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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sicherm Menschen so sehr überlegen ist, weil er mit beständiger Furcht und
Zittern seine Seligkeit sucht."

"Würde der Geist Gottes soviel Bücher nöthig gehabt, sich so oft wieder¬
holt, eine solche Wolke von Zeugnissen und Zeugen gebraucht haben, wenn dies
nicht die Größe unsers Unglaubens unentbehrlich gemacht hätte? Ist die Sünde
nicht die Mutter der Sprachen gewesen, wie die Kleidung eine Wirkung unsrer
Bloße? Worte sind den Schätzen der Erde gleich; sie sind die Scheidemünze
der Weisheit, deren Menge uns beschwerlich, unbrauchbar, eitel wird. Die
Bibel zähmt unsere Zunge, die Schwatzhaftigkeit der Sünde in uns, indem sie
uns entdeckt, daß Gott jedes unnütze Wort richten wird."

"Die Neugier ist Amme der Wissenschaft. In der natürlichen Erkenntniß
hintergeht uns das Alte durch den Schein des Neuen: die Natur der Gegen¬
stände giebt den Stoff; die Gesetze, nach denen unsre Seele empfindet, denkt,
schließt, urtheilt, vergleicht, geben die Form, und da dieselben unveränderlich
bleiben, so ist in der Natur und im Gesichtskreis unsrer Vernunft nichts Neues
anzutreffen. Gott muß uns in einen andern Gesichtskreis versetzen, wenn wir
etwas Neues erkennen sollen. Der Weiseste aller Sucher der Weisheit verweist
uns auf die Offenbarung Gottes im Fleisch als den einzigen Gegenstand, für
den uns der Trieb der Neugier von Gott eingepflanzt ist: ein Durst, den wir
ungeachtet unsrer Erbsünde fühlen, den alle irdischen Brunnen nur vermehren,
und den nur die lautre himmlische Quelle stillt."

"Die Vernunft ist geneigt, einem unbekannten Gott zu dienen, aber sie will
ihn nicht kennen, und wenn sie ihn erkannt, hört sie auf, ihm zu dienen. Die
Teufel zittern, aber eure durch die Schalkheit der Vernunft verrückten Sinne
zittern nicht. Dies ist der Grund, warum Gott so spät und so langsam sich
entdeckt: er weiß, daß seine Kenntniß den Menschen ein Aergerniß ist."

"Wie die Menschen ihre Natur oft ihrer Vernunft entgegensetzen, und ihre
Gewohnheit zu handeln zu einer Nothwendigkeit machen, so hat man in der
Weltweisheit oft die Natur ihrem Schöpfer entgegensetzen wollen und von
widernatürlichen und übernatürlichen Werken geredet. -- Was ist in der Natur,
in den gemeinsten Begebenheiten, das nicht ein Wunder sür uns ist, ein Wunder
im strengsten Verstand! -- Wie unzureichend sind die Begriffe der Menschen,
sich überirdische Dinge vorzustellen! Die Ewigkeit Gottes kann uns nicht anders
begreiflich gemacht werden als durch die Theile der Zeit, durch die Verbindung
von drei Augenblicken, die wir aus UnVollkommenheit unterscheiden müssen.
Nach uusern Begriffen geht das Vergangene vor dem Gegenwärtigen her; bei
Gott ist das Gegenwärtige der Grund des Vergangenen und Zukünftigen."

"Naturkunde und Geschichte sind die zwei Pfeiler, auf welchen die wahre


Grenzboten III. 1379. Is

sicherm Menschen so sehr überlegen ist, weil er mit beständiger Furcht und
Zittern seine Seligkeit sucht."

„Würde der Geist Gottes soviel Bücher nöthig gehabt, sich so oft wieder¬
holt, eine solche Wolke von Zeugnissen und Zeugen gebraucht haben, wenn dies
nicht die Größe unsers Unglaubens unentbehrlich gemacht hätte? Ist die Sünde
nicht die Mutter der Sprachen gewesen, wie die Kleidung eine Wirkung unsrer
Bloße? Worte sind den Schätzen der Erde gleich; sie sind die Scheidemünze
der Weisheit, deren Menge uns beschwerlich, unbrauchbar, eitel wird. Die
Bibel zähmt unsere Zunge, die Schwatzhaftigkeit der Sünde in uns, indem sie
uns entdeckt, daß Gott jedes unnütze Wort richten wird."

„Die Neugier ist Amme der Wissenschaft. In der natürlichen Erkenntniß
hintergeht uns das Alte durch den Schein des Neuen: die Natur der Gegen¬
stände giebt den Stoff; die Gesetze, nach denen unsre Seele empfindet, denkt,
schließt, urtheilt, vergleicht, geben die Form, und da dieselben unveränderlich
bleiben, so ist in der Natur und im Gesichtskreis unsrer Vernunft nichts Neues
anzutreffen. Gott muß uns in einen andern Gesichtskreis versetzen, wenn wir
etwas Neues erkennen sollen. Der Weiseste aller Sucher der Weisheit verweist
uns auf die Offenbarung Gottes im Fleisch als den einzigen Gegenstand, für
den uns der Trieb der Neugier von Gott eingepflanzt ist: ein Durst, den wir
ungeachtet unsrer Erbsünde fühlen, den alle irdischen Brunnen nur vermehren,
und den nur die lautre himmlische Quelle stillt."

