Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.Was Herrn Dr. Friedenthal betrifft, so hat derselbe wohl längst voraus¬ So stand es mit dein Rücktritt der drei Minister. Man war über diesen Bald wird diese Fahne ein zerrissener Lappen sein, nicht von Kngeln, son¬ Hier wollen wir heute innehalten. Den Verlauf der parlamentarischen Was Herrn Dr. Friedenthal betrifft, so hat derselbe wohl längst voraus¬ So stand es mit dein Rücktritt der drei Minister. Man war über diesen Bald wird diese Fahne ein zerrissener Lappen sein, nicht von Kngeln, son¬ Hier wollen wir heute innehalten. Den Verlauf der parlamentarischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142629"/> <p xml:id="ID_362"> Was Herrn Dr. Friedenthal betrifft, so hat derselbe wohl längst voraus¬<lb/> gesehen, daß die Regierung, der er angehörte, einem Bruch mit dem Liberalis¬<lb/> inus nicht entgehen könne,' und er hat nicht gewünscht, die Folgen dieses Bruches<lb/> als Negierungsmitglied zu tragen. In der Hauptfrage des Augenblicks, in der<lb/> Erhaltung der Finanzreform mittelst des Frankenstein'schen Antrages, hat Herr<lb/> Friedenthal dem Kanzler völlig beigestimmt, diese Beistimmung mit großer<lb/> Entschiedenheit dargelegt und also nicht aus der Lösung dieser Frage den An¬<lb/> laß seines Rücktrittes genommen. Umsichtig, wie er ist, hat Herr Friedenthal<lb/> bei der Ausführung seines Rücktrittes zugleich gouvernementale Einsicht und<lb/> liberale Zuknnfts-Rücksichtnahme, letztere in Gesundheitsrücksichten einschlagend,<lb/> an den Tag gelegt, was ihn nach beiden Seiten empfehlen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_363"> So stand es mit dein Rücktritt der drei Minister. Man war über diesen<lb/> Stand, der gar kein Geheimniß ist, im liberalen Lager fehr bald unterrichtet.<lb/> Allein die Gelegenheit war zu lockend, unter der Aegide dreier Kollegen des<lb/> Kanzlers, von denen jeder in seiner Art ein Mann von ausgezeichneten Eigenschaften<lb/> und Verdienst, zur vollen Opposition überzugehen. Man stempelte also den<lb/> Rücktritt gewaltsam zu einem Rückzuge vor dem siegreichen Zentrum. Der Ent¬<lb/> schluß wurde nunmehr gefaßt, den Frankenstein'schen Antrag zur Vernichtung<lb/> oder doch zur tief gehenden Beschädigung der Reichshoheit zu stempeln. So<lb/> konnte man mit Ehren die Fahne der unbedingten Opposition entfalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_364"> Bald wird diese Fahne ein zerrissener Lappen sein, nicht von Kngeln, son¬<lb/> dern von dem Lichte des Tages zerfetzt. Die Vorwände, mit denen diese Fahne<lb/> gefärbt ist, sind allzu kläglich. Was es mit der Beibehaltung der Matrikular-<lb/> beiträge auf sich hat, haben wir im vorigen Briefe zur Genüge dargelegt. Der<lb/> Kanzler hat durch die Stimme bisher erbitterter Gegner gesiegt, ohne diesen<lb/> Gegnern, dem Zentrum, auch nur die geringste Versprechung zu macheu. Das<lb/> mußte Herr Windthorst im offenen Reichstage bekennen, um den Ruf seiner<lb/> Klugheit gegen die Zukunft zu decken. Solche Siege ersieht uur Fürst Bismarck.<lb/> Fürst Bismarck hat dem bisherigen klerikal-Partikularistischen Gegner auf<lb/> dem Gebiete der Kirchenpolitik eine von dem weiteren Verhalten abhängige<lb/> Hoffnung, auf dem Gebiete der inneren deutschen Politik einen Namen gelassen.<lb/> Jeder Schüler weiß, daß bei den historischen Umwandlungen die Namen sich<lb/> am längsten haken. Hießen doch die Kaiser des Reiches, das von den Zer¬<lb/> störern Rom's aufgebaut, römische Kaiser. Der parlamentarische Liberalismus<lb/> aber benutzt den Namen „Matrikularbeiträge", welchen der Finanzbesitz des<lb/> deutschen Reiches, soweit er vom Reiche nach dessen Ermessen benntzt wird,<lb/> noch führen soll, zum Vorwand der unbedingten Opposition. Ein Vorwand<lb/> gerade so gut wie der von 1864, wo man sagte, die preußischen Fahnen zögen<lb/> aus, Schleswig-Holstein für die Dänen zu halten. Man wird mit dem heuti¬<lb/> gen Vorwand' einen schlimmeren Bankerott machen als mit dem damaligen.</p><lb/> <p xml:id="ID_365"> Hier wollen wir heute innehalten. Den Verlauf der parlamentarischen<lb/> Julikämpfe müssen wir im nächsten Briefe verfolgen, nachdem der Anlaß des<lb/><note type="byline"> ^</note> Kampfes in das rechte Licht gerückt ist. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
