Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Missionär sie kennen lernte. Diese Distrikte theilten sich wieder in einzelne kleinere
Bezirke, die in der Regel aus einem oder mehreren Dörfern bestanden. Man
könnte sie etwa politische Gemeinden nennen. Diese setzten sich wiederum aus
einer unbegrenzten Anzahl Familien zusammen, an deren Spitze der tulatuls,
das Familienhaupt, stand. Letzterer war in der Regel eine ältere männliche Per¬
sönlichkeit, die nach Art der Patriarchen mehrere Familien unter ihrer Herrschaft
vereinen konnte. Die Würde des wlatuls erbte sich meistens vom Vater auf den
Sohn fort, doch nicht mit unbedingter Nothwendigkeit. Es konnte der Fall vor¬
kommen, daß nach dem Abscheiden des tulatuts die stimmberechtigten Mitglieder
der Familie seinen Erbsohn ausschlossen und einen andern Sohn desselben oder
selbst -- wenn auch selten -- einen Nichtfamilienangehörigen mit dieser Würde
betrauten. Die Gesammtheit der wlatuls bildete eigentlich die Hauptmacht des
Staates. An der Spitze jeder Gemeinde, jedes Distriktes, wie des ganzen Staates
stand zwar jedesmal ein Häuptling, aber diese hatten an und für sich nur eine
Art administrativer Gewalt, indem sie ihre Befugnisse nach herkömmlicher Sitte
und altem Brauch ausübten; bei jedem neuen oder wichtigen Ereigniß aber
durften sie nicht auf eigne Faust handeln, sondern der Gemeindehüuptling
mußte in solchen Fällen die WlaMg der Gemeinde, der Distriktshäuptling die¬
jenigen seines Bezirks zu einer Berathung versammeln, in der nach sorgfältiger
Prüfung des Für und Wider nur nach ordentlicher Abstimmung der auszu¬
führende Beschluß gefaßt wurde. Von einer solchen Versammlung erzählt
Lieutenant Charles Wille*)- "Die Verhandlungen wurden mit großer Feierlichkeit
geführt, allein es war ein merklicher Unterschied zwischen diesem Fono und der
Feierlichkeit bei den Rathsversammlungen unserer Indianer. Die der Samoaner
erschien ruhiger, die Art, wie die Geschäfte geführt wurden, zeugte von größerer
Feinheit. Bei allen Zusammenkünften herrscht eine strenge Ordnung des Vor¬
rangs, welche alle recht wohl zu kennen scheinen. Alle Unterhaltung wurde
nur in flüsterndem Tone geführt. Man sieht nie einen in Gegenwart eines
Höheren stehen, und mit ausgestreckten Beinen dazusitzen wird für unanständig
gehalten." Dabei entwickelten sie eine Gewandtheit der Rede und zeigten eine
parlamentarische Schulung, welche den Amerikaner in Staunen versetzte. Wie
die Würde der tuIiMls, so ist auch die der Dorfhäuptlinge (ain) erblich, doch
mit denselben Einschränkungen, wie sie oben angeführt wurden. Da die Regie¬
rung im Grunde genommen auf republikanischen Grundsätzen beruhte, so war
die offizielle Machtstellung der Häuptlinge ziemlich unbedeutend und auf einige
Vorrechte, z. B. auf Befreiung von Beiträgen zu Geschenken, Anspruch auf



*) Xs,rrs,dive ok tus Uniteä Le"tes exxloriug expeäition Äurinx elf z?e"rs 1338 -- 42
L vois. I^onäoll 134S.

