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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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unter solchen Umständen annehmen, daß den Deutschen in den englischen Kolo¬
nien nicht nur eine geachtete, sondern auch eine einflußreiche Stellung zufiele
und seitens ihrer englischen Mitbürger willig eingeräumt würde. Es ist dies
aber nicht der Fall. Die Stellung des Deutschen entspricht durchschnittlich
nicht seiner Leistung; der englische Kolonist betrachtet ihn, oft vielleicht kaum
absichtlich und bewußt, nicht als vollberechtigt neben sich, er läßt ihn nicht zur
Ebenbürtigkeit auskommen, es sei denn, daß der betreffende Deutsche durch
Heirath mit einer einflußreichen englischen Familie liirt ist und sein Deutsch-
thum bis zur Verleugnung aufgibt. Der Ursachen sür diese Erscheinung gibt
es mehrere. Der Deutsche geht gleich dem Engländer nach den Kolonieen, um
seinen Lebensunterhalt zu gewinnen und, wenn möglich, in kurzer Zeit reich
zu werden. Wenn in der Kolonie geboren, so bildet dies nicht weniger den
Hauptantrieb sür alle Handlungen, namentlich beim Engländer. Der große
Unterschied zwischen beiden ist indeß, daß der Engländer von vornherein die
Politik als einen wesentlichen Hebel betrachtet, seinen Zweck zu erreichen, und
daher dahin trachtet, Einfluß auf sie zu gewinnen, während der Deutsche sich
möglichst rasch in die gefundenen Verhältnisse fügt, welche zu seinen Gunsten
zu beeinflussen ihm umsoweniger in den Sinn kommt, als ihm der Mehrheit
und der bald gefühlten Sicherheit der Engländer gegenüber die Aussichtslosig¬
keit klar ist. Daher pflegen sich die Deutschen von aller Politik fern zu halten.
In den wenigen Fällen, wo unabhängige Deutsche selbst in eins der Parla-
mentshäuser kommen, müssen sie sich nicht selten gefallen lassen, daß ihnen von
anderen Parlamentsmitgliedern gesagt wird: über diesen oder jenen Fall könnten
sie nicht mit hineinreden, denn sie wären Deutsche; und dies trotzdem daß sie
regelrecht naturcilisirt sind, denn ohne dies könnten sie nicht gewählt werden.
Eine unmittelbare Folge dieses Sichfernhaltens von Politik ist, daß die Deut¬
schen nur in äußerst seltenen Fälle offizielle Aemter erhalten, also auch von
diesem Standpunkte aus einflußlos bleiben.

Viele Engländer, namentlich solche der besseren Stunde, gehen mit einigem
materiellen Kapital in das Ausland, um es rasch zu verhundertfachen. Der
Deutsche selten. Er wird daher fast immer zunächst dem Engländer dienstbar
und arbeitet für ihn, sei es als Handwerker, Ackerbauer, Kaufmann, Künstler
oder selbst Gelehrter. In sehr vielen Fällen erwirbt der für den Engländer
arbeitende Deutsche erst ein selbständiges Auskommen in der zweiten Generation,
und diese hört dann leider oft auf, deutsch zu sein, weil wenig vorhanden ist,
um ihren deutschen Patriotismus wachsam zu halten, denn eine politische Ver¬
bindung mit dem Mutterlande existirt nicht. Daß unter solchen, dem Deutschen
das Vorwärtskommen im Auslande erschwerenden Umständen derselbe, wenn
er einmal trotzdem durch sein besonderes Geschick Erfolge aufzuweisen hat, sofort


unter solchen Umständen annehmen, daß den Deutschen in den englischen Kolo¬
nien nicht nur eine geachtete, sondern auch eine einflußreiche Stellung zufiele
und seitens ihrer englischen Mitbürger willig eingeräumt würde. Es ist dies
aber nicht der Fall. Die Stellung des Deutschen entspricht durchschnittlich
nicht seiner Leistung; der englische Kolonist betrachtet ihn, oft vielleicht kaum
absichtlich und bewußt, nicht als vollberechtigt neben sich, er läßt ihn nicht zur
Ebenbürtigkeit auskommen, es sei denn, daß der betreffende Deutsche durch
Heirath mit einer einflußreichen englischen Familie liirt ist und sein Deutsch-
thum bis zur Verleugnung aufgibt. Der Ursachen sür diese Erscheinung gibt
es mehrere. Der Deutsche geht gleich dem Engländer nach den Kolonieen, um
seinen Lebensunterhalt zu gewinnen und, wenn möglich, in kurzer Zeit reich
zu werden. Wenn in der Kolonie geboren, so bildet dies nicht weniger den
Hauptantrieb sür alle Handlungen, namentlich beim Engländer. Der große
Unterschied zwischen beiden ist indeß, daß der Engländer von vornherein die
Politik als einen wesentlichen Hebel betrachtet, seinen Zweck zu erreichen, und
daher dahin trachtet, Einfluß auf sie zu gewinnen, während der Deutsche sich
möglichst rasch in die gefundenen Verhältnisse fügt, welche zu seinen Gunsten
zu beeinflussen ihm umsoweniger in den Sinn kommt, als ihm der Mehrheit
und der bald gefühlten Sicherheit der Engländer gegenüber die Aussichtslosig¬
keit klar ist. Daher pflegen sich die Deutschen von aller Politik fern zu halten.
In den wenigen Fällen, wo unabhängige Deutsche selbst in eins der Parla-
mentshäuser kommen, müssen sie sich nicht selten gefallen lassen, daß ihnen von
anderen Parlamentsmitgliedern gesagt wird: über diesen oder jenen Fall könnten
sie nicht mit hineinreden, denn sie wären Deutsche; und dies trotzdem daß sie
regelrecht naturcilisirt sind, denn ohne dies könnten sie nicht gewählt werden.
Eine unmittelbare Folge dieses Sichfernhaltens von Politik ist, daß die Deut¬
schen nur in äußerst seltenen Fälle offizielle Aemter erhalten, also auch von
diesem Standpunkte aus einflußlos bleiben.

