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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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unter freiem Himmel, meist im Walde abgehalten werden, und wo oft Tausende
eine halbe Woche lang durch Beten, Singen und Anhören donnernder Schilde¬
rungen der Höllenqualen dermaßen gemartert und dann durch schmachtend
vorgetragene Hinweisungen auf Jesus, den Gnadenborn, und auf die himmli¬
schen Freuden in solcher Weise in Verzückung versetzt werden, daß Einzelne in
allerlei Krämpfe verfallen, und zuweilen die ganze Versammlung von ihnen
angesteckt wird, was dann als ein R-solvat, d. h. eine Wiederbelebung durch
den Geist der Pfingsten zu urchristlichem Gnadenstande, betrachtet wird.

Daß es dabei zu sehr anstößigen Szenen kommt, daß unter den Wcmder-
predigern zuweilen Wölfe in Schafskleidern sind, und daß auch sonst unter
deu Methodisten Heuchelei, geistlicher Dünkel und allerlei Selbstsucht ihre Rolle
spielen, ist nicht zu leugnen. Aber ebensowenig ist in Abrede zu stellen, daß
der Methodismus die verwilderten Massen vielfältig in eine Zucht genommen
hat, die eine wohlthätige genannt werden muß. Namentlich gilt dies von den
Negern und vielleicht noch mehr von den Hinterwäldlern Amerika's, unter
denen der virenit Rickor einst eine Stimme in der Wüste war, die sehr viel
Segen wirkte. Was waren jene einsamen Siedler im Urwalde für ein Ge¬
schlecht! "Halb Pferd, halb Alligator" bezeichneten sie sich selbst. Ihr Leben
ging in schwerer Arbeit, in Kämpfen mit Rothhäuten und weißen Raubgesellen,
in wüsten Gelagen und plumpen Belustigungen auf. Die Bildung ihrer Seelen
war. völlig vernachlässigt, sie kannten keinerlei geistige Interessen, als die Reise¬
prediger der Methodisten, keine Gefahr fürchtend, unter ihnen erschienen. Wie
ein Sturm blies deren rauhe Beredtsamkeit den in deu verwilderten Gemüthern
kaum noch glimmenden Funken edleren Denkens und Strebens an, und eine
Flamme schlug auf, aber es war eine wohlthätige Flamme. Mehr als irgend
eine andere Menschenklasse haben diese alten Apostel des Methodismus durch
ihren opfermuthigeu, unerschrockenen Eifer für die Rettung verlorener Seelen
Ordnung in das Chaos gebracht, welches einst die westlichen Staaten in ihren
gesellschaftlichen Zuständen darstellten.

Wir werden sehen, in wie gewaltsamer Weise dieser Prozeß sich vollzog,
und von was für eigenthümlichen, theils komischen, theils grauenhaften Erschei¬
nungen seine Anfänge begleitet waren. Zunächst werfen wir noch einen Blick
auf die englischen Bibelchristen.

Im Jahre 1869 oder 1870 berichteten die englischen Zeitungen von fol¬
gender Gerichtsverhandlung über einen Diebstahl, den einer von jener Sekte
begangen:

Mr. Ebenezer Choate verfügt sich auf die Zeugenbank. Er ist ein großer
hagerer Mann, in einem ziemlich abgeschabten schwarzen Rocke, der ihm an
den Schultern zu weit und am Handgelenke zu kurz ist. Nachdem er seine


unter freiem Himmel, meist im Walde abgehalten werden, und wo oft Tausende
eine halbe Woche lang durch Beten, Singen und Anhören donnernder Schilde¬
rungen der Höllenqualen dermaßen gemartert und dann durch schmachtend
vorgetragene Hinweisungen auf Jesus, den Gnadenborn, und auf die himmli¬
schen Freuden in solcher Weise in Verzückung versetzt werden, daß Einzelne in
allerlei Krämpfe verfallen, und zuweilen die ganze Versammlung von ihnen
angesteckt wird, was dann als ein R-solvat, d. h. eine Wiederbelebung durch
den Geist der Pfingsten zu urchristlichem Gnadenstande, betrachtet wird.

Daß es dabei zu sehr anstößigen Szenen kommt, daß unter den Wcmder-
predigern zuweilen Wölfe in Schafskleidern sind, und daß auch sonst unter
deu Methodisten Heuchelei, geistlicher Dünkel und allerlei Selbstsucht ihre Rolle
spielen, ist nicht zu leugnen. Aber ebensowenig ist in Abrede zu stellen, daß
der Methodismus die verwilderten Massen vielfältig in eine Zucht genommen
hat, die eine wohlthätige genannt werden muß. Namentlich gilt dies von den
Negern und vielleicht noch mehr von den Hinterwäldlern Amerika's, unter
denen der virenit Rickor einst eine Stimme in der Wüste war, die sehr viel
Segen wirkte. Was waren jene einsamen Siedler im Urwalde für ein Ge¬
schlecht! „Halb Pferd, halb Alligator" bezeichneten sie sich selbst. Ihr Leben
ging in schwerer Arbeit, in Kämpfen mit Rothhäuten und weißen Raubgesellen,
in wüsten Gelagen und plumpen Belustigungen auf. Die Bildung ihrer Seelen
war. völlig vernachlässigt, sie kannten keinerlei geistige Interessen, als die Reise¬
prediger der Methodisten, keine Gefahr fürchtend, unter ihnen erschienen. Wie
ein Sturm blies deren rauhe Beredtsamkeit den in deu verwilderten Gemüthern
kaum noch glimmenden Funken edleren Denkens und Strebens an, und eine
Flamme schlug auf, aber es war eine wohlthätige Flamme. Mehr als irgend
eine andere Menschenklasse haben diese alten Apostel des Methodismus durch
ihren opfermuthigeu, unerschrockenen Eifer für die Rettung verlorener Seelen
Ordnung in das Chaos gebracht, welches einst die westlichen Staaten in ihren
gesellschaftlichen Zuständen darstellten.

