Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

erst, nach welchen Grundsätzen der Ban einer Eisenbahn anzulegen sei, daß zu
einem richtigen Urtheil hierüber bloßes Jngenieurwissen keineswegs ausreiche, daß
darum auch die vou Technikern unternommenen Bahnen nicht reüssirt hätten,
endlich wie es komme, daß er sich über rein technische Fragen Kenntnisse und
-- was hier wichtiger war -- Erfahrungen habe sammeln müssen. Trotz dieser
Darlegungen traute man Sachkenntniß schließlich nur einem Engländer zu.
Ueberhaupt maßte sich Harkort kraft seines Amtes als Vorsitzender über die
Mitglieder und namentlich über List als Berichterstatter eine Vormundschaft an,
die in's Lächerliche ging. Nur er allem sollte und wollte alles verlesen, was
im Konnte verlesen wurde, und so hat List es nie dahin bringen können, seine
eigenen Berichte auch selbst vorzulesen. Silbenstecherei war an der Tagesordnung;
ganze Abende wurden damit nutzlos vergeudet. Die Protokolle erwähnen List's
Namen nur selten; dagegen heißt es oft: "Es wird bemerkt", "man brachte zur
Sprache" ?c. Dieses "mau" war in den meisten Fällen niemand anders als
List, wie er an den neuen Negiernngskvmmissar v. Falkenstein selbst zu berich¬
ten genöthigt war. Dagegen wird von den anderen keine Gelegenheit versäumt,
ihre Namen im Protokoll anzubringen.

Alle diese Dinge ignorirte List gänzlich und fuhr ohne Unterlaß fort, die
Komitnnitglieder über die Eisenbahn-Angelegenheit zu unterrichten, sie von Vor¬
urtheilen, irrigen Ansichten, unnöthigen Zweifeln zurückzubringen, obwohl er sich
sagte, daß er ihre Eigenliebe dadurch verletzen würde. Den Ausgang der Dinge
vorausahnend, nahm er sich aber von allem seine Notizen, um für den Noth¬
fall zur Vertheidigung gewaffnet zu sein. Bei der Wahl des Direktoriums sah
er endlich den ganzen Plan klar vor Augen, der dazu angelegt war, ihn nicht
blos von dem Leipziger Unternehmen, sondern von allen anderen in Deutschland
auszuschließen. Er war großmiithig genug, die Geschichte des Komites nicht zu
schreibe,?, wozu er schon seiner Ehrenrettung wegen berechtigt gewesen wäre; er
unterließ es einzig und allein aus Liebe zu der aroßen Sache, der er diente.
Auch wir würden das ganze Jntriguenspiel nicht an den Tag gezogen, sondern
als alltägliche Chikanen kleiner Menschen in kleinlichen Verhältnissen mit Still¬
schweigen übergangen haben, wenn alle jene Intriguen nicht zum Kolorit des Ganzen
unentbehrlich wären, und wenn nicht der Mann, von dem sie in erster Linie
ausgingen, mit aller Gewalt unsterblich gemacht worden wäre.

Bei der ersten Generalversammlung kam es zu einem wahren Skandal.
Harkort hielt einen wohlgesetzten Vortrag, in welchem er die Entwickelung der
Angelegenheit erzählte und die hohen Verdienste der Fürsten, Minister und Be¬
hörden rühmend hervorhob, Lift aber mit keiner Silbe erwähnte. Er entschuldigte
sich nachher damit, daß er es für unpassend gehalten habe, wenn die Komitr-
mitglieder sich gegenseitig Komplimente machten -- bei dieser Gelegenheit also


erst, nach welchen Grundsätzen der Ban einer Eisenbahn anzulegen sei, daß zu
einem richtigen Urtheil hierüber bloßes Jngenieurwissen keineswegs ausreiche, daß
darum auch die vou Technikern unternommenen Bahnen nicht reüssirt hätten,
endlich wie es komme, daß er sich über rein technische Fragen Kenntnisse und
— was hier wichtiger war — Erfahrungen habe sammeln müssen. Trotz dieser
Darlegungen traute man Sachkenntniß schließlich nur einem Engländer zu.
Ueberhaupt maßte sich Harkort kraft seines Amtes als Vorsitzender über die
Mitglieder und namentlich über List als Berichterstatter eine Vormundschaft an,
die in's Lächerliche ging. Nur er allem sollte und wollte alles verlesen, was
im Konnte verlesen wurde, und so hat List es nie dahin bringen können, seine
eigenen Berichte auch selbst vorzulesen. Silbenstecherei war an der Tagesordnung;
ganze Abende wurden damit nutzlos vergeudet. Die Protokolle erwähnen List's
Namen nur selten; dagegen heißt es oft: „Es wird bemerkt", „man brachte zur
Sprache" ?c. Dieses „mau" war in den meisten Fällen niemand anders als
List, wie er an den neuen Negiernngskvmmissar v. Falkenstein selbst zu berich¬
ten genöthigt war. Dagegen wird von den anderen keine Gelegenheit versäumt,
ihre Namen im Protokoll anzubringen.

