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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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gener Rumänier schrieb uns vor einiger Zeit über die Juden in seiner Heimat:
"Sie bilden in den Städten der Moldau einen so bedeutenden Theil der
Einwohnerschaft, daß am Sonnabend Handel und Wandel zu stocken scheinen,
wenn der Hebräer seinen Laden schließt. Bei streng geregelten gesellschaftlichen
Zuständen ist der Spekulationsgeist der Juden wohl gerade kein Unglück für
das Land, das sie bewohnen, und kann sich bei einigem guten Willen in
mancher Beziehung, in wirthschaftlichen Dingen zum Beispiel, bisweilen als
eine wohlthätig wirkende Kraft erweisen. Bei uns in der Moldau aber ist
das anders. Einige ehrenwerthe Ausnahmen abgezogen, ist das Volk Abraham's
hier eine Landplage.

Bettelarm kommen sie gewöhnlich über die Grenze (beiläufig wie ein
großer Theil der Ahnen unserer jüdischen Geldbarone), finden Unterstützung
bei ihren Stammgenossen und fangen ihre Laufbahn in der Regel damit an,
daß sie den Bauern in den Dörfern spirituösen und Tabak verkaufen, und
es ist kaum zu glauben, wie sie ihre Kunden ausziehen, wenn diese erst einen
Schluck über den Durst gethan haben. Immer mit doppelter, oft mit dreifacher
Kreide wird die Schuld des Schnapsliebhabers angeschrieben, und derselbe muß
nicht selten schließlich seine ganze Ernte hergeben, um seinen Gläubiger loszu¬
werden. Beharrlich hält Moses das elende Leben in einer von der Gutsherr-
schaft gepachteten Dorfschenke aus, erträgt die Prügel und Fußtritte, die er
gelegentlich bekommt, als die Schattenseite seiner gedeihlichen Betriebsamkeit,
sammelt sich ein Kapital und fängt nun an, in etwas größerem Stile Geschäfte
zu machen. Er wird Krämer in einer Stadt, verlegt sich ans den Getreide-,
Vieh- oder Branntweinhandel im Großen und treibt als Hauptberuf den
Wucher. Zehn Prozent Zinsen gelten im Lande als gesetzlich erlaubt, warum
sie aber gesetzlich heißen, ist nicht wohl zu begreifen; denn kein Gesetz straft
den, welcher sich mehr zahlen laßt, und so macht denn der Jude Anspruch auf
tiefempfundenen Dank, wenn er auf erste Hypothek Geld zu achtzehn Prozent
hergibt; für kleinere Summen von zwei- bis dreihundert Dukaten aber, die
der Entleiher bald zurückerstatten zu können hofft, sind vier oder fünf Prozent
monatlich durchaus nichts Unerhörtes. Fällt ein Leichtsinniger einem solchen
Wucherer in die Hände, so bleibt seine Schuld oft jahrelang ungelöscht. Der
Gläubiger wartet geduldig und vergnügt und läßt sich nur alle sechs Monate
einen neuen Wechsel mit Einverleibung der fälligen Zinsen ausstellen, wobei
sein Guthaben mit begreiflicher Schnelligkeit anschwillt. So werden viele Juden
in wenigen Jahren reiche Leute, und das Geld des Landes sammelt sich immer
mehr in ihren und ihrer Stammgenossen Kassen.

Es geht hier genau wie in Polen und in Südrußland zu. Der Moldauer
weiß, daß die Juden die ärgsten Feinde seines Wohlergehens sind, und doch


Grenzboten III. 1879. 1(!

gener Rumänier schrieb uns vor einiger Zeit über die Juden in seiner Heimat:
„Sie bilden in den Städten der Moldau einen so bedeutenden Theil der
Einwohnerschaft, daß am Sonnabend Handel und Wandel zu stocken scheinen,
wenn der Hebräer seinen Laden schließt. Bei streng geregelten gesellschaftlichen
Zuständen ist der Spekulationsgeist der Juden wohl gerade kein Unglück für
das Land, das sie bewohnen, und kann sich bei einigem guten Willen in
mancher Beziehung, in wirthschaftlichen Dingen zum Beispiel, bisweilen als
eine wohlthätig wirkende Kraft erweisen. Bei uns in der Moldau aber ist
das anders. Einige ehrenwerthe Ausnahmen abgezogen, ist das Volk Abraham's
hier eine Landplage.