Missionär sie kennen lernte. Diese Distrikte theilten sich wieder in einzelne kleinere
Bezirke, die in der Regel aus einem oder mehreren Dörfern bestanden. Man
könnte sie etwa politische Gemeinden nennen. Diese setzten sich wiederum aus
einer unbegrenzten Anzahl Familien zusammen, an deren Spitze der tulatuls,
das Familienhaupt, stand. Letzterer war in der Regel eine ältere männliche Per¬
sönlichkeit, die nach Art der Patriarchen mehrere Familien unter ihrer Herrschaft
vereinen konnte. Die Würde des wlatuls erbte sich meistens vom Vater auf den
Sohn fort, doch nicht mit unbedingter Nothwendigkeit. Es konnte der Fall vor¬
kommen, daß nach dem Abscheiden des tulatuts die stimmberechtigten Mitglieder
der Familie seinen Erbsohn ausschlossen und einen andern Sohn desselben oder
selbst — wenn auch selten — einen Nichtfamilienangehörigen mit dieser Würde
betrauten. Die Gesammtheit der wlatuls bildete eigentlich die Hauptmacht des
Staates. An der Spitze jeder Gemeinde, jedes Distriktes, wie des ganzen Staates
stand zwar jedesmal ein Häuptling, aber diese hatten an und für sich nur eine
Art administrativer Gewalt, indem sie ihre Befugnisse nach herkömmlicher Sitte
und altem Brauch ausübten; bei jedem neuen oder wichtigen Ereigniß aber
durften sie nicht auf eigne Faust handeln, sondern der Gemeindehüuptling
mußte in solchen Fällen die WlaMg der Gemeinde, der Distriktshäuptling die¬
jenigen seines Bezirks zu einer Berathung versammeln, in der nach sorgfältiger
Prüfung des Für und Wider nur nach ordentlicher Abstimmung der auszu¬
führende Beschluß gefaßt wurde. Von einer solchen Versammlung erzählt
Lieutenant Charles Wille*)- „Die Verhandlungen wurden mit großer Feierlichkeit
geführt, allein es war ein merklicher Unterschied zwischen diesem Fono und der
Feierlichkeit bei den Rathsversammlungen unserer Indianer. Die der Samoaner
erschien ruhiger, die Art, wie die Geschäfte geführt wurden, zeugte von größerer
Feinheit. Bei allen Zusammenkünften herrscht eine strenge Ordnung des Vor¬
rangs, welche alle recht wohl zu kennen scheinen. Alle Unterhaltung wurde
nur in flüsterndem Tone geführt. Man sieht nie einen in Gegenwart eines
Höheren stehen, und mit ausgestreckten Beinen dazusitzen wird für unanständig
gehalten." Dabei entwickelten sie eine Gewandtheit der Rede und zeigten eine
parlamentarische Schulung, welche den Amerikaner in Staunen versetzte. Wie
die Würde der tuIiMls, so ist auch die der Dorfhäuptlinge (ain) erblich, doch
mit denselben Einschränkungen, wie sie oben angeführt wurden. Da die Regie¬
rung im Grunde genommen auf republikanischen Grundsätzen beruhte, so war
die offizielle Machtstellung der Häuptlinge ziemlich unbedeutend und auf einige
Vorrechte, z. B. auf Befreiung von Beiträgen zu Geschenken, Anspruch auf



*) Xs,rrs,dive ok tus Uniteä Le»tes exxloriug expeäition Äurinx elf z?e»rs 1338 — 42
L vois. I^onäoll 134S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142739"/>
          <p xml:id="ID_693" prev="#ID_692" next="#ID_694"> Missionär sie kennen lernte. Diese Distrikte theilten sich wieder in einzelne kleinere<lb/>
Bezirke, die in der Regel aus einem oder mehreren Dörfern bestanden. Man<lb/>
könnte sie etwa politische Gemeinden nennen. Diese setzten sich wiederum aus<lb/>
einer unbegrenzten Anzahl Familien zusammen, an deren Spitze der tulatuls,<lb/>
das Familienhaupt, stand. Letzterer war in der Regel eine ältere männliche Per¬<lb/>
sönlichkeit, die nach Art der Patriarchen mehrere Familien unter ihrer Herrschaft<lb/>
vereinen konnte. Die Würde des wlatuls erbte sich meistens vom Vater auf den<lb/>
Sohn fort, doch nicht mit unbedingter Nothwendigkeit. Es konnte der Fall vor¬<lb/>
kommen, daß nach dem Abscheiden des tulatuts die stimmberechtigten Mitglieder<lb/>
der Familie seinen Erbsohn ausschlossen und einen andern Sohn desselben oder<lb/>
selbst &#x2014; wenn auch selten &#x2014; einen Nichtfamilienangehörigen mit dieser Würde<lb/>
betrauten. Die Gesammtheit der wlatuls bildete eigentlich die Hauptmacht des<lb/>
Staates. An der Spitze jeder Gemeinde, jedes Distriktes, wie des ganzen Staates<lb/>
stand zwar jedesmal ein Häuptling, aber diese hatten an und für sich nur eine<lb/>
Art administrativer Gewalt, indem sie ihre Befugnisse nach herkömmlicher Sitte<lb/>
und altem Brauch ausübten; bei jedem neuen oder wichtigen Ereigniß aber<lb/>
durften sie nicht auf eigne Faust handeln, sondern der Gemeindehüuptling<lb/>
mußte in solchen Fällen die WlaMg der Gemeinde, der Distriktshäuptling die¬<lb/>
jenigen seines Bezirks zu einer Berathung versammeln, in der nach sorgfältiger<lb/>