Viele Engländer, namentlich solche der besseren Stunde, gehen mit einigem
materiellen Kapital in das Ausland, um es rasch zu verhundertfachen. Der
Deutsche selten. Er wird daher fast immer zunächst dem Engländer dienstbar
und arbeitet für ihn, sei es als Handwerker, Ackerbauer, Kaufmann, Künstler
oder selbst Gelehrter. In sehr vielen Fällen erwirbt der für den Engländer
arbeitende Deutsche erst ein selbständiges Auskommen in der zweiten Generation,
und diese hört dann leider oft auf, deutsch zu sein, weil wenig vorhanden ist,
um ihren deutschen Patriotismus wachsam zu halten, denn eine politische Ver¬
bindung mit dem Mutterlande existirt nicht. Daß unter solchen, dem Deutschen
das Vorwärtskommen im Auslande erschwerenden Umständen derselbe, wenn
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[0226] unter solchen Umständen annehmen, daß den Deutschen in den englischen Kolo¬ nien nicht nur eine geachtete, sondern auch eine einflußreiche Stellung zufiele und seitens ihrer englischen Mitbürger willig eingeräumt würde. Es ist dies aber nicht der Fall. Die Stellung des Deutschen entspricht durchschnittlich nicht seiner Leistung; der englische Kolonist betrachtet ihn, oft vielleicht kaum absichtlich und bewußt, nicht als vollberechtigt neben sich, er läßt ihn nicht zur Ebenbürtigkeit auskommen, es sei denn, daß der betreffende Deutsche durch Heirath mit einer einflußreichen englischen Familie liirt ist und sein Deutsch- thum bis zur Verleugnung aufgibt. Der Ursachen sür diese Erscheinung gibt es mehrere. Der Deutsche geht gleich dem Engländer nach den Kolonieen, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen und, wenn möglich, in kurzer Zeit reich zu werden. Wenn in der Kolonie geboren, so bildet dies nicht weniger den Hauptantrieb sür alle Handlungen, namentlich beim Engländer. Der große Unterschied zwischen beiden ist indeß, daß der Engländer von vornherein die Politik als einen wesentlichen Hebel betrachtet, seinen Zweck zu erreichen, und daher dahin trachtet, Einfluß auf sie zu gewinnen, während der Deutsche sich möglichst rasch in die gefundenen Verhältnisse fügt, welche zu seinen Gunsten zu beeinflussen ihm umsoweniger in den Sinn kommt, als ihm der Mehrheit und der bald gefühlten Sicherheit der Engländer gegenüber die Aussichtslosig¬ keit klar ist. Daher pflegen sich die Deutschen von aller Politik fern zu halten. In den wenigen Fällen, wo unabhängige Deutsche selbst in eins der Parla- mentshäuser kommen, müssen sie sich nicht selten gefallen lassen, daß ihnen von anderen Parlamentsmitgliedern gesagt wird: über diesen oder jenen Fall könnten sie nicht mit hineinreden, denn sie wären Deutsche; und dies trotzdem daß sie regelrecht naturcilisirt sind, denn ohne dies könnten sie nicht gewählt werden. Eine unmittelbare Folge dieses Sichfernhaltens von Politik ist, daß die Deut¬ schen nur in äußerst seltenen Fälle offizielle Aemter erhalten, also auch von diesem Standpunkte aus einflußlos bleiben. Viele Engländer, namentlich solche der besseren Stunde, gehen mit einigem materiellen Kapital in das Ausland, um es rasch zu verhundertfachen. Der Deutsche selten. Er wird daher fast immer zunächst dem Engländer dienstbar und arbeitet für ihn, sei es als Handwerker, Ackerbauer, Kaufmann, Künstler oder selbst Gelehrter. In sehr vielen Fällen erwirbt der für den Engländer arbeitende Deutsche erst ein selbständiges Auskommen in der zweiten Generation, und diese hört dann leider oft auf, deutsch zu sein, weil wenig vorhanden ist, um ihren deutschen Patriotismus wachsam zu halten, denn eine politische Ver¬ bindung mit dem Mutterlande existirt nicht. Daß unter solchen, dem Deutschen das Vorwärtskommen im Auslande erschwerenden Umständen derselbe, wenn er einmal trotzdem durch sein besonderes Geschick Erfolge aufzuweisen hat, sofort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/226>, abgerufen am 27.11.2024.