Alle diese Dinge ignorirte List gänzlich und fuhr ohne Unterlaß fort, die
Komitnnitglieder über die Eisenbahn-Angelegenheit zu unterrichten, sie von Vor¬
urtheilen, irrigen Ansichten, unnöthigen Zweifeln zurückzubringen, obwohl er sich
sagte, daß er ihre Eigenliebe dadurch verletzen würde. Den Ausgang der Dinge
vorausahnend, nahm er sich aber von allem seine Notizen, um für den Noth¬
fall zur Vertheidigung gewaffnet zu sein. Bei der Wahl des Direktoriums sah
er endlich den ganzen Plan klar vor Augen, der dazu angelegt war, ihn nicht
blos von dem Leipziger Unternehmen, sondern von allen anderen in Deutschland
auszuschließen. Er war großmiithig genug, die Geschichte des Komites nicht zu
schreibe,?, wozu er schon seiner Ehrenrettung wegen berechtigt gewesen wäre; er
unterließ es einzig und allein aus Liebe zu der aroßen Sache, der er diente.
Auch wir würden das ganze Jntriguenspiel nicht an den Tag gezogen, sondern
als alltägliche Chikanen kleiner Menschen in kleinlichen Verhältnissen mit Still¬
schweigen übergangen haben, wenn alle jene Intriguen nicht zum Kolorit des Ganzen
unentbehrlich wären, und wenn nicht der Mann, von dem sie in erster Linie
ausgingen, mit aller Gewalt unsterblich gemacht worden wäre.

Bei der ersten Generalversammlung kam es zu einem wahren Skandal.
Harkort hielt einen wohlgesetzten Vortrag, in welchem er die Entwickelung der
Angelegenheit erzählte und die hohen Verdienste der Fürsten, Minister und Be¬
hörden rühmend hervorhob, Lift aber mit keiner Silbe erwähnte. Er entschuldigte
sich nachher damit, daß er es für unpassend gehalten habe, wenn die Komitr-
mitglieder sich gegenseitig Komplimente machten — bei dieser Gelegenheit also