Wir werden sehen, in wie gewaltsamer Weise dieser Prozeß sich vollzog,
und von was für eigenthümlichen, theils komischen, theils grauenhaften Erschei¬
nungen seine Anfänge begleitet waren. Zunächst werfen wir noch einen Blick
auf die englischen Bibelchristen.

Im Jahre 1869 oder 1870 berichteten die englischen Zeitungen von fol¬
gender Gerichtsverhandlung über einen Diebstahl, den einer von jener Sekte
begangen:

Mr. Ebenezer Choate verfügt sich auf die Zeugenbank. Er ist ein großer
hagerer Mann, in einem ziemlich abgeschabten schwarzen Rocke, der ihm an
den Schultern zu weit und am Handgelenke zu kurz ist. Nachdem er seine


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[0153] unter freiem Himmel, meist im Walde abgehalten werden, und wo oft Tausende eine halbe Woche lang durch Beten, Singen und Anhören donnernder Schilde¬ rungen der Höllenqualen dermaßen gemartert und dann durch schmachtend vorgetragene Hinweisungen auf Jesus, den Gnadenborn, und auf die himmli¬ schen Freuden in solcher Weise in Verzückung versetzt werden, daß Einzelne in allerlei Krämpfe verfallen, und zuweilen die ganze Versammlung von ihnen angesteckt wird, was dann als ein R-solvat, d. h. eine Wiederbelebung durch den Geist der Pfingsten zu urchristlichem Gnadenstande, betrachtet wird. Daß es dabei zu sehr anstößigen Szenen kommt, daß unter den Wcmder- predigern zuweilen Wölfe in Schafskleidern sind, und daß auch sonst unter deu Methodisten Heuchelei, geistlicher Dünkel und allerlei Selbstsucht ihre Rolle spielen, ist nicht zu leugnen. Aber ebensowenig ist in Abrede zu stellen, daß der Methodismus die verwilderten Massen vielfältig in eine Zucht genommen hat, die eine wohlthätige genannt werden muß. Namentlich gilt dies von den Negern und vielleicht noch mehr von den Hinterwäldlern Amerika's, unter denen der virenit Rickor einst eine Stimme in der Wüste war, die sehr viel Segen wirkte. Was waren jene einsamen Siedler im Urwalde für ein Ge¬ schlecht! „Halb Pferd, halb Alligator" bezeichneten sie sich selbst. Ihr Leben ging in schwerer Arbeit, in Kämpfen mit Rothhäuten und weißen Raubgesellen, in wüsten Gelagen und plumpen Belustigungen auf. Die Bildung ihrer Seelen war. völlig vernachlässigt, sie kannten keinerlei geistige Interessen, als die Reise¬ prediger der Methodisten, keine Gefahr fürchtend, unter ihnen erschienen. Wie ein Sturm blies deren rauhe Beredtsamkeit den in deu verwilderten Gemüthern kaum noch glimmenden Funken edleren Denkens und Strebens an, und eine Flamme schlug auf, aber es war eine wohlthätige Flamme. Mehr als irgend eine andere Menschenklasse haben diese alten Apostel des Methodismus durch ihren opfermuthigeu, unerschrockenen Eifer für die Rettung verlorener Seelen Ordnung in das Chaos gebracht, welches einst die westlichen Staaten in ihren gesellschaftlichen Zuständen darstellten. Wir werden sehen, in wie gewaltsamer Weise dieser Prozeß sich vollzog, und von was für eigenthümlichen, theils komischen, theils grauenhaften Erschei¬ nungen seine Anfänge begleitet waren. Zunächst werfen wir noch einen Blick auf die englischen Bibelchristen. Im Jahre 1869 oder 1870 berichteten die englischen Zeitungen von fol¬ gender Gerichtsverhandlung über einen Diebstahl, den einer von jener Sekte begangen: Mr. Ebenezer Choate verfügt sich auf die Zeugenbank. Er ist ein großer hagerer Mann, in einem ziemlich abgeschabten schwarzen Rocke, der ihm an den Schultern zu weit und am Handgelenke zu kurz ist. Nachdem er seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/153>, abgerufen am 23.11.2024.