„Die Vernunft ist geneigt, einem unbekannten Gott zu dienen, aber sie will
ihn nicht kennen, und wenn sie ihn erkannt, hört sie auf, ihm zu dienen. Die
Teufel zittern, aber eure durch die Schalkheit der Vernunft verrückten Sinne
zittern nicht. Dies ist der Grund, warum Gott so spät und so langsam sich
entdeckt: er weiß, daß seine Kenntniß den Menschen ein Aergerniß ist."

„Wie die Menschen ihre Natur oft ihrer Vernunft entgegensetzen, und ihre
Gewohnheit zu handeln zu einer Nothwendigkeit machen, so hat man in der
Weltweisheit oft die Natur ihrem Schöpfer entgegensetzen wollen und von
widernatürlichen und übernatürlichen Werken geredet. — Was ist in der Natur,
in den gemeinsten Begebenheiten, das nicht ein Wunder sür uns ist, ein Wunder
im strengsten Verstand! — Wie unzureichend sind die Begriffe der Menschen,
sich überirdische Dinge vorzustellen! Die Ewigkeit Gottes kann uns nicht anders
begreiflich gemacht werden als durch die Theile der Zeit, durch die Verbindung
von drei Augenblicken, die wir aus UnVollkommenheit unterscheiden müssen.
Nach uusern Begriffen geht das Vergangene vor dem Gegenwärtigen her; bei
Gott ist das Gegenwärtige der Grund des Vergangenen und Zukünftigen."

„Naturkunde und Geschichte sind die zwei Pfeiler, auf welchen die wahre


Grenzboten III. 1379. Is
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[0143] sicherm Menschen so sehr überlegen ist, weil er mit beständiger Furcht und Zittern seine Seligkeit sucht." „Würde der Geist Gottes soviel Bücher nöthig gehabt, sich so oft wieder¬ holt, eine solche Wolke von Zeugnissen und Zeugen gebraucht haben, wenn dies nicht die Größe unsers Unglaubens unentbehrlich gemacht hätte? Ist die Sünde nicht die Mutter der Sprachen gewesen, wie die Kleidung eine Wirkung unsrer Bloße? Worte sind den Schätzen der Erde gleich; sie sind die Scheidemünze der Weisheit, deren Menge uns beschwerlich, unbrauchbar, eitel wird. Die Bibel zähmt unsere Zunge, die Schwatzhaftigkeit der Sünde in uns, indem sie uns entdeckt, daß Gott jedes unnütze Wort richten wird." „Die Neugier ist Amme der Wissenschaft. In der natürlichen Erkenntniß hintergeht uns das Alte durch den Schein des Neuen: die Natur der Gegen¬ stände giebt den Stoff; die Gesetze, nach denen unsre Seele empfindet, denkt, schließt, urtheilt, vergleicht, geben die Form, und da dieselben unveränderlich bleiben, so ist in der Natur und im Gesichtskreis unsrer Vernunft nichts Neues anzutreffen. Gott muß uns in einen andern Gesichtskreis versetzen, wenn wir etwas Neues erkennen sollen. Der Weiseste aller Sucher der Weisheit verweist uns auf die Offenbarung Gottes im Fleisch als den einzigen Gegenstand, für den uns der Trieb der Neugier von Gott eingepflanzt ist: ein Durst, den wir ungeachtet unsrer Erbsünde fühlen, den alle irdischen Brunnen nur vermehren, und den nur die lautre himmlische Quelle stillt." „Die Vernunft ist geneigt, einem unbekannten Gott zu dienen, aber sie will ihn nicht kennen, und wenn sie ihn erkannt, hört sie auf, ihm zu dienen. Die Teufel zittern, aber eure durch die Schalkheit der Vernunft verrückten Sinne zittern nicht. Dies ist der Grund, warum Gott so spät und so langsam sich entdeckt: er weiß, daß seine Kenntniß den Menschen ein Aergerniß ist." „Wie die Menschen ihre Natur oft ihrer Vernunft entgegensetzen, und ihre Gewohnheit zu handeln zu einer Nothwendigkeit machen, so hat man in der Weltweisheit oft die Natur ihrem Schöpfer entgegensetzen wollen und von widernatürlichen und übernatürlichen Werken geredet. — Was ist in der Natur, in den gemeinsten Begebenheiten, das nicht ein Wunder sür uns ist, ein Wunder im strengsten Verstand! — Wie unzureichend sind die Begriffe der Menschen, sich überirdische Dinge vorzustellen! Die Ewigkeit Gottes kann uns nicht anders begreiflich gemacht werden als durch die Theile der Zeit, durch die Verbindung von drei Augenblicken, die wir aus UnVollkommenheit unterscheiden müssen. Nach uusern Begriffen geht das Vergangene vor dem Gegenwärtigen her; bei Gott ist das Gegenwärtige der Grund des Vergangenen und Zukünftigen." „Naturkunde und Geschichte sind die zwei Pfeiler, auf welchen die wahre Grenzboten III. 1379. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/143>, abgerufen am 24.11.2024.