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142617"/>
          <p xml:id="ID_329" prev="#ID_328"> erst, nach welchen Grundsätzen der Ban einer Eisenbahn anzulegen sei, daß zu<lb/>
einem richtigen Urtheil hierüber bloßes Jngenieurwissen keineswegs ausreiche, daß<lb/>
darum auch die vou Technikern unternommenen Bahnen nicht reüssirt hätten,<lb/>
endlich wie es komme, daß er sich über rein technische Fragen Kenntnisse und<lb/>
&#x2014; was hier wichtiger war &#x2014; Erfahrungen habe sammeln müssen. Trotz dieser<lb/>
Darlegungen traute man Sachkenntniß schließlich nur einem Engländer zu.<lb/>
Ueberhaupt maßte sich Harkort kraft seines Amtes als Vorsitzender über die<lb/>
Mitglieder und namentlich über List als Berichterstatter eine Vormundschaft an,<lb/>
die in's Lächerliche ging. Nur er allem sollte und wollte alles verlesen, was<lb/>
im Konnte verlesen wurde, und so hat List es nie dahin bringen können, seine<lb/>
eigenen Berichte auch selbst vorzulesen. Silbenstecherei war an der Tagesordnung;<lb/>
ganze Abende wurden damit nutzlos vergeudet. Die Protokolle erwähnen List's<lb/>
Namen nur selten; dagegen heißt es oft: &#x201E;Es wird bemerkt", &#x201E;man brachte zur<lb/>
Sprache" ?c. Dieses &#x201E;mau" war in den meisten Fällen niemand anders als<lb/>
List, wie er an den neuen Negiernngskvmmissar v. Falkenstein selbst zu berich¬<lb/>
ten genöthigt war. Dagegen wird von den anderen keine Gelegenheit versäumt,<lb/>
ihre Namen im Protokoll anzubringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_330"> Alle diese Dinge ignorirte List gänzlich und fuhr ohne Unterlaß fort, die<lb/>
Komitnnitglieder über die Eisenbahn-Angelegenheit zu unterrichten, sie von Vor¬<lb/>
urtheilen, irrigen Ansichten, unnöthigen Zweifeln zurückzubringen, obwohl er sich<lb/>
sagte, daß er ihre Eigenliebe dadurch verletzen würde. Den Ausgang der Dinge<lb/>
vorausahnend, nahm er sich aber von allem seine Notizen, um für den Noth¬<lb/>
fall zur Vertheidigung gewaffnet zu sein. Bei der Wahl des Direktoriums sah<lb/>
er endlich den ganzen Plan klar vor Augen, der dazu angelegt war, ihn nicht<lb/>
blos von dem Leipziger Unternehmen, sondern von allen anderen in Deutschland<lb/>
auszuschließen. Er war großmiithig genug, die Geschichte des Komites nicht zu<lb/>
schreibe,?, wozu er schon seiner Ehrenrettung wegen berechtigt gewesen wäre; er<lb/>
unterließ es einzig und allein aus Liebe zu der aroßen Sache, der er diente.<lb/>
Auch wir würden das ganze Jntriguenspiel nicht an den Tag gezogen, sondern<lb/>
als alltägliche Chikanen kleiner Menschen in kleinlichen Verhältnissen mit Still¬<lb/>
schweigen übergangen haben, wenn alle jene Intriguen nicht zum Kolorit des Ganzen<lb/>
unentbehrlich wären, und wenn nicht der Mann, von dem sie in erster Linie<lb/>
ausgingen, mit aller Gewalt unsterblich gemacht worden wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_331" next="#ID_332"> Bei der ersten Generalversammlung kam es zu einem wahren Skandal.<lb/>
Harkort hielt einen wohlgesetzten Vortrag, in welchem er die Entwickelung der<lb/>
Angelegenheit erzählte und die hohen Verdienste der Fürsten, Minister und Be¬<lb/>
hörden rühmend hervorhob, Lift aber mit keiner Silbe erwähnte. Er entschuldigte<lb/>
sich nachher damit, daß er es für unpassend gehalten habe, wenn die Komitr-<lb/>
mitglieder sich gegenseitig Komplimente machten &#x2014; bei dieser Gelegenheit also</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] erst, nach welchen Grundsätzen der Ban einer Eisenbahn anzulegen sei, daß zu einem richtigen Urtheil hierüber bloßes Jngenieurwissen keineswegs ausreiche, daß darum auch die vou Technikern unternommenen Bahnen nicht reüssirt hätten, endlich wie es komme, daß er sich über rein technische Fragen Kenntnisse und — was hier wichtiger war — Erfahrungen habe sammeln müssen. Trotz dieser Darlegungen traute man Sachkenntniß schließlich nur einem Engländer zu. Ueberhaupt maßte sich Harkort kraft seines Amtes als Vorsitzender über die Mitglieder und namentlich über List als Berichterstatter eine Vormundschaft an, die in's Lächerliche ging. Nur er allem sollte und wollte alles verlesen, was im Konnte verlesen wurde, und so hat List es nie dahin bringen können, seine eigenen Berichte auch selbst vorzulesen. Silbenstecherei war an der Tagesordnung; ganze Abende wurden damit nutzlos vergeudet. Die Protokolle erwähnen List's Namen nur selten; dagegen heißt es oft: „Es wird bemerkt", „man brachte zur Sprache" ?c. Dieses „mau" war in den meisten Fällen niemand anders als List, wie er an den neuen Negiernngskvmmissar v. Falkenstein selbst zu berich¬ ten genöthigt war. Dagegen wird von den anderen keine Gelegenheit versäumt, ihre Namen im Protokoll anzubringen. Alle diese Dinge ignorirte List gänzlich und fuhr ohne Unterlaß fort, die Komitnnitglieder über die Eisenbahn-Angelegenheit zu unterrichten, sie von Vor¬ urtheilen, irrigen Ansichten, unnöthigen Zweifeln zurückzubringen, obwohl er sich sagte, daß er ihre Eigenliebe dadurch verletzen würde. Den Ausgang der Dinge vorausahnend, nahm er sich aber von allem seine Notizen, um für den Noth¬ fall zur Vertheidigung gewaffnet zu sein. Bei der Wahl des Direktoriums sah er endlich den ganzen Plan klar vor Augen, der dazu angelegt war, ihn nicht blos von dem Leipziger Unternehmen, sondern von allen anderen in Deutschland auszuschließen. Er war großmiithig genug, die Geschichte des Komites nicht zu schreibe,?, wozu er schon seiner Ehrenrettung wegen berechtigt gewesen wäre; er unterließ es einzig und allein aus Liebe zu der aroßen Sache, der er diente. Auch wir würden das ganze Jntriguenspiel nicht an den Tag gezogen, sondern als alltägliche Chikanen kleiner Menschen in kleinlichen Verhältnissen mit Still¬ schweigen übergangen haben, wenn alle jene Intriguen nicht zum Kolorit des Ganzen unentbehrlich wären, und wenn nicht der Mann, von dem sie in erster Linie ausgingen, mit aller Gewalt unsterblich gemacht worden wäre. Bei der ersten Generalversammlung kam es zu einem wahren Skandal. Harkort hielt einen wohlgesetzten Vortrag, in welchem er die Entwickelung der Angelegenheit erzählte und die hohen Verdienste der Fürsten, Minister und Be¬ hörden rühmend hervorhob, Lift aber mit keiner Silbe erwähnte. Er entschuldigte sich nachher damit, daß er es für unpassend gehalten habe, wenn die Komitr- mitglieder sich gegenseitig Komplimente machten — bei dieser Gelegenheit also

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/120>, abgerufen am 01.09.2024.