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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sie nach Santa Maria del Popolo, wo sie in der Kapelle der Mutter des
Gemordeten, Vanozza ti Catanei, beigesetzt wurde.

Merkwürdig ist es, wie die geflügelte Phantasie der Zeitgenossen sich der
blutigen That bemächtigte. Nach einander wurde eine Reihe einzelner Personen
und eine ganze Partei des Mordes bezichtigt, besonders Ascanio Sforza und
die Orsini. Von der Beschuldigung der letzten beiden spricht der treue Annalist
der Republik von San Marco, Marino Sanuto, fügt aber einschränkend hinzu,
in Rom sage der Eine dies, der Andere das. Der Papst selbst hat an die
Schuld Ascanio's oder der Orsini nie geglaubt; er wußte genau, wer die That
vollbracht hatte. Schwerwiegend erscheinen in dieser Beziehung die Zeugnisse
zweier wohlunterrichteter Männer, des Petrus Martyr, der als Staatssekretär
für die lateinischen Briefe am Hofe Ferdinand's und Jsabellens von Spanien
lebte und in intimer Korrespondenz mit eingeweihten Kreisen des römischen
Lebens stand -- freilich war er auch ein Freund Ascanio's -- und des floren-
tinischen Staatssekretärs Niccolo Macchiavelli. Petrus Martyr") schreibt in
einem Briefe an den Grafen v. Tendilla: "Es erhält sich die Meinung stark,
daß der Bruder selbst, der Kardinal Caesar, der Urheber einer solchen Greuel¬
that war, aus Neid oder Eifersucht." Bei Macchiavelli aber lesen wir in den
Auszügen der Briefe an den Rath der Zehn: "Um die Mitte des Monats
wurde der Herzog von Candia ermordet. Bis jetzt wußte man nicht, von
wem. Darauf hielt man für sicher, daß der Kardinal von Valenza selbst --
Cesare führte diesen Titel als Inhaber des Erzbisthums von Valencia -- den
Mord vollbracht habe', oder daß er auf seinen Befehl vollbracht wurde, aus
Neid und in Rücksicht auf Mona Lucrezia" (ihre Schwester).

Und Burkard? Sicher ist, daß er bei der Beerdigung des Herzogs nicht
zugegen war: das Ceremoniell leitete der zweite Ceremonienmeister Bernardinns
Gutterus. Auch scheint es, daß er der Erinnerung an die That erst verhältni߬
mäßig spät in seinem Tagebuche Worte geliehen hat. "Der Leichnam wurde
-- schreibt er --, wenn ich mich recht erinnere, dnrch Bernardinns Gutterus
beigesetzt."**) Hat aber auch Burkard den äußeren Verlauf der Dinge nicht
selbst beobachtet: was im Vatikan, in den Gemächern des Papstes vorging, das
hat er mit eigenen Augen gesehen. "Der Papst aß und trank nicht von
Dienstag Abend ... bis zum Sabbath und schlief keine Minute von Donnerstag
früh bis zum Sonntag." Und wahrlich, es waren keine äußerlichen Kasteiungen,




") Ranke hat freilich die Echtheit gerade dieses Briefes angezweifelt; dieselbe dürste
sich aber doch aus inneren Gründen nachweisen lassen.
**) Die urbinatische Kopie enthält nach der Mittheilung, daß die Leiche in der Popolo
beigesetzt worden sei, noch den Zusatz: "wo sie bis auf den heutigen Tag verblieb". Dies
wäre einmal eine Probe einer Interpolation,

sie nach Santa Maria del Popolo, wo sie in der Kapelle der Mutter des
Gemordeten, Vanozza ti Catanei, beigesetzt wurde.

Merkwürdig ist es, wie die geflügelte Phantasie der Zeitgenossen sich der
blutigen That bemächtigte. Nach einander wurde eine Reihe einzelner Personen
und eine ganze Partei des Mordes bezichtigt, besonders Ascanio Sforza und
die Orsini. Von der Beschuldigung der letzten beiden spricht der treue Annalist
der Republik von San Marco, Marino Sanuto, fügt aber einschränkend hinzu,
in Rom sage der Eine dies, der Andere das. Der Papst selbst hat an die
Schuld Ascanio's oder der Orsini nie geglaubt; er wußte genau, wer die That
vollbracht hatte. Schwerwiegend erscheinen in dieser Beziehung die Zeugnisse
zweier wohlunterrichteter Männer, des Petrus Martyr, der als Staatssekretär
für die lateinischen Briefe am Hofe Ferdinand's und Jsabellens von Spanien
lebte und in intimer Korrespondenz mit eingeweihten Kreisen des römischen
Lebens stand — freilich war er auch ein Freund Ascanio's — und des floren-
tinischen Staatssekretärs Niccolo Macchiavelli. Petrus Martyr") schreibt in
einem Briefe an den Grafen v. Tendilla: „Es erhält sich die Meinung stark,
daß der Bruder selbst, der Kardinal Caesar, der Urheber einer solchen Greuel¬
that war, aus Neid oder Eifersucht." Bei Macchiavelli aber lesen wir in den
Auszügen der Briefe an den Rath der Zehn: „Um die Mitte des Monats
wurde der Herzog von Candia ermordet. Bis jetzt wußte man nicht, von
wem. Darauf hielt man für sicher, daß der Kardinal von Valenza selbst —
Cesare führte diesen Titel als Inhaber des Erzbisthums von Valencia — den
Mord vollbracht habe', oder daß er auf seinen Befehl vollbracht wurde, aus
Neid und in Rücksicht auf Mona Lucrezia" (ihre Schwester).

Und Burkard? Sicher ist, daß er bei der Beerdigung des Herzogs nicht
zugegen war: das Ceremoniell leitete der zweite Ceremonienmeister Bernardinns
Gutterus. Auch scheint es, daß er der Erinnerung an die That erst verhältni߬
mäßig spät in seinem Tagebuche Worte geliehen hat. „Der Leichnam wurde
— schreibt er —, wenn ich mich recht erinnere, dnrch Bernardinns Gutterus
beigesetzt."**) Hat aber auch Burkard den äußeren Verlauf der Dinge nicht
selbst beobachtet: was im Vatikan, in den Gemächern des Papstes vorging, das
hat er mit eigenen Augen gesehen. „Der Papst aß und trank nicht von
Dienstag Abend ... bis zum Sabbath und schlief keine Minute von Donnerstag
früh bis zum Sonntag." Und wahrlich, es waren keine äußerlichen Kasteiungen,




») Ranke hat freilich die Echtheit gerade dieses Briefes angezweifelt; dieselbe dürste
sich aber doch aus inneren Gründen nachweisen lassen.
**) Die urbinatische Kopie enthält nach der Mittheilung, daß die Leiche in der Popolo
beigesetzt worden sei, noch den Zusatz: „wo sie bis auf den heutigen Tag verblieb". Dies
wäre einmal eine Probe einer Interpolation,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/189>, abgerufen am 27.07.2024.