Was Herrn Dr. Friedenthal betrifft, so hat derselbe wohl längst voraus¬
gesehen, daß die Regierung, der er angehörte, einem Bruch mit dem Liberalis¬
inus nicht entgehen könne,' und er hat nicht gewünscht, die Folgen dieses Bruches
als Negierungsmitglied zu tragen. In der Hauptfrage des Augenblicks, in der
Erhaltung der Finanzreform mittelst des Frankenstein'schen Antrages, hat Herr
Friedenthal dem Kanzler völlig beigestimmt, diese Beistimmung mit großer
Entschiedenheit dargelegt und also nicht aus der Lösung dieser Frage den An¬
laß seines Rücktrittes genommen. Umsichtig, wie er ist, hat Herr Friedenthal
bei der Ausführung seines Rücktrittes zugleich gouvernementale Einsicht und
liberale Zuknnfts-Rücksichtnahme, letztere in Gesundheitsrücksichten einschlagend,
an den Tag gelegt, was ihn nach beiden Seiten empfehlen muß.
So stand es mit dein Rücktritt der drei Minister. Man war über diesen
Stand, der gar kein Geheimniß ist, im liberalen Lager fehr bald unterrichtet.
Allein die Gelegenheit war zu lockend, unter der Aegide dreier Kollegen des
Kanzlers, von denen jeder in seiner Art ein Mann von ausgezeichneten Eigenschaften
und Verdienst, zur vollen Opposition überzugehen. Man stempelte also den
Rücktritt gewaltsam zu einem Rückzuge vor dem siegreichen Zentrum. Der Ent¬
schluß wurde nunmehr gefaßt, den Frankenstein'schen Antrag zur Vernichtung
oder doch zur tief gehenden Beschädigung der Reichshoheit zu stempeln. So
konnte man mit Ehren die Fahne der unbedingten Opposition entfalten.
Bald wird diese Fahne ein zerrissener Lappen sein, nicht von Kngeln, son¬
dern von dem Lichte des Tages zerfetzt. Die Vorwände, mit denen diese Fahne
gefärbt ist, sind allzu kläglich. Was es mit der Beibehaltung der Matrikular-
beiträge auf sich hat, haben wir im vorigen Briefe zur Genüge dargelegt. Der
Kanzler hat durch die Stimme bisher erbitterter Gegner gesiegt, ohne diesen
Gegnern, dem Zentrum, auch nur die geringste Versprechung zu macheu. Das
mußte Herr Windthorst im offenen Reichstage bekennen, um den Ruf seiner
Klugheit gegen die Zukunft zu decken. Solche Siege ersieht uur Fürst Bismarck.
Fürst Bismarck hat dem bisherigen klerikal-Partikularistischen Gegner auf
dem Gebiete der Kirchenpolitik eine von dem weiteren Verhalten abhängige
Hoffnung, auf dem Gebiete der inneren deutschen Politik einen Namen gelassen.
Jeder Schüler weiß, daß bei den historischen Umwandlungen die Namen sich
am längsten haken. Hießen doch die Kaiser des Reiches, das von den Zer¬
störern Rom's aufgebaut, römische Kaiser. Der parlamentarische Liberalismus
aber benutzt den Namen „Matrikularbeiträge", welchen der Finanzbesitz des
deutschen Reiches, soweit er vom Reiche nach dessen Ermessen benntzt wird,
noch führen soll, zum Vorwand der unbedingten Opposition. Ein Vorwand
gerade so gut wie der von 1864, wo man sagte, die preußischen Fahnen zögen
aus, Schleswig-Holstein für die Dänen zu halten. Man wird mit dem heuti¬
gen Vorwand' einen schlimmeren Bankerott machen als mit dem damaligen.
Hier wollen wir heute innehalten. Den Verlauf der parlamentarischen
Julikämpfe müssen wir im nächsten Briefe verfolgen, nachdem der Anlaß des
^ Kampfes in das rechte Licht gerückt ist.
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