Prüfung des Für und Wider nur nach ordentlicher Abstimmung der auszu¬<lb/>
führende Beschluß gefaßt wurde. Von einer solchen Versammlung erzählt<lb/>
Lieutenant Charles Wille*)- &#x201E;Die Verhandlungen wurden mit großer Feierlichkeit<lb/>
geführt, allein es war ein merklicher Unterschied zwischen diesem Fono und der<lb/>
Feierlichkeit bei den Rathsversammlungen unserer Indianer. Die der Samoaner<lb/>
erschien ruhiger, die Art, wie die Geschäfte geführt wurden, zeugte von größerer<lb/>
Feinheit. Bei allen Zusammenkünften herrscht eine strenge Ordnung des Vor¬<lb/>
rangs, welche alle recht wohl zu kennen scheinen. Alle Unterhaltung wurde<lb/>
nur in flüsterndem Tone geführt. Man sieht nie einen in Gegenwart eines<lb/>
Höheren stehen, und mit ausgestreckten Beinen dazusitzen wird für unanständig<lb/>
gehalten." Dabei entwickelten sie eine Gewandtheit der Rede und zeigten eine<lb/>
parlamentarische Schulung, welche den Amerikaner in Staunen versetzte. Wie<lb/>
die Würde der tuIiMls, so ist auch die der Dorfhäuptlinge (ain) erblich, doch<lb/>
mit denselben Einschränkungen, wie sie oben angeführt wurden. Da die Regie¬<lb/>
rung im Grunde genommen auf republikanischen Grundsätzen beruhte, so war<lb/>
die offizielle Machtstellung der Häuptlinge ziemlich unbedeutend und auf einige<lb/>
Vorrechte, z. B. auf Befreiung von Beiträgen zu Geschenken, Anspruch auf</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> *) Xs,rrs,dive ok tus Uniteä Le»tes exxloriug expeäition Äurinx elf z?e»rs 1338 &#x2014; 42<lb/>
L vois. I^onäoll 134S.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0242] Missionär sie kennen lernte. Diese Distrikte theilten sich wieder in einzelne kleinere Bezirke, die in der Regel aus einem oder mehreren Dörfern bestanden. Man könnte sie etwa politische Gemeinden nennen. Diese setzten sich wiederum aus einer unbegrenzten Anzahl Familien zusammen, an deren Spitze der tulatuls, das Familienhaupt, stand. Letzterer war in der Regel eine ältere männliche Per¬ sönlichkeit, die nach Art der Patriarchen mehrere Familien unter ihrer Herrschaft vereinen konnte. Die Würde des wlatuls erbte sich meistens vom Vater auf den Sohn fort, doch nicht mit unbedingter Nothwendigkeit. Es konnte der Fall vor¬ kommen, daß nach dem Abscheiden des tulatuts die stimmberechtigten Mitglieder der Familie seinen Erbsohn ausschlossen und einen andern Sohn desselben oder selbst — wenn auch selten — einen Nichtfamilienangehörigen mit dieser Würde betrauten. Die Gesammtheit der wlatuls bildete eigentlich die Hauptmacht des Staates. An der Spitze jeder Gemeinde, jedes Distriktes, wie des ganzen Staates stand zwar jedesmal ein Häuptling, aber diese hatten an und für sich nur eine Art administrativer Gewalt, indem sie ihre Befugnisse nach herkömmlicher Sitte und altem Brauch ausübten; bei jedem neuen oder wichtigen Ereigniß aber durften sie nicht auf eigne Faust handeln, sondern der Gemeindehüuptling mußte in solchen Fällen die WlaMg der Gemeinde, der Distriktshäuptling die¬ jenigen seines Bezirks zu einer Berathung versammeln, in der nach sorgfältiger Prüfung des Für und Wider nur nach ordentlicher Abstimmung der auszu¬ führende Beschluß gefaßt wurde. Von einer solchen Versammlung erzählt Lieutenant Charles Wille*)- „Die Verhandlungen wurden mit großer Feierlichkeit geführt, allein es war ein merklicher Unterschied zwischen diesem Fono und der Feierlichkeit bei den Rathsversammlungen unserer Indianer. Die der Samoaner erschien ruhiger, die Art, wie die Geschäfte geführt wurden, zeugte von größerer Feinheit. Bei allen Zusammenkünften herrscht eine strenge Ordnung des Vor¬ rangs, welche alle recht wohl zu kennen scheinen. Alle Unterhaltung wurde nur in flüsterndem Tone geführt. Man sieht nie einen in Gegenwart eines Höheren stehen, und mit ausgestreckten Beinen dazusitzen wird für unanständig gehalten." Dabei entwickelten sie eine Gewandtheit der Rede und zeigten eine parlamentarische Schulung, welche den Amerikaner in Staunen versetzte. Wie die Würde der tuIiMls, so ist auch die der Dorfhäuptlinge (ain) erblich, doch mit denselben Einschränkungen, wie sie oben angeführt wurden. Da die Regie¬ rung im Grunde genommen auf republikanischen Grundsätzen beruhte, so war die offizielle Machtstellung der Häuptlinge ziemlich unbedeutend und auf einige Vorrechte, z. B. auf Befreiung von Beiträgen zu Geschenken, Anspruch auf *) Xs,rrs,dive ok tus Uniteä Le»tes exxloriug expeäition Äurinx elf z?e»rs 1338 — 42 L vois. I^onäoll 134S.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/242
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/242>, abgerufen am 27.11.2024.