der betete eine gerstcne Messe, das Chor war von
gebackenen Fladen gemauert." In der sechsten Tagereise gelangt der Ritter in ein Dorf,
wo die Häuser aus Kalbfleisch erbaut, die Dächer mit Saumagen, Lungen und Lebern
gedeckt, die Stuben mit Schinken getäfelt und alle Zäune aus Brat- und Lebcrwürsten
geflochten sind. Einmal fällt er aus Versehen in eine Laute, die so tief ist, daß er einer Leiter
von 46 Sprossen bedarf, um wieder heraufzusteigen. Ein andermal haut er sich beim
Grasmähen mit der Sense den Kopf ab, der Wind entführt ihm denselben, und
als er ihm nachläuft, stößt er sich in der Eile mit der Stirn an einen Ast, daß
sie ihm blutet.

Alle die hier erwähnten Schriften, namentlich aber die humoristischen Volksbücher,
haben eine zu eindringende Wirkung auf die Nation gehabt, als daß man hinter ihnen
nicht eine tiefere Bedeutung suchen sollte. Geschmacklos würde es sein, diese in ihnen
als Kunstwerken zu suchen. Die Geschichte vielmehr wird uns, wie Gervinus zwar
nicht ganz klar, aber im ganzen richtig gezeigt hat, berichten, daß sie auf nationaler
Grundlage, aus dem Entwickelungsgange des Volkes heraus entstanden sind, und daß
sie in Wechselwirkung mit einem Zuge im deutschen Leben standen, der in den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters und dem ersten der neuen Zeit sich kundgab. Das
Mittelalter hatte sich im gesellschaftlichen Verkehre der vornehmen Stände, sowie auf
religiösem Gebiete zu unnatürlicher Höhe verstiegen. Die Uebertreibung des ceremoniellen
Wesens und der künstlichen, nnr auf Uebereinkunft ruhenden Sitte in den fürstlichen
und ritterlichen Kreisen machten den höfischen Verkehr unerträglich langweilig und forderte
darum eine Korrektur, eine Ergänzung durch ein Element, das an die ursprüngliche
Natur und an die Gleichheit aller Menschen erinnerte. Man hielt sich Hofnarren, welche
ohne Scheu vor dem ssteifcn und naturwidriger Herkommen die Wahrheit sagten. In
den Kreisen der Kirche rief dasselbe Bedürfniß ähnliche Erscheinungen in den Bettel-
Mönchen und Fastenprcdigern hervor, jenen geistlichen Narren, in denen, wie Gervinus
sagt, "die scholastische Weisheit plötzlich auf die Verleugnung und Verspottung alles
Verstandeswerks in der Religion übersprang". Die grotesken Gestalten der fahrenden
Narren weltlicher und geistlicher Art, die im Leben und in der Literatur des ausgehenden
Mittelalters auftraten, kämpften also gegen die Unnatürlichkcit, gegen das konventionelle
Wesen, sie waren gewissermaßen die leichte" Vortruppen oder die ungeschlachten Propheten


Bauern löschten mit Stroh, der Käse und das Brod aßen die Buben, die Hunde
wurden von den Hasen gefangen, Hühner und Gänse stellten den Füchsen und Mardern
nach, singen sie und fraßen sie auf." An einer andern Stelle begegnet ihm ein „hübscher,
schwacher, grauer, junger, blöder, alter, schöner, hurtiger Mann, der an einer Krücke
tanzt, ein Bärtchen mit Schindeln gedeckt trägt, ein Badstüblein auf der Nase und an
eineni Zahn eine Warze hat, an einem Ohre hinkt und mit dem einen Ellbogen
stammelt". In einem ungeheuren Walde stößt er auf einen schneeweißen Köhler, der
Tannzapfen brennt, damit Bratwürste daraus werden, die er zu Weihnächte» auf dem
sauren Käsmarkte verkaufen will. Weiterhin kommt er an eine zwillichne Kirche.
„Die Glocken waren von Joppentuch gegossen, die Klöppel darin von Pelzärmeln gemacht;
darin stand ein haberner Kaplan, der betete eine gerstcne Messe, das Chor war von
gebackenen Fladen gemauert." In der sechsten Tagereise gelangt der Ritter in ein Dorf,
wo die Häuser aus Kalbfleisch erbaut, die Dächer mit Saumagen, Lungen und Lebern
gedeckt, die Stuben mit Schinken getäfelt und alle Zäune aus Brat- und Lebcrwürsten
geflochten sind. Einmal fällt er aus Versehen in eine Laute, die so tief ist, daß er einer Leiter
von 46 Sprossen bedarf, um wieder heraufzusteigen. Ein andermal haut er sich beim
Grasmähen mit der Sense den Kopf ab, der Wind entführt ihm denselben, und
als er ihm nachläuft, stößt er sich in der Eile mit der Stirn an einen Ast, daß
sie ihm blutet.

Alle die hier erwähnten Schriften, namentlich aber die humoristischen Volksbücher,
haben eine zu eindringende Wirkung auf die Nation gehabt, als daß man hinter ihnen
nicht eine tiefere Bedeutung suchen sollte. Geschmacklos würde es sein, diese in ihnen
als Kunstwerken zu suchen. Die Geschichte vielmehr wird uns, wie Gervinus zwar
nicht ganz klar, aber im ganzen richtig gezeigt hat, berichten, daß sie auf nationaler
Grundlage, aus dem Entwickelungsgange des Volkes heraus entstanden sind, und daß
sie in Wechselwirkung mit einem Zuge im deutschen Leben standen, der in den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters und dem ersten der neuen Zeit sich kundgab. Das
Mittelalter hatte sich im gesellschaftlichen Verkehre der vornehmen Stände, sowie auf
religiösem Gebiete zu unnatürlicher Höhe verstiegen. Die Uebertreibung des ceremoniellen
Wesens und der künstlichen, nnr auf Uebereinkunft ruhenden Sitte in den fürstlichen
und ritterlichen Kreisen machten den höfischen Verkehr unerträglich langweilig und forderte
darum eine Korrektur, eine Ergänzung durch ein Element, das an die ursprüngliche
Natur und an die Gleichheit aller Menschen erinnerte. Man hielt sich Hofnarren, welche
ohne Scheu vor dem ssteifcn und naturwidriger Herkommen die Wahrheit sagten. In
den Kreisen der Kirche rief dasselbe Bedürfniß ähnliche Erscheinungen in den Bettel-
Mönchen und Fastenprcdigern hervor, jenen geistlichen Narren, in denen, wie Gervinus
sagt, „die scholastische Weisheit plötzlich auf die Verleugnung und Verspottung alles
Verstandeswerks in der Religion übersprang". Die grotesken Gestalten der fahrenden
Narren weltlicher und geistlicher Art, die im Leben und in der Literatur des ausgehenden
Mittelalters auftraten, kämpften also gegen die Unnatürlichkcit, gegen das konventionelle
Wesen, sie waren gewissermaßen die leichte» Vortruppen oder die ungeschlachten Propheten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/255>, abgerufen am 24.11.2024.