Bettelarm kommen sie gewöhnlich über die Grenze (beiläufig wie ein
großer Theil der Ahnen unserer jüdischen Geldbarone), finden Unterstützung
bei ihren Stammgenossen und fangen ihre Laufbahn in der Regel damit an,
daß sie den Bauern in den Dörfern spirituösen und Tabak verkaufen, und
es ist kaum zu glauben, wie sie ihre Kunden ausziehen, wenn diese erst einen
Schluck über den Durst gethan haben. Immer mit doppelter, oft mit dreifacher
Kreide wird die Schuld des Schnapsliebhabers angeschrieben, und derselbe muß
nicht selten schließlich seine ganze Ernte hergeben, um seinen Gläubiger loszu¬
werden. Beharrlich hält Moses das elende Leben in einer von der Gutsherr-
schaft gepachteten Dorfschenke aus, erträgt die Prügel und Fußtritte, die er
gelegentlich bekommt, als die Schattenseite seiner gedeihlichen Betriebsamkeit,
sammelt sich ein Kapital und fängt nun an, in etwas größerem Stile Geschäfte
zu machen. Er wird Krämer in einer Stadt, verlegt sich ans den Getreide-,
Vieh- oder Branntweinhandel im Großen und treibt als Hauptberuf den
Wucher. Zehn Prozent Zinsen gelten im Lande als gesetzlich erlaubt, warum
sie aber gesetzlich heißen, ist nicht wohl zu begreifen; denn kein Gesetz straft
den, welcher sich mehr zahlen laßt, und so macht denn der Jude Anspruch auf
tiefempfundenen Dank, wenn er auf erste Hypothek Geld zu achtzehn Prozent
hergibt; für kleinere Summen von zwei- bis dreihundert Dukaten aber, die
der Entleiher bald zurückerstatten zu können hofft, sind vier oder fünf Prozent
monatlich durchaus nichts Unerhörtes. Fällt ein Leichtsinniger einem solchen
Wucherer in die Hände, so bleibt seine Schuld oft jahrelang ungelöscht. Der
Gläubiger wartet geduldig und vergnügt und läßt sich nur alle sechs Monate
einen neuen Wechsel mit Einverleibung der fälligen Zinsen ausstellen, wobei
sein Guthaben mit begreiflicher Schnelligkeit anschwillt. So werden viele Juden
in wenigen Jahren reiche Leute, und das Geld des Landes sammelt sich immer
mehr in ihren und ihrer Stammgenossen Kassen.

Es geht hier genau wie in Polen und in Südrußland zu. Der Moldauer
weiß, daß die Juden die ärgsten Feinde seines Wohlergehens sind, und doch


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[0127] gener Rumänier schrieb uns vor einiger Zeit über die Juden in seiner Heimat: „Sie bilden in den Städten der Moldau einen so bedeutenden Theil der Einwohnerschaft, daß am Sonnabend Handel und Wandel zu stocken scheinen, wenn der Hebräer seinen Laden schließt. Bei streng geregelten gesellschaftlichen Zuständen ist der Spekulationsgeist der Juden wohl gerade kein Unglück für das Land, das sie bewohnen, und kann sich bei einigem guten Willen in mancher Beziehung, in wirthschaftlichen Dingen zum Beispiel, bisweilen als eine wohlthätig wirkende Kraft erweisen. Bei uns in der Moldau aber ist das anders. Einige ehrenwerthe Ausnahmen abgezogen, ist das Volk Abraham's hier eine Landplage. Bettelarm kommen sie gewöhnlich über die Grenze (beiläufig wie ein großer Theil der Ahnen unserer jüdischen Geldbarone), finden Unterstützung bei ihren Stammgenossen und fangen ihre Laufbahn in der Regel damit an, daß sie den Bauern in den Dörfern spirituösen und Tabak verkaufen, und es ist kaum zu glauben, wie sie ihre Kunden ausziehen, wenn diese erst einen Schluck über den Durst gethan haben. Immer mit doppelter, oft mit dreifacher Kreide wird die Schuld des Schnapsliebhabers angeschrieben, und derselbe muß nicht selten schließlich seine ganze Ernte hergeben, um seinen Gläubiger loszu¬ werden. Beharrlich hält Moses das elende Leben in einer von der Gutsherr- schaft gepachteten Dorfschenke aus, erträgt die Prügel und Fußtritte, die er gelegentlich bekommt, als die Schattenseite seiner gedeihlichen Betriebsamkeit, sammelt sich ein Kapital und fängt nun an, in etwas größerem Stile Geschäfte zu machen. Er wird Krämer in einer Stadt, verlegt sich ans den Getreide-, Vieh- oder Branntweinhandel im Großen und treibt als Hauptberuf den Wucher. Zehn Prozent Zinsen gelten im Lande als gesetzlich erlaubt, warum sie aber gesetzlich heißen, ist nicht wohl zu begreifen; denn kein Gesetz straft den, welcher sich mehr zahlen laßt, und so macht denn der Jude Anspruch auf tiefempfundenen Dank, wenn er auf erste Hypothek Geld zu achtzehn Prozent hergibt; für kleinere Summen von zwei- bis dreihundert Dukaten aber, die der Entleiher bald zurückerstatten zu können hofft, sind vier oder fünf Prozent monatlich durchaus nichts Unerhörtes. Fällt ein Leichtsinniger einem solchen Wucherer in die Hände, so bleibt seine Schuld oft jahrelang ungelöscht. Der Gläubiger wartet geduldig und vergnügt und läßt sich nur alle sechs Monate einen neuen Wechsel mit Einverleibung der fälligen Zinsen ausstellen, wobei sein Guthaben mit begreiflicher Schnelligkeit anschwillt. So werden viele Juden in wenigen Jahren reiche Leute, und das Geld des Landes sammelt sich immer mehr in ihren und ihrer Stammgenossen Kassen. Es geht hier genau wie in Polen und in Südrußland zu. Der Moldauer weiß, daß die Juden die ärgsten Feinde seines Wohlergehens sind, und doch Grenzboten III. 1879. 1(!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/127>, abgerufen am 01.09.2024.